Schweden:Polizistenmord überschattet Suche nach neuer Regierung

Polizisten sichern in Göteborg den Tatort, wo ein Kollege erschossen wurde.

Polizisten sichern in Göteborg den Tatort, wo ein Kollege erschossen wurde.

(Foto: Björn Larsson Rosvall/Imago)

Gerade trat er zurück, jetzt darf der Sozialdemokrat Stefan Löfven sich wieder an der Regierungsbildung versuchen. Der Mord an einem Polizisten entsetzt derweil das Land.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

In Schweden geht die Suche nach einer neuen Regierung in die zweite Runde. Nach dem Rücktritt des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven am Montag hatte der Parlamentspräsident zunächst Oppositionsführer Ulf Kristersson von den bürgerlichen Moderaten mit Sondierungsgesprächen beauftragt. Kristersson allerdings erklärte seinen Versuch schon am Donnerstag als gescheitert. "Die parlamentarischen Voraussetzungen für eine Regierung rechts der Mitte existieren einfach nicht", sagte Kristersson.

Nun ist erneut Stefan Löfven an der Reihe. Er hat bis Montag Zeit, die ehemaligen Unterstützerparteien seiner rot-grünen Minderheitsregierung zu einem neuen Anlauf zu überreden. Die Linkspartei hatte die Tolerierung der Regierung aufgekündigt wegen einer geplanten Liberalisierung der Mietpreise, später desertierten auch die Liberalen aus dem Löfven-Lager. Die Linkspartei wenigstens erklärte mittlerweile, sie wolle Löfven wieder unterstützen.

Insgesamt sieht die Verfassung höchstens vier solcher Sondierungsrunden vor. Scheitern alle vier, dann gibt es Neuwahlen. Übergangsweise wird Schweden solange weiter von Löfven regiert.

Schweden: Stefan Löfven bekommt noch eine Chance.

Stefan Löfven bekommt noch eine Chance.

(Foto: Stina Stjernkvist/AP)

Überschattet wurde die Suche nach einer neuen Regierung vom Mord an einem Polizisten in Göteborg in der Nacht zum Donnerstag. Ein 33-jähriger Polizeibeamter wurde das Opfer einer Drive-by-Schießerei im Göteborger Stadtteil Biskopsgarden. Dieses Viertel wird seit Jahren von Bandenkriminalität heimgesucht. Die Staatsanwaltschaft erklärte am Freitag, dass der Polizist sich dem jetzigen Stand der Ermittlungen zufolge offenbar zur falschen Zeit am falschen Ort befunden hatte: "Wahrscheinlich ging es nicht darum, diesen Polizisten gezielt zu töten", sagte Staatsanwältin Ulrike Åberg. Bald weiß man es vielleicht genauer, denn ebenfalls am Freitag nahm die Polizei einen 17-Jährigen als Verdächtigen fest. Dieser bestritt das Verbrechen.

Schweden reagierte schockiert auf die Tat. Es ist der erste Polizistenmord seit 14 Jahren. Und er kommt zu einer Zeit, da die Bandenkriminalität insgesamt stark zunimmt. Ende Mai erst hatte Schwedens nationale Behörde für Verbrechensvorbeugung Brå einen Bericht vorgestellt, demzufolge Schweden mittlerweile die Nummer eins ist unter 22 europäischen Ländern bei der Zahl der Todesopfer durch Schießereien. Schweden ist demnach das einzige Land in Europa, in dem die Zahl der tödlichen Schießereien in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen ist.

Das konservative Boulevardblatt Expressen nannte die Tat von Göteborg eine "Kriegserklärung an unsere Gesellschaft": Seit vielen Jahren gebe es eine "Annexion unserer Vororte", schrieb die Zeitung: "Wir haben uns gewöhnt an die Parallelgesellschaften, an kriminelle Gruppen, die dort das Sagen haben." Auch der Kommentator der den Sozialdemokraten nahestehenden Boulevardzeitung Aftonbladet schrieb, Angst sei in Schweden mittlerweile "alltäglich". Die Zeitung erinnerte an die Opfer der vergangenen beiden Jahre: eine junge Mutter, die in Malmö auf offener Straße erschossen wurde, während sie ihr Baby im Arm hielt. Oder ein zwölfjähriges Mädchen, das vor einem Schnellimbiss in Alby Opfer einer Kugel wurde. "Wo der Staat sein Gewaltmonopol verliert", so Aftonbladet, "bricht die Gesellschaft zusammen."

Generell liegt die Verbrechensrate in Schweden weiter unter dem europäischen Durchschnitt. Das Land hat allerdings ein großes Problem mit der Bandenkriminalität in vorwiegend von Immigranten bewohnten Stadtteilen. Als amtierender Ministerpräsident versicherte Stefan Löfven nun erneut, dass die Regierung im Kampf gegen die Gangs "niemals nachgeben" werde. Die Opposition macht die Politik seiner Regierung allerdings mitverantwortlich für den Anstieg der Gewalt. Allgemein wird erwartet, dass das bürgerliche und das rechtspopulistische Lager profitieren, wenn die Kriminalität bei den nächsten Wahlen zu einem bestimmenden Thema wird. Die Law-and-Order-Debatte, schreibt die liberale Zeitung Dagens Nyheter, könne zum "Schicksalsthema für die Regierung" werden.

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