Schweden bekommt erstmals in seiner Geschichte eine Regierung, die von der Unterstützung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängig sein wird. Das Parlament in Stockholm wählte am Montag mit 176 zu 173 Stimmen Ulf Kristersson von den bürgerlichen Moderaten zum Regierungschef. Kristerssons Minderheitsregierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen wird am Dienstag ihr Amt antreten. Die einst von Nazis mitbegründeten Schwedendemokraten sind offiziell nicht Teil der Regierung, als Unterstützerpartei aber nun unverzichtbarer Teil des rechten Machtblocks.
Die von den neuen Partnern Ende letzter Woche vorgestellte Kooperationsvereinbarung gilt unter politischen Beobachtern als großer Erfolg für die Schwedendemokraten. Sie sitzen zwar nicht mit Ministern in der Regierung, konnten sich jedoch ein eigenes Koordinierungsbüro am Regierungssitz aushandeln - und schafften es, dass ein Großteil ihrer Vorstellungen in der Ausländer- und Migrationspolitik nun offizielle Regierungspolitik Schwedens sind. Von einem "Jackpot für die Schwedendemokraten" spricht die liberale Zeitung Dagens Nyheter.
Zum Programm gehören nicht nur eine Verdoppelung der Strafen für Bandenkriminelle, die Beschränkung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen und die Absenkung der Asylzuwanderung auf das niedrigste mögliche Niveau, das das EU-Recht noch zulässt. Die neue Koalition möchte zum Beispiel auch untersuchen, inwieweit man Einwanderern das Recht auf einen Dolmetscher absprechen kann.
Was missfällt, soll weg
Außerdem will man die Möglichkeit prüfen, ausländische Staatsbürger wegen "mangelhaften Lebenswandels" abschieben zu können. Das kann zum Beispiel die Verwicklung in Prostitution oder Drogenmissbrauch sein oder aber eine Lebensweise, die "die schwedischen Grundwerte" bedroht. In der Vereinbarung heißt es unter anderem, jeder mit Aufenthalt in Schweden sei verpflichtet, sich "nicht in einer Weise zu verhalten, die der Bevölkerung missfällt". Wer in der Regierung denn bestimmen wolle, was ein "mangelhafter Lebenswandel" sei, fragte die Linkspartei-Vorsitzende Nooshi Dadgostar am Montag: "Das öffnet Tür und Tor zu lebensbedrohlicher Rechtsunsicherheit und autoritärer Willkür."
Vor allem außerparlamentarische Teile der Liberalen Partei, die sich bislang als Verteidiger von Freiheit und Humanismus verstand, sind nun in Aufruhr. Die scheidende liberale Parlamentarierin Barbro Westerholm sagte, sie sei "so naiv gewesen, zu denken, dass die Schwedendemokraten niemals so großen Einfluss bekommen würden". Die ehemalige Liberalen-Parteichefin Maria Leissner nannte das Programm "fremdenfeindlich". Die Jugendorganisation der Liberalen verlangte von den Parlamentariern im Vorfeld vergeblich, gegen Ulf Kristersson zu stimmen. Das Abkommen sei "Punkt für Punkt autoritär".
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Der amtierende Liberalen-Parteichef Johan Pehrson verteidigte seine Zustimmung zu dem Abkommen. Jeder Kompromiss sei "ein Geben und ein Nehmen". Der Liberalismus des Jahres 2022 müsse akzeptieren, dass "die große Bedrohung der Freiheit in diesem Land darin besteht, dass Menschen erschossen werden".
Kurz vor der Abstimmung waren die Schwedendemokraten erneut von einem Skandal eingeholt worden: Die prominente SD-Influencerin Rebecka Fallenkvist hatte nach der Lektüre von "Das Tagebuch der Anne Frank" auf Instagram kommentiert, nach den ersten 50 Seiten sei ihr Anne Frank "bisher nur unmoralisch vorgekommen. Die Geilheit selbst". Die SD-Führung distanzierte sich und kündigte eine interne Untersuchung an.