Schweden:Neue Freunde braucht das Land

Schweden: Schwedens neuer Premier Ulf Kristersson sucht das Gespräch mit der Türkei.

Schwedens neuer Premier Ulf Kristersson sucht das Gespräch mit der Türkei.

(Foto: Vesa Moilanen/AFP)

Ministerpräsident Ulf Kristersson möchte die Türkei überzeugen, einem Nato-Beitritt Schwedens zuzustimmen. Er ist bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen.

Von Alex Rühle, Stockholm

Für Ulf Kristersson steht an diesem Dienstag eine wichtige Reise an: Der neue schwedische Ministerpräsident fährt nach Ankara, um Recep Tayyip Erdoğan zu treffen, den türkischen Präsidenten, der bisher die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato blockiert. Um offiziell Mitglied zu werden, müssen die Parlamente aller Nato-Länder der Neuaufnahme in das Bündnis zustimmen; außer Ungarn und der Türkei haben dies sämtliche Mitgliedstaaten getan. Wenn Kristersson Erdoğan umstimmen könnte, wäre das ein erster außenpolitischer Erfolg für ihn. Die Frage ist, ob er dafür womöglich einen zu hohen Preis zahlt.

Schweden und Finnland hatten ihre Beitrittsanträge im vergangenen Mai noch gar nicht im Brüsseler Nato-Hauptquartier eingereicht, da kündigte Erdoğan bereits an, er werde ihrer Aufnahme nur zustimmen, wenn sich beide Länder stärker für die "Bekämpfung des Terrorismus" engagieren. Im Juni unterzeichneten Schweden, Finnland und die Türkei dann ein Memorandum, in dem Stockholm und Helsinki der Türkei "ihre volle Unterstützung" gegen Bedrohungen der nationalen Sicherheit zusichern. Beide Länder versprachen, ihre Exportkontrollbeschränkungen für Waffen zu überarbeiten, den Kampf gegen Terrorgruppen wie die PKK zu verschärfen und die Zusammenarbeit mit der türkischen Justiz zu verbessern.

Kritiker des Memorandums sagten seinerzeit, Schweden und Finnland seien dem türkischen Präsidenten zu weit entgegengekommen, der aber beschuldigte beide Staaten weiterhin, Terroristen zu beherbergen; insbesondere Schweden, so sagte er erst am vergangenen Freitag wieder, sei "Brutstätte für den Terror".

Stockholm wolle den syrisch-kurdischen Organisationen nicht mehr helfen

Tobias Billström, der neue Außenminister in Kristerssons Kabinett, kündigte nun am Wochenende in einem Interview an, Stockholm werde der kurdisch-syrischen YPG-Miliz und deren politischem Zweig, der PYD-Partei, keine humanitäre Hilfe mehr leisten. Die YPG ist seit Langem ein Verbündeter der Nato und der USA im Kampf gegen den IS in Syrien und wurde bislang auch von Schweden unterstützt. Die damals noch regierenden Sozialdemokraten hatten im vergangenen Jahr sogar eine Ausweitung der finanziellen Hilfen Schwedens für die YPG angekündigt.

Seit zwei Wochen hat Schweden eine neue Regierung: Ministerpräsident Ulf Kristersson von der bürgerlichen Moderaten Partei hat mit Christdemokraten und Liberalen eine Minderheitskoalition gebildet, die von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten gestützt wird. Billström erklärte nun, die Verbindung "zwischen YPG/PYD und der PKK, die von der EU als Terrororganisation eingestuft wird", sei "zu eng, um gut für die Beziehungen zwischen uns und der Türkei zu sein". Hauptziel seiner Regierung seien Schwedens Nato-Mitgliedschaft und erfolgreiche Beitrittsverhandlungen.

Erdoğans Berater sprach von einer "richtigen Entscheidung"

Die türkische Botschaft in Schweden zeigte sich von Billströms Aussagen erwartungsgemäß ebenso angetan wie die Regierung in Ankara. Erdoğans Berater Ibrahim Kalin sprach im schwedischen Fernsehen von einer "richtigen Entscheidung". Morgan Johansson, der ehemalige schwedische Justizminister und jetzige außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, sprach dagegen von "Verrat" und nannte den Umgang der neuen Regierung mit dem Nato-Prozess sowohl "besorgniserregend" als auch "enttäuschend".

Håkan Svenneling, außenpolitischer Sprecher der Linkspartei, sagte, Billströms und Kristerssons Äußerungen seien "ein gefährliches Signal, dass Schweden dem Druck eines autoritären Führers nachgibt". Und Kurdo Baksi, schwedisch-kurdischer Schriftsteller und Journalist, schrieb in Dagens Nyheter, Kristersson mache sich mit dieser Reise und den großen Zugeständnissen der neuen Regierung zu Erdoğans "bestem Wahlkampfhelfer". Im kommenden Juni stehen in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, Erdoğan kämpft mit schlechten Umfragewerten, einer leeren Staatskasse, Rekordarbeitslosigkeit und 80 Prozent Inflation.

Womit Billström und Kristersson nicht gerechnet haben dürften: Shiyar Ali, der Sprecher der YPG in Schweden, forderte die Stockholmer Regierung nun auf, "ihre IS-Schweden" nach Hause zu holen. Die kurdische Miliz und ihr politischer Flügel PYD kontrollieren Teile Nordostsyriens. Tausende IS-Gefangene sind dort in Lagern inhaftiert, darunter auch mehrere schwedische Staatsbürger. "Warum sollten wir uns um Schwedens Terroristen kümmern, wenn sich die Regierung von einer Organisation distanziert, die den Terrorismus bekämpft und dafür teuer bezahlt?", sagte Shiyar Ali dem Sender TV4 in Reaktion auf Billströms Interview. Die Regierung in Stockholm hat bisher kein großes Interesse daran gezeigt, ihre mutmaßlichen Islamisten nach Schweden zurückzuholen.

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