Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Wenn Rechtspopulisten mitreden

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Schweden übernimmt im Januar die EU-Ratspräsidentschaft. In Brüssel fürchten viele den Einfluss der Schwedendemokraten - vor allem bei Entscheidungen zu Migration und Klimaschutz.

Von Alex Rühle, Stockholm

Ukrainekrieg und Energiekrise, galoppierende Inflation und jetzt noch ein deftiger Brüsseler Korruptionsskandal - es gab sicher schon leichtere Zeiten, um eine EU-Ratspräsidentschaft anzutreten. Die schwedische Regierung, die am 1. Januar Tschechien ablöst, gibt sich dennoch betont zuversichtlich. Ulf Kristersson, der schwedische Ministerpräsident, sagte kurz vor Weihnachten im Stockholmer Parlament so schwammig wie optimistisch, sein Land werde "eine aktive Ratspräsidentschaft betreiben und die Gemeinschaft konstruktiv führen, um die Stärken der EU weiter zu fördern."

Die EU-Ministerin Jessika Roswall assistierte, die schwedische Regierung werde der EU-Arbeit "hohe Priorität einräumen", schließlich liege es im Interesse des Landes, den Zusammenhalt innerhalb der EU zu fördern und bei Themen voranzukommen, die gemeinsame Lösungen erfordern.

Dieser dezidiert EU-freundliche Ton soll sicher auch all jene beruhigen, die der schwedischen Präsidentschaft seit September mit Skepsis entgegenblicken: Das bevölkerungsreichste skandinavische Land wird seither von einer konservativen Drei-Parteien-Koalition regiert, die auf die Unterstützung durch die Schwedendemokraten (SD) angewiesen ist, da sie keine eigene Mehrheit besitzt. Die rechtspopulistische SD wurde bei den Wahlen mit 20,5 Prozent der Stimmen nach den Sozialdemokraten zweitstärkste Kraft.

Die Reform des Asylrechts ist das wichtigste Thema

Dementsprechend groß ist der Einfluss der SD, die einst von strammen Neonazis gegründet wurde; das Koalitionsprogramm der Minderheitsregierung klingt in vielen Passagen, als hätten es die Schwedendemokraten alleine geschrieben. Im Regierungsvertrag ist festgelegt, dass die Schwedendemokraten "genauso großen Einfluss auf Themen haben, die vom Koalitionsprogramm abgedeckt werden, wie die Regierungsparteien in der Regierung", darunter insbesondere "EU-Angelegenheiten, die die von der Kooperationsarbeit abgedeckten Themen betreffen".

2016 propagierte die SD noch Schwedens EU-Austritt. Das fordert nach dem Brexit-Debakel niemand mehr. Der Parteivorsitzende Jimmie Åkesson kündigte aber im Parlament an, man wolle den Einfluss Brüssels auf die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten so weit es geht zurückdrängen. Dementsprechend groß sind die Ängste in Brüssel, dass die EU-skeptische Rhetorik der SD die Präsidentschaft prägen könnte.

Das vielleicht wichtigste Thema während der schwedischen Ratspräsidentschaft ist die Reform des Asylrechts: Ende 2015 sollte ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) verabschiedet werden, durch das die Anerkennungssysteme der Mitgliedsstaaten angeglichen und die Asylbewerber in allen Ländern gleich behandelt worden wären. Mehrere mittel- und osteuropäischen Länder stellten sich damals quer, weil mit dem GEAS eine Umverteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten nach festgelegten Quoten einhergegangen wäre; südeuropäische Länder wie Italien oder Griechenland fühlten sich alleingelassen.

2020 präsentierte die Kommission endlich einen neuen Vorschlag für eine EU-weite Regelung, den sogenannten Migrationspakt. Aktuell blockiert ein Streit zwischen Italien und Frankreich über den Umgang mit privaten Rettungsschiffen den Fortgang der Verhandlungen. Außer Ungarn und Polen wollen etliche weitere Länder keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, die an den Außengrenzen der EU ankommen - Österreich zum Beispiel. Auch Länder wie Niederlande und Belgien stoßen an Grenzen. Es ist also gelinde gesagt alles extrem vertrackt. Die tschechische Ratspräsidentschaft hat ein Kompromisspapier vorgelegt, das, so war die Hoffnung im Sommer, Schweden eigentlich zu einem glücklichen Ende bringen sollte. Nun aber fürchten viele in Brüssel, dass die extrem migrationsfeindlichen Schwedendemokraten jedweden Kompromiss blockieren könnten.

Die Schwedendemokraten leugnen die Erderwärmung

Interessanterweise erwähnte Ulf Kristersson das Thema Migration in seiner Ankündigungsrede nicht direkt. Er versprach stattdessen, man werde den Fokus auf sicherheitspolitische Fragen legen. Außerdem wolle man die Resilienz der EU genauso stärken wie deren demokratische Werte. Lars Danielsson, Schwedens Botschafter bei der EU, sagte, die größte Herausforderung werde darin bestehen, die Politik nicht "ausschließlich vom aktuellen Krisenmanagement bestimmen zu lassen." Er meinte damit die enorme Schwierigkeit, die EU-Länder in Sachen Ukrainepolitik zusammenzuhalten und die Energiepreise nicht weiter aus dem Ruder laufen zu lassen.

Das vierte Thema, das Kristersson selbst in seiner Ankündigungsrede erwähnte, war die Umsetzung eines grünen Übergangs als Antwort auf die "globale Klimaherausforderung". Das ist insofern überraschend, als seine Regierungskoalition in der nationalen Klimapolitik eine drastische Kehrtwende vollzogen hat. Laut Koalitionsvertrag sollen klimafreundliche Subventionen und Infrastrukturprogramme gekürzt oder ganz beendet werden, der Autoverkehr wird massiv subventioniert, Atomenergie ausgebaut.

Die Schwedendemokraten leugnen die Erderwärmung, Jimmie Åkesson erklärte nach der Wahl im Fernsehen, es gebe keine wissenschaftlichen Beweise für eine Klimakrise. Es wäre fatal, wenn Schweden, das bisher innerhalb der EU zu den politischen Vorreitern einer klimafreundlicheren Politik zählte, nun ins Lager der Blockierer wechseln würde.

Schweden hat die Präsidentschaft des Rates vom 1. Januar 2023 an inne. Am 1. Juli geht der Staffelstab an Spanien über.

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