Schweiz:Aus Sorge um die Identität

Grenze zur Schweiz

So nah und politisch doch so fern: die deutsch-schweizerische Grenze zwischen Kreuzlingen und Konstanz.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Keine der großen Parteien unterstützt mehr das geplante Abkommen mit der EU über den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Doch Nachverhandeln will Brüssel nicht.

Von Isabel Pfaff, Bern

Was Langsamkeit angeht, müssen sich Schweizer von Nichtschweizern einiges anhören. Doch diesen Fall bezeichnen selbst Kommentatoren aus Zürich und Bern als "unendliche Geschichte": Geschlagene viereinhalb Jahre plagen sich helvetische und europäische Politiker nun schon mit dem sperrigen Konstrukt namens "Institutionelles Rahmenabkommen" - und ein Ende ist nicht abzusehen.

Die Beziehungen der Schweiz zur EU sind kompliziert, kulturell wie politisch. Um sie zumindest politisch einfacher zu gestalten, hatten beide Seiten im Frühling 2014 begonnen, miteinander zu verhandeln - doch ein Erfolg will sich einfach nicht einstellen. Im Gegenteil: Inzwischen geht es nicht mehr um Vereinfachung, sondern um die grundsätzliche Frage, wie sehr die Zusammenarbeit mit der EU die politische Identität der Schweizer angreift.

Um es vorwegzunehmen: Bemerkenswert viele Schweizer glauben, dass ihr politischer Sonderweg in Gefahr ist, wenn sie das Rahmenabkommen so unterzeichnen, wie es seit vergangenem Dezember auf dem Tisch liegt. Gerade ist durchgesickert, dass auch die schweizerische FDP den Vertragsentwurf in der aktuellen Fassung ablehnt. Damit steht keine der vier großen Parteien - also jene, die im Bundesrat, dem Schweizer Exekutivgremium, vertreten sind - voll hinter dem Entwurf. Es ist damit extrem unwahrscheinlich, dass er dennoch durchgehen könnte.

Dabei sollte das Rahmenabkommen eigentlich nur bündeln, was ohnehin schon lange Praxis ist zwischen Brüssel und Bern: die Zusammenarbeit beider Seiten, vor allem aber die Teilnahme der Schweiz am europäischen Binnenmarkt. Bisher sind die Beziehungen durch mehr als 120 bilaterale Einzelverträge geregelt, die auch einzeln aktualisiert werden müssen, wenn sich auf EU-Ebene etwas ändert. Mit dem Rahmenabkommen soll die Schweiz neues EU-Recht im Bereich Marktzugang automatisch übernehmen.

Das zähe Gezerre um den Brexit hat die Geduld der EU merklich schwinden lassen

Und genau hier beginnt das Problem. Was für Franzosen, Deutsche oder Spanier harmlos klingen dürfte - die automatische Übernahme der Spielregeln, wenn man am Spiel teilnehmen möchte -, ist in der Schweiz ein sensibles Thema. Politische Souveränität, nicht zuletzt ausgedrückt in der Möglichkeit aller Bürger, in heiklen Fragen per Volksabstimmung ihr Veto einlegen zu können, ist für Schweizer ein hohes Gut. Dass künftig manche Regeln der Schweiz in Brüssel gemacht werden sollen, stößt bei vielen Eidgenossen auf Skepsis.

Das weiß der Bundesrat natürlich, er hat diese Besonderheit in den Verhandlungen mit der EU berücksichtigt: Laut Vertragsentwurf bleibt der demokratische Prozess der Schweiz unangetastet; jede Änderung auf EU-Ebene, die auch die Schweiz betrifft, kommt demnach ins Parlament und kann auch Gegenstand eines Referendums werden. Entscheidet sich die schweizerische Seite gegen eine Änderung, kann die EU Sanktionen verhängen. Gibt es Streit - etwa darüber, ob Sanktionen angemessen sind -, entscheidet ein paritätisch besetztes Schiedsgericht. Was zunächst fair klingt, hat aus Schweizer Sicht aber einen Haken: Befasst sich das Schiedsgericht nämlich mit der Auslegung von EU-Recht, muss es sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs orientieren - eines EU-Gerichts also.

Neben dieser grundsätzlichen Rechtsfrage diskutiert die politische Schweiz gerade noch viele andere Punkte des Vertragsentwurfs. Der Bundesrat hat sein Verhandlungsergebnis vom Dezember nämlich zur Diskussion freigegeben, bevor er selbst dazu Stellung nehmen will. Und so nehmen beide Parlamentskammern das Abkommen gerade auseinander. Das federführende Außenministerium will außerdem noch die Kantone, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Hochschulen nach ihrer Meinung befragen. Bis Ende März sollen die Beratungen dauern - doch mit der Positionierung der FDP gilt es als so gut wie ausgemacht, dass die Schweiz die EU um Nachverhandlungen ersuchen wird.

Nur: Dazu hat Brüssel keine Lust. Der zuständige EU-Kommissar, Johannes Hahn, erteilte Nachverhandlungen schon Ende Dezember eine klare Absage, das Ergebnis sei "final". Vor allem das zähe Gezerre um den Brexit hat die Geduld der EU merklich schwinden lassen. Der "Appetit unter den Mitgliedstaaten für Spezialbehandlungen" sei begrenzt, so Hahn.

In der Schweiz zeigen solche Äußerungen nur bedingt Wirkung. Es mehren sich die Stimmen, die bereit wären, das gesamte Abkommen platzen zu lassen - und diese Stimmen kommen nicht nur von rechts, wo die gesamte Vertragsidee abgelehnt wird. Der befürchtete Einfluss von EU-Richtern ist die eine Sache. Die andere ist die Angst um die hohen Schweizer Löhne, die sinken könnten, wenn das Abkommen kommt und bestimmte Auflagen für Firmen aus dem EU-Ausland nicht mehr zulässig sind. Oder die Sorge um ausufernde Rechte für EU-Bürger: Die sind zwar nicht im Vertrag erwähnt, aber die EU wehrte sich auch dagegen, die sogenannte Unionsbürgerrichtline explizit auszuklammern. Und die Liste geht noch weiter. Leicht, so viel steht fest, machen sich die Schweizer ihre Entscheidung nicht.

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