Schwarze in den USA:Erniedrigung als Schutz

Steele: Okay. Als ich ein Kind war, gab es in unserer rein schwarzen Nachbarschaft im segregierten Chicago nur eine einzige Familie, in der es keinen Vater gab. Alle anderen Kinder hatten einen; ob sie ihn mochten oder nicht, war natürlich wieder eine andere Sache.

Shelby Steele

Shelby Steele

(Foto: Foto: Rita Steele)

In den Sechzigern kam dann die Wohlfahrtspolitik, die jeder unverheirateten Mutter ein Minimum an Lebenskosten zahlte, und das für ein ganzes Leben. Diese Politik war familienfeindlich. Hinzu kam die sexuelle Revolution, wiederum ein Anreiz, nicht zu heiraten, oder, falls man schon verheiratet war, es nicht um jeden Preis zu bleiben. Dies alles zusammen zerstörte die schwarze Familie in einer Weise, die die Segregation nie geschafft hat.

SZ: Aber warum haben sich Prügelstrafen so durchgesetzt? Wir kennen aus Filmen und der Literatur doch eher die überfürsorglichen Nannys . . .

Steele: . . . die allerdings immer weiße Babies verhätscheln, ja. Die Prügel in den schwarzen Familien sollen die Kinder schon einmal auf die harte Welt da draußen vorbereiten. Nur wird ihr Selbstwertgefühl stattdessen häufig unterminiert. Es ist eines der schlimmsten Zeichen der eigenen Unterdrückung, wenn man sein Kind schlecht behandelt und erniedrigt, um es rechtzeitig zu wappnen.

SZ: Mit anderen Worten: Erniedrigung als Schutz?

Steele: Ja, nach der Logik: Ich schubse mein Kind herum, bevor die Welt es macht. Das sind Erziehungsmaßnahmen von Sklaven. Leider sind sie immer noch weit verbreitet.

Und so sieht man etwa ab dem Alter von zwei Jahren die IQs vieler schwarzer Kinder abfallen. Ihnen wurde nicht vorgelesen, mit ihnen wurde kaum gesprochen, sie wurden niedergemacht. Später sind sie untereinander gewalttätig, sie machen Ärger in der Schule und so fort.

SZ: Und derlei Verhalten wird immer weitergereicht . . .

Steele: . . . ganz genau. Schrecklich deutlich ist das in den Nachmittagsshows zu sehen. Dauernd wird auf Gewalt verwiesen, die Mütter ihren eigenen Kindern angedeihen lassen. Fast jeder schwarze Entertainer erzählt davon, wie seine Mutter ihn geohrfeigt hat, ob im Supermarkt oder zu Hause.

SZ: Wie war das in Ihrer eigenen Familie?

Steele: Ich hatte Glück, mein Vater glaubte nicht an diese Praxis, er hasste sie sogar und predigte auch allen anderen immer wieder, dass sie ihre Kinder nicht schlagen sollten, schon gar nicht ins Gesicht. Aber es scheint da unter ihnen so eine Art perversen Stolz zu geben: Wir sind anders als die Weißen, wir lassen unsere Kinder gar nicht erst frech werden.

SZ: Hat denn die Bürgerrechtsbewegung keine positiven Auswirkungen gehabt?

Steele: Doch, natürlich, es gibt einen deutlichen Sprung seit den sechziger Jahren, was Lebensqualität, Chancengleichheit und Akzeptanz angeht. Aber die 400 Jahre Unterdrückung wirken leider weiter. Es wird Menschen geben wie mich oder Obama oder Bill Cosby oder viele andere, die wir alle kennen, die einfach Glück hatten, weil sie Eltern hatten, die den Pfad in die moderne Welt einschlugen.

Für die schwarze Gemeinschaft insgesamt aber ist es ein harter Weg: Auf einmal haben sie all die Freiheiten, die sie immer wollten - aber trotzdem können sie häufig nicht mithalten. Diejenigen, die in der modernen Welt zurechtkommen, die gedeihen wunderbar und kommen fabelhaft voran. Diejenigen, denen das nicht so schnell gelingt, für die wird es sogar schlimmer. Für sie ist die Freiheit fast eine Demütigung.

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