Süddeutsche Zeitung

Schwarz-rotes Bündnis:So teuer wird die große Koalition

Vom Kita-Ausbau bis zur Erhöhung des Rentenzuschusses: Union und SPD lassen sich "prioritäre Maßnahmen" 23 Milliarden Euro kosten. Die Summe wäre noch viel höher, hätten die künftigen Partner nicht getrickst. Viel gravierender als die Haushaltsbelastungen könnten am Ende aber die Wahlgeschenke werden, die in der Prioritätenliste gar nicht auftauchen.

Von Claus Hulverscheidt und Guido Bohsem, Berlin

Was ist im Wahlkampf nicht alles gedacht, geredet und geschrieben worden über den Sinn und Unsinn von Steuererhöhungen. Darüber, ob höhere Abgaben für "Reiche" ein Wert an sich sind, weil man mit ihnen den Wohlstand im Land gerechter verteilen kann. Ob sie im Gegenteil ungerecht wären, weil sie das Wachstum hemmen und Hunderttausende Menschen den Job kosten könnten. Ob Deutschland über zu hohe, zu niedrige und vor allem die richtigen Steuereinnahmen verfügt. Ob nicht viel mehr Geld in die Bildung, in Straßen und Brücken, in den Erhalt der sozialen Sicherungssysteme und in die Vollendung der Energiewende fließen müsste. Dutzende Fernseh-Talkshows wurden anberaumt, Hunderte Leitartikel geschrieben, Tausende Internet-Kommentare verfasst. Und nun das!

Von den 185 Seiten des Koalitionsvertrags widmen sich ganze 34 Zeilen jenen zehn, zwölf Projekten, für die CDU, CSU und SPD tatsächlich Geld aus dem Bundeshaushalt - sprich: Steuergeld - unters Volk bringen wollen. Steuererhöhungen aber, einst ein zentrales Thema des SPD-Wahlkampfs, sucht man erwartungsgemäß vergebens. Mehr noch: Selbst der Satz, dass die künftigen Partner zur Erhöhung der Staatseinnahmen nicht mehr notwendige Subventionen und Steuervergünstigungen abschaffen werden, der sich in den ersten Entwürfen des Koalitionsvertrags noch gefunden hatte, wurde auf Druck der CSU aus der Endfassung gestrichen.

Dennoch haben es die 34 Zeilen in sich: Insgesamt nämlich werden die dort verkündeten "prioritären Maßnahmen" den Staat über die gesamte Wahlperiode mindestens 23 Milliarden Euro kosten - von der Entlastung der Länder und den Kita-, Schul- und Hochschulausbau über höhere Ausgaben für die Entwicklungshilfe, die Sanierung von Verkehrswegen und die berufliche Wiedereingliederung Arbeitsloser bis zur Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung. Die Summe wäre noch um bis zu 17 Milliarden Euro höher, hätten die Koalitionäre in spe nicht getrickst: Im Vertrag nämlich wird angekündigt, dass der Bund den Städten und Gemeinden die Kosten für die Unterstützung behinderter Menschen in Höhe von jährlich fünf Milliarden Euro abnehmen wird. Unter der Hand heißt es jedoch, dass es dazu wohl frühestens 2018 kommen wird.

Auch so jedoch verbleibt zwischen den 23 Milliarden und jenen 15 Milliarden Euro, die Finanzminister Wolfgang Schäuble (CSU) im Wahlkampf für die Zeit bis 2017 als "finanziellen Spielraum" identifiziert hatte, eine Lücke von acht Milliarden Euro. Das ist sicher eine gewaltige Summe, gemessen an den jährlichen Ausgaben des Bundes von 300 Milliarden aber kein echtes Problem. Zwei Milliarden Euro pro Jahr lassen sich schon durch ein paar simple Buchungstricks auftreiben, die jeder Haushälter in der Grundausbildung lernt: eine etwas optimistischere Prognose zur Entwicklung der Staatsanleihezinsen etwa senkt die jährlichen Kreditkosten leicht um eine Milliarde Euro und mehr. Hinzu kommen Einmaleffekte: So wollen der Bund und die Lkw-Maut-Betreibergesellschaft Toll Collect ihren seit Jahren schwelenden Rechtsstreit mit einem Vergleich beilegen, der dem Staat eine erkleckliche Milliardensumme einbringen dürfte. Auch haben die Opfer der jüngsten Flutkatastrophe bisher viel weniger Hilfsgelder beim Bund abgerufen als im Haushalt vorgesehen.

Dem stehen allerdings auf der anderen Seite eine Reihe von Risiken gegenüber: höhere Ausgaben für Langzeitarbeitslose etwa oder die schon mehrfach eingeplanten Milliardeneinnahmen aus der Finanztransaktionsteuer - einer Steuer, die es bis heute gar nicht gibt. Die Erlöse sollen wegen der festgefahrenen Verhandlungen mit den EU-Partnern nun bis auf Weiteres aus der Finanzplanung gestrichen werden.

Fehlt am Ende Geld, könnte der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung von zuletzt 14 Milliarden Euro im Jahr stärker gekürzt werden als bisher geplant. Schon im laufenden Haushaltsentwurf ist eine Senkung um 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Diese Summe könnte nun auf 5 Milliarden Euro erhöht werden. Auch für 2015 ist eine Kürzung um eine Milliarde Euro im Gespräch. Die Voraussetzung dafür haben die Parteichefs geschaffen, indem sie in den Koalitionsverhandlungen alle zusätzlichen Ausgabenwünsche der Gesundheitspolitiker ignorierten. So wird es beispielsweise keine zusätzlichen Mittel für die Prävention geben.

Viel gravierender als die Haushaltsbelastungen könnten sich am Ende ohnehin diejenigen Wahlgeschenke erweisen, die in der Prioritätenliste gar nicht auftauchen. Sie nämlich gehen zu Lasten der Sozialkassen, die über hohe Reserven verfügen, nun aber mit so gewaltigen zusätzlichen Ausgaben belastet werden, dass schon bald wieder rote Zahlen drohen. Aber auch die heutigen Arbeitnehmer werden kräftig zur Kasse gebeten: Sie müssen auf die eigentlich anstehende Senkung des Rentenbeitragssatzes von 18,9 auf 18,3 Prozent des Bruttolohns verzichten - und damit auf eine Entlastung von drei Milliarden Euro. Das Geld wird zur Finanzierung der geplanten Rentenerhöhung für Mütter verwendet, die allein mit etwa 6,5 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen wird.

Hinzu kommen die neue Mindestrente für langjährig Beschäftigte mit einem sehr geringen Rentenanspruch, die nach einer langen Anlaufphase jährlich drei Milliarden Euro kosten soll. Die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente bringt Ausgaben von zwei Milliarden mit sich, noch teurer wird mit 4,5 Milliarden Euro die neue abschlagsfreie Rente für Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Bei allen drei Reformen wachsen die Kosten allerdings erst im Laufe der Jahre auf. Anders ausgedrückt: Sie werden nicht der jetzigen Koalition jede Menge Bauchschmerzen bereiten, wohl aber künftigen Regierungen - und den Arbeitnehmern: Auf sie kommen spätestens Ende des Jahrzehnts höhere Beiträge zu.

Auch die Pflegeversicherung wird teurer: 2015 steigt der Beitrag um 0,3 Punkte auf 2,35 (Versicherte mit Kindern) beziehungsweise 2,6 Prozent (Kinderlose), 2017 folgt eine weitere Erhöhung um 0,2 Punkte. Immerhin: Die zusätzlichen fünf Milliarden Euro pro Jahr sollen in vollem Umfang Pflegern und Gepflegten zugute kommen.

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SZ vom 28.11.2013/mane
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