Pünktliche Züge, abgezählte Weidetiere, blitzsaubere Straßen - na, um welches Land geht's? Richtig, die Schweiz. Ein Land, das förmlich Genauigkeit schreit. Oder sagen wir: ein Land, in dem man zumindest ohne groß darüber nachzudenken den Zahlen vertraut, die die Behörden am Ende eines Wahltages als offizielles Endergebnis bekannt geben.
Doch nun sieht es so aus, als müssten die Schweiz und auch ihre Beobachterinnen und Beobachter einiges überdenken. Am Mittwochmittag, Tag drei nach den eidgenössischen Parlamentswahlen, verschickte das Schweizer Innenministerium eine kleinlaute Mitteilung. Das Bundesamt für Statistik habe "bei Qualitätskontrollen zu seiner Wahlstatistik einen Fehler bei der Berechnung der aggregierten nationalen Parteistärken festgestellt". Drei Kantone hätten ihre Daten zwar korrekt an den Bund übermittelt, doch dort seien sie dann fehlerhaft verarbeitet worden. Die Folge: zu hohe oder zu niedrige Wähleranteile der Parteien im veröffentlichten Endergebnis. Man hat sich also verrechnet. Jawohl. In der Schweiz.
Nun sind die Unterschiede zu den am Sonntagabend veröffentlichten Werten nicht riesig. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) ist nicht ganz so stark gewachsen wie gedacht und legte statt auf 28,6 nur auf 27,9 Prozent zu. Auch die Mitte gewann etwas weniger und steht bei 14,1 statt 14,6 Prozent; bei der FDP sind es 14,3 statt 14,4 Prozent. Den linken Parteien beschert die Korrektur Zuwachs: Die Sozialdemokraten haben 18,3 statt nur 18 Prozent erzielt. Die Grünen schrumpften nur auf 9,8 statt auf 9,4 Prozent, und auch die Grünliberalen verloren weniger und stehen neuerdings bei 7,6 statt 7,2 Prozent.
Nachkommastellen werden künftig vermutlich etwas vorsichtiger interpretiert
Wie das Innenministerium weiter mitteilt, ändert die Korrektur nichts an der Verteilung der Sitze im Nationalrat. Doch weil man eben in der stabilitätsverwöhnten Schweiz nach Parlamentswahlen auch über Nachkommastellen diskutiert, ist die ganze Sache nun doch etwas peinlich. So sind seit Sonntag bereits einige Texte erschienen, die sich dem leicht höheren Wähleranteil der Mitte-Partei widmen. Schließlich - so zumindest die Faktenlage bis Mittwochmittag - überholte die Partei damit die altehrwürdige FDP, den sogenannten Freisinn, der früher einmal die wichtigste und größte Partei des Landes darstellte. Sogar Abgesänge auf diese Partei sind schon erschienen, weil sie erstmals nur viertstärkste Kraft geworden ist - so dachte man zumindest.
Und nun? Doch kein Ende des Freisinns? Und was die SVP betrifft: Tatsächlich nur ein "Rechtsrütschli" statt eines Rechtsrutschs? In einigen Redaktionen, so darf man vermuten, werden die Nachkommastellen künftig wohl etwas vorsichtiger interpretiert. Und auch sonst wird das Land sicherlich alles daransetzen, dass so etwas nie wieder vorkommt. Der Schweizer Innenminister Alain Berset, so steht es in der Mitteilung vom Mittwoch, sei umgehend über den Fehler informiert worden und habe eine Überprüfung der Prozesse veranlasst. Künftig werde es "eine umfassendere automatisierte Plausibilitätsprüfung der Berechnungen" geben, außerdem "noch mehr Kontrollpersonal am Wahltag". Eine solche Panne will die Weltmeisterin der Genauigkeit nicht auf sich sitzen lassen.