Schweden:Hilfe für die Türkei und Hoffnung auf die Nato

Schweden: Rettungsteams, Hilfsmittel, Geld: Schweden hat der Türkei sofortige Unterstützung bei der Bewältigung der Erdbebenkatastrophe versprochen.

Rettungsteams, Hilfsmittel, Geld: Schweden hat der Türkei sofortige Unterstützung bei der Bewältigung der Erdbebenkatastrophe versprochen.

(Foto: DILARA SENKAYA/REUTERS)

Präsident Erdoğan lehnt einen Nato-Beitritt Schwedens bislang ab, nun versucht das verschmähte Land eine Annäherung auf humanitärem Weg: durch Geld und Rettungsteams für Erdbebenopfer.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die Nachricht vom schweren Erdbeben in der Türkei war am Montagmorgen kaum über die Ticker gelaufen, da kündigte die schwedische Regierung erste finanzielle Unterstützung und die Entsendung von Rettungsmannschaften und Hilfsmitteln an. Am Dienstag wurde dann ein zweites Hilfspaket geschnürt, die Regierung versprach, umgehend 30 Millionen Kronen (rund 2,7 Millionen Euro) für die Region bereitzustellen. Premierminister Ulf Kristersson twitterte tiefstes Beileid und betonte, man stehe als "Partner der Türkei" bereit, weitere Hilfe zu leisten. In den schwedischen Zeitungen wurde daraufhin eifrig diskutiert, ob diese großzügigen Hilfen vielleicht positive Auswirkungen auf den stockenden Nato-Beitritt haben könnten - was wahrscheinlich mehr über aktuelle schwedische Ängste aussagt als über den tatsächlichen Stand der Verhandlungen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte vergangene Woche angedroht, nur Finnlands Nato-Antrag zu unterzeichnen. Schweden und Finnland haben sich im vergangenen Frühjahr gemeinsam um die Mitgliedschaft beworben. Anfang Januar wurde auf einer Demonstration in Stockholm eine Erdoğan-Puppe an den Füßen aufgehängt. Kurz darauf verbrannte der schwedisch-dänische Rechtsextreme Rasmus Paludan vor der türkischen Botschaft einen Koran. In der muslimischen Welt wurden daraufhin schwedische Fahnen verbrannt. Die schwedische Botschaft in Ankara musste vorübergehend schließen, und Erdoğan sagte, Schweden könne nicht mehr mit türkischer Unterstützung im Nato-Prozess rechnen.

Eine erneute Koranverbrennung hat die schwedische Polizei verboten

An diesem Donnerstag wollte nun eine kleine schwedische Gruppierung namens Apallarkerna erneut einen Koran vor der türkischen Botschaft verbrennen, was aber diesmal verboten wurde. Die Gruppe schreibt, sie wolle zum einen die Meinungsfreiheit verteidigen, zum anderen sei sie gegen eine schwedische Nato-Mitgliedschaft und hoffe, den Beitrittsprozess durch die Verbrennung weiter zu erschweren. Die schwedische Polizei erklärte das Verbot damit, die Aktion könne "schwere Störungen der nationalen Sicherheit hervorrufen". Es gebe seit Paludans Koranverbrennung ein "verändertes Bedrohungsbild gegen Schweden".

Die USA und Großbritannien hatten zuletzt vor Vergeltungsschlägen gegen Schweden gewarnt. Die US-Botschaft in Stockholm fordert die Amerikaner in Schweden dringend auf, öffentliche Versammlungen zu vermeiden. Der schwedische Staatsschutz Säpo fügte hinzu, dass eine Fake-News-Kampagne die Situation weiter anheize: Länger schon wabert das Gerücht durch die sozialen Netzwerke, die schwedischen Sozialdienste würden muslimischen Familien gezielt die Kinder wegnehmen. Nach den Anti-Erdoğan-Protesten und Paludans Koranverbrennung nahmen die Drohungen gegen Mitarbeiter der Sozialdienste derart massiv zu, dass die Regierung dem Gerücht in einer eigenen Pressekonferenz entgegentrat: "Die Sozialdienste und der schwedische Staat entführen keine Kinder", sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson.

Auch in Finnland gab es eine Erdoğan-Provokation

Was nun den schwedisch-finnischen Beitrittsprozess angeht, so war doch auffällig, dass der US-amerikanische Außenminister Tony Blinken und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Mittwoch keine klaren Aussagen machten, was die gemeinsame Aufnahme von Schweden und Finnland in das Verteidigungsbündnis angeht. Den Fragen mehrerer schwedischer Journalisten, ob Finnland auch alleine aufgenommen werden könnte, wichen beide aus.

Was in den Ereignissen bislang etwas unterging: Auch in Finnland führten PKK-Sympathisanten auf einer Demonstration eine Erdoğan-Puppe mit, allerdings nicht in der Hauptstadt Helsinki, sondern im nordfinnischen Oulu. Die Initiatoren der prokurdischen Demonstration warfen Erdoğan auf der Kundgebung am Montag unter anderem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und forderten die Freilassung des seit 1999 inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan. Die Puppe des türkischen Präsidenten war mit dem Wort "Terrorist" beschriftet. Bisher gab es darauf keinerlei Reaktionen aus der Türkei. Stattdessen schrieb die Nachrichtenagentur Bloomberg, die Türkei stehe unmittelbar davor, den finnischen Antrag zu ratifizieren.

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