Schweden:"Verlierer überall"

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Keineswegs erfreut, obwohl das Misstrauensvotum gegen ihren Justiz- und Innenminister gescheitert ist: Magdalena Andersson, Schwedens Regierungschefin. (Foto: Anders Wiklund/dpa)

Die Regierung in Stockholm übersteht ein Misstrauensvotum, handelt sich aber womöglich weitere Hürden auf dem Weg zum Nato-Beitritt ein.

Von Kai Strittmatter, Kiruna

Die schwedische Regierung bleibt im Amt. Ein Misstrauensantrag der Opposition gegen Justiz- und Innenminister Morgan Johansson wegen dessen angeblicher Versäumnisse in der Verbrechensbekämpfung scheiterte am Dienstag mit dem knappstmöglichen Ausgang: 175 Stimmen hätte der Antrag benötigt, 174 hat er bekommen. Bei einem Sieg der Opposition wäre die Regierung geschlossen zurückgetreten, Schweden ist damit drei Monate vor der Parlamentswahl und mitten im Nato-Beitrittsprozess haarscharf an neuerlichem Regierungschaos vorbeigeschrammt. Auch deshalb zeigte sich die sozialdemokratische Premierministerin Magdalena Andersson nach der Abstimmung keineswegs in Feierlaune. Sie sprach von "politischen Spielchen" zur unpassendsten Zeit.

Die Einschätzung unter den Kommentatoren in Stockholm war eindeutig: "Niemand hat gewonnen", kommentierte das sozialdemokratische Boulevardblatt Aftonbladet, "Alle sind Verlierer", schrieb die Konkurrenz beim konservativen Expressen.

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Sieger wurden höchstens zwei ausgemacht, einer davon angeschlagen: Minister Johansson blieb die Abwahl erspart, er musste sich von der Opposition aber tagelang einen Versager schimpfen lassen. Und dann gab es noch eine überraschende Gewinnerin: Amineh Kakabaveh. Die einst für die Linken angetretene, heute unabhängige Abgeordnete spielte das Zünglein an der Waage. Sie zierte sich bis zum Morgen des Dienstag mit ihrer Entscheidung und spannte ganz Schweden auf die Folter, bis sie schließlich im Reichstag ans Rednerpult trat und erklärte, ihr Vertrauen in den Minister sei "ungebrochen". Anschließend enthielt sie sich der Stimme und vereitelte so den Angriff der Opposition.

Entscheidend ist eine Abgeordnete kurdischer Herkunft. Das gefällt Erdoğan nicht

Sofort begann die Debatte, welchen Deal es wohl zwischen der Regierung und Kakabaveh gegeben habe - vor allem aber, ob daraus nun für Schweden nicht noch ein Kollateralschaden erwachsen könnte. Die ausschlaggebende Stimme nämlich, die die Regierung am Dienstag rettete, gehört mit Kakabaveh - Ironie der Zeitläufe - einer Abgeordneten kurdischer Abstammung, einer der einflussreichsten Kämpferinnen für die Sache der Kurden in Schweden. Und das zu einer Zeit, da der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Schwedens Nato-Beitrittsantrag blockiert mit der Begründung, Schweden zeige zu viel Sympathie für kurdische "Terroristen". Erdoğan verlangt ein härteres Vorgehen Stockholms gegen jede Form von kurdischem Aktivismus.

Schwedens Justiz- und Innenminister Morgan Johansson geht schwer angeschlagen aus dem Votum vom Dienstag hervor. (Foto: Jussi Nukari/Imago/Lehtikuva)

Amineh Kakabaveh kam einst als Flüchtling nach Schweden. Sie wurde in Iran geboren und hat als Jugendliche für die kurdischen Peschmerga gekämpft, bevor sie in den 1980er-Jahren nach Schweden floh und dort die Universität besuchte.

Im Parlament machte sie sich für Frauenrechte stark, lenkte die Aufmerksamkeit auch auf die Unterdrückung von Frauen in den patriarchalischen Clanstrukturen muslimischer Einwandererfamilien. Das Magazin Fokus erklärte sie dafür 2016 zur "Schwedin des Jahres", ihre eigene Partei warf ihr jedoch vor, Ausländerfeinden in die Hände zu spielen. 2019 trat sie aus der Linkspartei aus.

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"Von der Guerillasoldatin zur Mächtigsten im Lande", überschrieb Aftonbladet am Dienstag einen Artikel über sie. Schon bei der Wahl von Magdalena Andersson zur Premierministerin im vergangenen November hatte Kakabavehs Stimme den Ausschlag gegeben - und sie nutzte die ihr zugefallene Macht damals, um sich von den Sozialdemokraten in einem Abkommen Garantien geben zu lassen unter anderem für eine Unterstützung der kurdischen Partei PYD in Nordsyrien und für ein Eintreten für die Rechte inhaftierter Kurdenführer in der Türkei.

In Schweden ist das alles klassische sozialdemokratische Außenpolitik. Die Sache im Moment ist allerdings die, dass genau diese Politik nun Tayyip Erdoğan ein Dorn im Auge ist. Erdoğan wirft die syrische PYD in einen Topf mit der auch in der Türkei operierenden PKK, nennt beide Terrororganisationen und droht deshalb, Schwedens Weg in die Nato zu blockieren.

Premierministerin Magdalena Andersson erklärte am Dienstag "sehr klar, dass wir gegenüber Amineh Kakabaveh keine weiteren Zugeständnisse gemacht haben". Das mag schon sein, schrieb die liberale Zeitung Dagens Nyheter in einem Leitartikel nach der Abstimmung. Das politische Chaos der letzten Tage aber habe das schon fast vergessene Novemberabkommen zwischen Kakabaveh und den Sozialdemokraten ans Licht gezerrt: "Die schwedische Regierung war gezwungen, das Papier an einem Fahnenmast zu hissen und es vor den Augen der Welt und Erdoğans zu schwenken." Erdoğan werde nun noch weniger einlenken, fürchtet die Zeitung. Und identifiziert noch weitere Gewinner des Dienstags: "Schwedens Nato-Gegner dürfen sich freuen."

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