Nato-Erweiterung:Erdoğan droht Stockholm mit Blockade

Nato-Erweiterung: Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei.

Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Eine Koranverbrennung und Karikaturen gefährden womöglich Schwedens Beitritt zum Verteidigungsbündnis. Indes zeigt eine Zeitschrift neue Zeichnungen - auch mit dem türkischen Präsidenten in Bondage-Pose.

Von Alex Rühle, Stockholm

Das türkisch-schwedische Empörungskarussell dreht sich mittlerweile so schnell, dass man kaum noch hinterherkommt. Am Samstagmittag brannte ein Koran vor der türkischen Botschaft in Stockholm, nachmittags zogen Nato-Gegner und Sympathisanten des kurdischen Freiheitskampfes durch die Innenstadt und liefen dabei über ein Foto von Recep Tayyip Erdoğans Gesicht. Die Demonstranten hatten eine Puppe des türkischen Präsidenten dabei, die sie zehn Tage zuvor an den Füßen aufgehängt hatten. All das führte in der Türkei, aber auch in vielen arabischen Ländern am Wochenende zu großen Demonstrationen und Protesten. Am Montagabend verkündete dann Erdoğan nach einem Kabinettstreffen, Schweden solle keine türkische Unterstützung mehr für seine Nato-Mitgliedschaft erwarten. Wer "die Gotteslästerung vor unserer Botschaft" erlaube, könne nicht länger auf die Hilfe der Türkei setzen, sagte er.

Zu alldem kommt nun auch noch ein Erdoğan-Karikaturenwettbewerb: Die sozialistische Zeitschrift Flamman hat dazu aufgerufen, als symbolische Verteidigung der Meinungsfreiheit und Protest gegen die schwedische Regierung, die ihrer Meinung nach in dem Versuch, der türkischen Regierung die Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitritt abzutrotzen, die demokratischen Werte verrät. Nach eigenen Angaben gingen bei der Redaktion 400 Einsendungen ein. Das Gewinnerbild zeigt einen alten Mann, der in beiden Händen einen kleinen Menschen hält und drauf und dran ist, ihm mit vampirhaften Fangzähnen den Kopf abzubeißen. Anscheinend hat er ihm schon die Füße verstümmelt. Im Opfer des Menschenfressers kann man der Bekleidung nach einen kurdischen Widerstandskämpfer vermuten.

Der prämierte Zeichner, ein Absolvent der Stockholmer Kunsthochschule, spielt an auf Goyas düsteres Gemälde "Saturn verschlingt seine Kinder", das Leonidas Aretakis, der Flamman-Herausgeber im Gespräch mit der SZ als "künstlerische Antwort auf die Schrecken des Krieges und der Inquisition" deutet. "Nur dass es diesmal Erdoğan ist, der seine eigenen Kinder frisst." Fünf schwedische Zeitungen, darunter Expressen, sowie die finnische Ny Tid haben in einem publizistischen Schulterschluss erklärt, die Karikatur ebenfalls veröffentlichen zu wollen.

Die Demonstranten sind für Erdoğans Regierung "Terroristen"

Das Gewinnerbild ist wahrscheinlich zu artifiziell und abstrakt für große Twitter-Empörung. Flamman wird aber noch 16 weitere Bilder aus dem Wettbewerb zeigen, die weniger subtil sind, zeigen sie Erdoğan und seinen schwedischen Kollegen Ulf Kristersson doch beispielsweise als schwules Bondage-Pärchen oder als Harems-Pascha mit kleinem Lustsklaven. Wenn diese Bilder viral gehen, und davon ist auszugehen, dürfte es noch schwerer werden mit den schwedisch-türkischen Verhandlungen.

Schon die Puppenaktion bezeichneten mehrere türkische Regierungsmitglieder als "Terror" und die Samstagsdemonstranten als "Terroristen". Erdoğans Sprecher Fahrettin Altun verglich die Koranverbrennung mit der Reichspogromnacht 1938, was eher etwas über die Maßlosigkeit der türkischen Empörung sagt als über die geschmacklos populistische Einmannaktion des dänischen Rechtsextremen Rasmus Paludan.

Nato-Erweiterung: Wut in Istanbul: Aufgebrachte Menschen protestieren vor dem schwedischen Konsulat gegen die Provokationen aus Skandinavien.

Wut in Istanbul: Aufgebrachte Menschen protestieren vor dem schwedischen Konsulat gegen die Provokationen aus Skandinavien.

(Foto: Khalil Hamra/AP)

Dazu kommt noch der weltweite Internetmob, der hektoliterweise Öl ins Feuer gießt, indem Halbwahrheiten mit Hetze vermengt werden. So insinuierte etwa der tschetschenische Provinzdiktator Ramsan Kadyrow, hinter der Koranverbrennung stehe die schwedische Regierung: "Ich bin der festen Überzeugung, dass diese abscheuliche Tat nicht nur genehmigt, sondern auch von politischen Kräften initiiert und bezahlt wurde. Sonst wäre eine so harte und herausfordernde Provokation nicht genehmigt worden."

Die traurige Pointe: Kadyrow trifft insofern einen Punkt, als im Nachhinein herauskam, dass es die Schwedendemokraten waren, die Rasmus Paludan sowohl die Demonstrationsgebühren als auch die Kosten für seinen Flug aus Kopenhagen bezahlt haben. Die Schwedendemokraten sind zwar nicht Teil der schwedischen Dreiparteienkoalition, haben aber dadurch, dass sie bei der Wahl im vergangenen Herbst die meisten Stimmen im konservativen Lager bekommen haben, immensen Einfluss auf die Regierungspolitik. Paludan, der auch die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt, spulte während seiner Koranverbrennung im Grunde das rechtspopulistische Programm der Schwedendemokraten ab, indem er gegen Migranten und Muslime hetzte und sie allesamt als Verbrecher und Sozialschmarotzer brandmarkte.

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Bülent Keneş ist Journalist im schwedischen Exil. Und, glaubt man den Worten des türkischen Präsidenten, der Grund, warum Schweden bisher nicht der Nato beitreten darf.

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