Süddeutsche Zeitung

Schweden:Auf ein Neues

Zweiter Anlauf für die Sozialdemokratin Magdalena Andersson nach dem Wahlchaos am Mittwoch: Am kommenden Montag tritt sie erneut an, um die erste Regierungschefin des Landes zu werden.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Magdalena Andersson erhält eine zweite Chance. Schwedens Parlamentspräsident Andreas Norlén nominierte sie am Donnerstagnachmittag in Stockholm erneut als aussichtsreichste Kandidatin für den Posten der Ministerpräsidentin. Am kommenden Montag schon soll das Parlament erneut über die 54-jährige bisherige Finanzministerin abstimmen.

Andersson war am Mittwochmorgen schon einmal gewählt worden, nur um dann am Abend desselben Tages zurückzutreten, weil ihr in den Stunden dazwischen der grüne Koalitionspartner verloren gegangen war. Die Wahl Anderssons gilt als wahrscheinlich, da sämtliche Unterstützerparteien - inklusive der Grünen - auch nach den dramatischen Ereignissen des Mittwochs erneut zugesagt haben, für sie stimmen zu wollen.

Schweden reibt sich noch immer die Augen nach einem Tag, der "selbst für eine Seifenoper zu unglaubwürdig gewesen wäre", wie die Zeitung Dagens Nyheter schrieb. Parlamentspräsident Norlén kritisierte am Donnerstag vor allem das Vorgehen der Grünen, die zur Überraschung vieler die Regierungskoalition aufgekündigt hatten. Norlén sagte, das Chaos dieses Mittwochs lasse die Politik dem Volk "unvernünftig und unberechenbar" erscheinen, es könne die Demokratie in Misskredit bringen. Um "den Schaden zu begrenzen" solle die Neuwahl nun so schnell wie möglich erfolgen. Bis dahin wird weiter der schon zurückgetretene Sozialdemokrat Stefan Löfven geschäftsführend die Regierung anführen.

Eine Frage wenigstens war bald geklärt: War Magdalena Andersson nun Schwedens erste Frau auf dem Ministerpräsidentenposten oder nicht? Die Auskunft von Verfassungsexperten lautet übereinstimmend: Nein, war sie nicht. Der Reichstag, das schwedische Parlament hatte sie zwar am Mittwoch morgen in das Amt gewählt - sie hat es aber nie angetreten. Der offizielle Amtsantritt wäre erst bei der ursprünglich für Freitag geplanten Vorstellung ihres neuen Kabinetts vollzogen worden.

Kriminalität und Migration sind die offenen Flanken der Sozialdemokraten

Die Sozialdemokraten gaben sich am Donnerstag alle Mühe, dem Drama vom Mittwoch einen positiven Spin zu verpassen. Ja, man musste gleich drei herbe Niederlagen einstecken - Magdalena Andersson verlor den Haushalt, den grünen Koalitionspartner und ihren schönen neuen Posten. Aber, so die Botschaft, vielleicht stecke in so viel unverhoffter Krise ja auch eine unerwartete Chance?

Falls Magdalena Andersson nämlich die Wiederwahl schafft, so das Argument, dann müsste sie die verbleibenden zehn Monate bis zur nächsten Parlamentswahl wenigstens keine Rücksicht mehr nehmen auf den in der Vergangenheit manchmal unbequemen grünen Koalitionspartner. Andersson selbst wies darauf hin, dass die schwedische Politik sich dann der dänischen annähern würde: Die dänischen Sozialdemokraten regieren seit der Wahl 2019 allein, ihre Minderheitsregierung stützt sich auf kleine rot-grüne Unterstützerparteien, geht aber punktuell auch Kooperationen mit den bürgerlichen Parteien ein. Insgeheim hätten die Sozialdemokraten "schon lange geträumt" von einer Einparteienregierung, glaubt die Zeitung Dagens Nyheter: "Sie können dann alle Ministerämter selbst besetzen und vermeiden Kompromisse mit den Grünen in der Migrations-, Kriminal- und Wirtschaftspolitik."

Seit der Eskalation der Bandenkriminalität in Schwedens Vorstädten sind vor allem die Themen Kriminalität und Migration zu den offenen Flanken der Sozialdemokraten geworden. Der alte Ministerpräsident Stefan Löfven war auch deshalb zurückgetreten, weil er seiner Nachfolgerin die Möglichkeit geben wollte, sich vor der Wahl 2022 auf diesen Feldern profilieren zu können.

Die Frage ist allerdings, ob der Optimismus berechtigt ist. Die Sozialdemokraten werden für jeden politischen Erfolg im Parlament die Stimmen ihrer Unterstützerparteien brauchen, also der Grünen, der Linken und der wirtschaftsliberalen Zentrumspartei - und wie der Mittwoch gezeigt hat, sind diese Parteien einander im Moment spinnefeind. Der öffentlich-rechtliche Sender SVT schrieb in einem Kommentar, der "Alptraum" vom Mittwoch sei erst der Anfang, Andersson gehe "schweren Zeiten" entgegen.

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