Schwarz-Schilling zu Schwarz-Gelb:"Streit ist vollkommen normal"

Lesezeit: 4 min

In der Regierung Kohl hat Christian Schwarz-Schilling einst für den ersten Skandal gesorgt, jetzt verteidigt der Ex-Postminister den Start von Schwarz-Gelb - und den Führungsstil von Angela Merkel.

Wolfgang Jaschensky

Zehn Jahre saß Christian Schwarz-Schilling (CDU) als Postminister im Kabinett von Helmut Kohl. Unter seiner Führung wurde die Post privatisiert. Außerdem forcierte er den Ausbau des Kabelnetzes und des Mobilfunks in Deutschland. Zu Beginn seiner Amtszeit sorgte Schwarz-Schillings Verbindung zur Accumulatorenfabrik Sonnenschein GmbH sowie seine Beteiligung an der "Projektgesellschaft für Kabelkommunikation" für Vorwürfe der Verquickung privater und öffentlicher Interessen. Die diesbezüglichen staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden allerdings später eingestellt. 1992 erklärte der heute 79-jährige aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnienkrieg seinen Rücktritt als Minister. Später wurde Schwarz-Schilling Bosnien-Beauftragter der EU.

"Ich kann keinen Fehlstart erkennen": Kohls einstiger Postminister verteidigt den Kurs von Schwarz-Gelb. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Schwarz-Schilling, Sie wurden Minister, als die FDP 1982 die Koalition mit der SPD verließ und Helmut Kohl zum Kanzler einer schwarz-gelben Regierung wählte. Wie war das Klima damals nach hundert Tagen Schwarz-Gelb?

Christian Schwarz-Schilling: Die CDU hatte 13 Jahre nicht mehr regiert , 13 Jahre auf einen Wechsel hingearbeitet: Da überwog zuerst einmal die Freude. Für die FDP war das damals nicht einfach, weil sie sich im Laufe der Koalition mit der SPD zu einer linksliberalen Partei entwickelt hat. Dennoch liefen die Koalitionsverhandlungen relativ gut. Die ersten hundert Tage standen im Zeichen der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, der Beibehaltung des Nato-Doppelbeschlusses und der Diskussion um die von Helmut Kohl angestrebten Neuwahlen. Die Stimmung war jedenfalls gut.

sueddeutsche.de: Damals wie heute haben es Union und FDP nach langem Warten geschafft, eine Koalition zu bilden. Nach hundert Tagen in der Regierung hat der andauernde Streit die Freude über den Sieg in Vergessenheit geraten lassen. Hat die Regierung einen Fehlstart hingelegt?

Schwarz-Schilling: Ich kann keinen Fehlstart erkennen. Die Umorientierung der FDP von der Opposition zur Regierungsverantwortung und der Union von der großen Koalition hin zu dem kleineren Partner ist eine sehr schwierige Aufgabe.

sueddeutsche.de: Dennoch: Steuern, Steinbach, Afghanistan, Gesundheitspolitik und ein möglicher EU-Beitritt der Türkei: Ist so viel Krach normal?

Schwarz-Schilling: Bei der Komplexität der Probleme, vor der diese Koalition steht, sind Streitereien vollkommen normal. Bei den Koalitionsverhandlungen konnten Union und FDP die offenen Fragen nicht in allen Einzelheiten klären. Da nun die Probleme konkret anstanden, kommt es zu Friktionen, aber das ist nicht verwunderlich.

sueddeutsche.de: Bei vielen Themen gibt die FDP den Ton an - Stichwort Steuersenkungen. Treibt der kleine Koalitionspartner die Union vor sich her?

Schwarz-Schilling: Die FDP hatte lange mit einer Glaubwürdigkeitskrise zu kämpfen und will nun den Ruf der Umfallerpartei auf keinen Fall aufleben lassen. Durch ihr sehr gutes Wahlergebnis hätte die FDP auch kaum Entschuldigungen, wenn sie von so einer zentralen Forderung völlig ablassen würde.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Hätten Sie nicht einen besseren Start erwartet?

Schwarz-Schilling: Die Koalition muss mit Sünden aus der Vergangenheit kämpfen. Sie nannten das Thema Steinbach: Die frühere Regierung und hier vor allem die Union hätte schon längst ein Lösung finden müssen. Dass damit jetzt die neue Regierung belastet wird, ist eine unschöne Situation für Schwarz-Gelb. Allerdings war es eine erstklassige Idee von Außenminister Westerwelle, seinen ersten Auslandsbesuch in Polen zu machen.

sueddeutsche.de: Aber war es auch eine erstklassige Idee von Westerwelle, dort eine neue Debatte vom Zaun zu brechen?

Schwarz-Schilling: Das war ja nicht Westerwelles Idee. Es war klar, dass man ihm in Warschau zur Vertriebenenstiftung befragen würde. Und Westerwelle hat ausgezeichnet geantwortet. Die Vorwürfe muss man an die Zeit davor richten: Da hat man versäumt, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

sueddeutsche.de: Dann drücken auch in der Gesundheitspolitik die Sünden der Vergangenheit?

Schwarz-Schilling: Die Union hat jahrelang eine Gesundheitspolitik mitgetragen, die weitgehend den linken Flügel innerhalb des Bundestages befriedigt. Bei der Gesundheitsreform waren die Zugeständnisse an die SPD so weitreichend, dass das Ergebnis nichts mehr mit dem zu tun hatte, was die Union ursprünglich wollte. Jetzt ist es natürlich eine schwierige Operation, den Kurs wieder darauf zu richten, wo er ursprünglich einmal war. Die Gesundheitspolitik wird deshalb auch in Zukunft noch viele Probleme aufwerfen.

sueddeutsche.de: Die große Koalition wollten nach der Wahl 2005 weder Union noch SPD. Dennoch war das Binnenklima damals deutlich friedlicher.

Schwarz-Schilling: Aufgrund der großen Mehrheiten, die die beiden großen Parteien im Bundestag haben, ist die Bildung einer Koalition natürlich leichter als mit einer kleinen Partei, die einerseits eigenständige politische Vorstellungen hat, andererseits aber keine absolut sichere Mehrheit im Bundestag bringt. Politisch ist die FDP für die Union zwar der bessere Koalitionspartner, aber Mehrheiten sind natürlich einfacher mit der SPD zu organisieren.

sueddeutsche.de: Woran wird sich Schwarz-Gelb bei der nächsten Bundestagswahl messen lassen müssen?

Schwarz-Schilling: Neben dem Thema Arbeitslosigkeit wird die Bewältigung der Finanzkrise die Messlatte sein. Deutschland braucht eine mutige Politik, die die Auswüchse von Finanzunternehmen absolut beendet und das auch international durchsetzt. Gerade in Europa muss die Bundesregierung eine klarere Haltung einnehmen. Europa ist in sich zu wenig geschlossen. Mit dem Lissabon-Vertrag muss sichtbar eine neue Zeit beginnen. Angela Merkel muss sich da viel stärker einmischen.

sueddeutsche.de: Der moderierende Führungsstil der Bundeskanzlerin wurde während der großen Koalition oft gelobt. Benötigt ein Kanzler im Umgang mit einem kleinen Koalitionspartner nicht mehr Durchsetzungskraft?

Schwarz-Schilling: Helmut Kohl hatte mit dem kleinen Koalitionspartner FDP einen sehr galanten Umgang und eine sehr verständnisvolle Politik gemacht, sodass sich auch die kleine Partei in der Koalition gut aufgehoben gefühlt hat. Ich sehe eher ein Problem darin, das Merkel in der großen Koalition der SPD zu weit entgegengekommen ist. Soziale Marktwirtschaft, Ordnungspolitik, Wettbewerbspolitik: Die sitzen jetzt für uns als Riesenproblem vor uns, weil sie damals nicht angepackt worden sind. Das zeigt, wie verbraucht die große Koalition am Ende war und dass man mit dieser Politik nicht weitermachen konnte, weil beide Parteien vollkommen ihr Profil verloren haben.

sueddeutsche.de: Dennoch: Von CSU-Chef Horst Seehofer hört man öfter klarere Ansagen als von der Bundeskanzlerin.

Schwarz-Schilling: Die Bundeskanzlerin sagt viel weniger, muss deshalb aber auch viel weniger widerrufen. Horst Seehofer schießt sehr oft aus dem Bauch heraus und gibt harte Stellungnahmen ab, die er später wieder abdämpfen muss. Aber die CSU hat ja schon immer gedacht, Profil zu gewinnen, indem sie gegen die CDU Position bezieht. Das war schon eine Tradition bei Strauß. Die Haltung von Angela Merkel ist längerfristig konzipiert: Sie schweigt - und erzwingt am Ende Korrekturen.

© sueddeutsche.de/gba/cmat - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: