Schweiz: Abschiebung von Ausländern:Ivan und die schrecklichen Schafe

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Ein Jahr nach dem Erfolg beim Minarett-Verbot hat SVP-Chef Blocher einen Plan von noch größerer Tragweite: die "Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer". Worum es beim Referendum geht und welche Folgen es hat.

Wolfgang Jaschensky

Vor der Abstimmung im November 2009 hatte kaum jemand damit gerechnet, dass die Rechtspopulisten mit ihrer Initiative durchkommen würden. Doch am Ende siegte die Schweizerische Volkspartei (SVP) mit ihrem Vorschlag deutlich: 57 Prozent der Wähler waren der Meinung, dass in der Schweiz keine Minarette mehr gebaut werden sollten.

Erfolgreiche Kampagne: Seit einem Jahr dürfen in der Schweiz keine Minarette mehr gebaut werden. (Foto: REUTERS)

Das Ergebnis der Abstimmung hat weltweit für großes Aufsehen gesorgt. Fast genau ein Jahr später geht es erneut um eine Initiative der SVP, dessen Auswirkungen für viele Menschen in der Schweiz deutlich weitreichendere Folgen haben könnte: Am Sonntag wird über die "Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer" abgestimmt.

sueddeutsche.de erklärt auf den folgenden Seiten, worum es geht, wer mit welchen Argumenten dafür und dagegen kämpft und welche Konsequenzen die Abstimmung haben wird.

Die Initiative der SVP richtet sich gegen straffällig gewordene Ausländer. Im Wortlaut der Initiative heißt es:

Und raus bist du: Das schwarze Schaf hat es nicht leicht in der Schweiz. Auch Ausländer könnten in der Alpenrepublik künftig Probleme bekommen. (Foto: REUTERS)

"Sie (= die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie:

a. wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder

b. missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben."

Nach der Ausweisung sollen die Betroffenen mit einem Einreiseverbot von fünf bis 15 Jahren belegt werden. Der zentrale Punkt ist aber der Automatismus der Ausweisung. Wenn ein Ausländer sich in der Schweiz strafbar macht, muss er das Land verlassen - unabhängig vom Einzelfall. Es wird also nicht berücksichtigt, wie lange er schon in der Schweiz lebt, wie gut er integriert ist und in welchen Familienverhältnissen er lebt. Anders als bislang könnten Richter nicht mehr wie bisher überprüfen, ob eine Abschiebung auch verhältnismäßig ist.

Für Unsicherheit sorgt eine Formulierung im Wortlaut der Initiative, wonach der Gesetzgeber die Tatbestände für eine Ausweisung näher beschreibt. Nun streiten sich die Eidgenossen darüber, wann ein Ausländer im Falle einer Annahme der Initiative mit einer "Ausschaffung" - so das Schweizer Wort für Ausweisung - rechnen muss.

Gegner warnen, dass ein absolutes Bagatelldelikt zur Ausweisung eines Ausländers führen kann, der seit Jahrzehnten hervorragend integriert in der Schweiz lebt. Für Aufsehen sorgten drei Rechtsprofessoren, die anonym dieser These wiedersprachen. Die SVP nahm dies dankend auf und polterte gegen die "unseriöse Propaganda" der Gegner.

Diese Aktion war aber offenbar nicht mit dem eigenen Chef Christoph Blocher abgesprochen. In einer Talkshow wurde dieser gefragt, ob es einen Unterschied mache, ob einer drei Landjäger in einer Alphütte stiehlt oder in der Bahnhofstrasse ein Juweliergeschäft ausräumt. Der Milliardär Blocher antwortete: "Wer einen Einbruchdiebstahl begeht, der muss gehen."

Die konservative und populistische SVP ist zur stärksten Partei in der Schweiz aufgestiegen, seit sie mit großen Erfolg auf das Thema Ausländer setzt - 2009 lebten 1,68 Millionen Ausländer ständig in der Schweiz, was 21,6 Prozent der Wohnbevölkerung entspricht. Seit Jahren bringt der SVP-Chefstratege Christoph Blocher Volksinitiativen zur Abstimmung, die sich in irgendeiner Form gegen Ausländer richten und mit Vorurteilen spielen. Dabei schreckt die SVP auch nicht davor zurück, gegen das Völkerrecht verstoßen, wie die Minarett-Initiative eindrucksvoll belegt hat.

Die Schweizer Regierung hat dem Volk einen etwas gemäßigteren Vorschlag zur Initiative der SVP unterbreitet, der auch von den bürgerlichen Mitteparteien im Schweizer Parlament, FDP und CVP, unterstützt wird. Der Gegenvorschlag nimmt die Anliegen der SVP auf, ohne die bestehenden Grundrechte der Bundesverfassung und des Völkerrechts zu verletzen. Vor allem soll es hier keinen Automatismus bei der Ausweisung geben und der Ermessensspielraum bei Entscheidungen erhalten werden. Die Sozialdemokratische Partei und die Grünen lehnen beide Versionen ab.

Die Wahlkampfmaschine der SVP läuft seit Wochen auf Hochtouren. Wieder einmal spielen Schafe dabei eine entscheidende Rolle: Auch diesmal bugsiert ein weißes ein schwarzes Schaf mit einem Tritt aus der Schweiz. Ergänzt wird das bekannte Motiv durch böse Buben wie Ivan S., ein Mann mit Glatze, Bart, Unterhemd und Goldkettchen. Über seinen Augen liegt ein großer schwarzer Balken, auf dem steht: "Ivan S., Vergewaltiger, bald Schweizer?".

Dass es bei der Initiative nicht um Einbürgerungsfragen geht, stört die wahlkämpfende SVP und ihren Chef offenbar nicht. Blocher sagt: "Zu viele Ausländer missachten unsere Gastfreundschaft. Sie begehen schwere Straftaten, bedrohen unser Eigentum sowie unsere Gesundheit und unser Leben."

In der Argumentationshilfe, die die SVP auf der Internetseite ausschaffungsinitiative.ch präsentiert, wird behauptet, dass etwa die Hälfte aller Straftäter Ausländer seien. Dort heißt es: "Kriminelle Banden, welche von den offenen Grenzen profitieren, gehen in der Schweiz auf Einbruchstour. Viele Kriminelle nutzen den Asylweg, um in der Schweiz ihren Machenschaften nachzugehen. Daher überrascht es nicht, dass sich der Ausländeranteil bei den Verurteilungen in den letzten 25 Jahren um 65 Prozent erhöht hat." Blochers Lösung: Wer verurteilt wird, "der muss gehen".

Die Gegner der Ausschaffungsinitiative kritisieren vor allem die Willkür des Deliktekatalogs. Schwere Fälle von Steuerbetrug oder Wirtschaftskriminalität werden genauso wenig geahndet wie fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, aber einer schwarz arbeitenden Putzfrau droht die Abschiebung. "Ein so großes Ungleichgewicht kann in einem Rechtssystem nicht sein", sagte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in einem Interview in der Neuen Zürcher Zeitung.

Einen zweiten Kritikpunkt bildet der Automatismus. Der Berner Jura-Professor Alberto Achermann sieht darin einen Bruch mit der Schweizer Rechtstradition. Die Einzelfallprüfung gehöre genauso zu dieser Tradition wie die Verhältnismäßigkeit. "Die Gnadenlosigkeit des Automatismus ist unserem Recht fremd", urteilt Achermann.

Der Strafrechtler Martin Kilian bemängelt zudem, dass die Initiative ins Leere ziele. Die Personen, die am häufigsten straffällig würden, seien jene ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz. Die könnten jedoch meist nicht abgeschoben werden, weil die Herkunftsländer ihre Rücknahme verweigern oder aber die Herkunft unklar ist.

Eine Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für praktische Sozialforschung (GfS) ergab zehn Tage vor der Minarettinitiative eine Ablehnung von 53 Prozent. Das Ergebnis fiel bekanntlich anders aus und das Institut musste heftige Kritik einstecken. Seine Umfragen seien damals wie heute eine Momentaufnahme und keine Prognose, erklärte GfS-Experte Claude Longchamp.

2010 sei die Ausgangslage vor der Abstimmung aber anders und "Verzerrungseffekte" unwahrscheinlich, so Longchamp. Eine Woche vor der Abstimmung zeigt die jüngste Umfrage eine Zustimmung von 54 Prozent.

Mit dieser radikalen Verschärfung seines Ausländerrechts würde die Schweiz nach Einschätzung vieler Experten gegen das Abkommen zur Personenfreizügigkeit verstoßen, das sie mit der Europäischen Union geschlossen hat. Die EU hätte dann das Recht, das Abkommen wegen Vertragsbruchs zu kündigen, was wiederum weite bilaterale Verträge mit der Schweiz zu Fall bringen könnte.

Ein Zerwürfnis mit der EU fürchten viele Schweizer schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Viele Unternehmen halten die Initiative auch deshalb für gefährlich, weil es ihnen die Suche nach qualifizierten Arbeitnehmern im Ausland erschweren könnte. Andere fürchten ganz grundsätzlich um den Ruf des Landes.

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