Die Böller krachen, die Glocken läuten, die Drehorgeln spielen. Der ganze Berg wimmelt von Menschen, aus allen deutschen Staaten sind sie gekommen. Sie formieren sich zu Gruppen, sie singen; sie singen ein Freiheitslied nach dem anderen - die Marseillaise natürlich und die Hymne, die der Journalist Philipp Jakob Siebenpfeiffer gedichtet hat: "Hinauf, Patrioten! Zum Schloss, zum Schloss!".
Dreißigtausend Patrioten, Demokraten, Revoluzzer und Phantasten, Bauernburschen, Bürstenbinder und Professoren begeistern sich an sich selbst, an ihren hochfliegenden Ideen und an dem Wunder, dass die Soldaten des Königs nur zuschauen und nicht eingreifen. Spitzel wuseln herum und hören zu, wie von der "Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt" geredet, wie die sozialen Missstände beklagt, wie ein Ende des "Fürstenjochs" beschworen wird. Es ist dies die Heerschau der deutschen Opposition, die vom Fürsten Metternich gefürchtete "verruchte Verbrüderung". Es ist die erste Großdemonstration der deutschen Geschichte.
Bis Mittag dauert es, bis alle oben sind am Hambacher Schloss. Jeder Festordner hat eine Schärpe in den Sehnsuchtsfarben Schwarz, Rot und Gold umgebunden; an der Spitze des Zuges trägt Johann Philipp Abresch, Landwirt, Kaufmann und Stadtrat von Neustadt an der Weinstraße, die deutsche Trikolore, die er hat nähen lassen; er pflanzt sie dann auf dem Turm des Hambacher Schlosses auf. Abresch hat die Farben erstmals in Reihung Schwarz-Rot-Gold angeordnet: Und in der Mitte, im roten Streifen, wurde sie mit einer Aufschrift bestickt: "Deutschlands Wiedergeburt".
Seit diesem Festtag, seit 180 Jahren, seit diesem 27. Mai 1832, sind Schwarz, Rot und Gold die Farben der deutschen Demokraten.
Schwarz-Rot-Gold? Nur im Grundgesetz
Man kann die alte Hauptfahne des Hambacher Festes, die Fahne, die der Bürger Johann Philipp Abresch stolz getragen hat, noch heute bewundern in der Dauerausstellung des Hambacher Schlosses. Der goldene Streifen ist der zerschlissenste. Aber die Farbe ist wirklich golden, nicht gelb; in den Stoff sind Goldfäden eingewebt. Bei der Fahne aus der demokratischen Revolution von 1848, die im Stadtmuseum von Rastatt hängt, ist es auch so. Und eine Nachbildung der Hambacher Ur-Fahne hängt seit 1949 im Deutschen Bundestag, auch mit Gold: Schwarz-Rot-Gold. So steht es auch im Grundgesetz, Artikel 22, Absatz 2: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold".
Aber das ist nur im Grundgesetz, im Bundestag und im Museum so - ansonsten sieht man in Deutschland allenthalben nur Schwarz-Rot-Gelb. Die Fahnen, die an öffentlichen Gebäuden aufgezogen werden, die Fähnchen, die bei Fußballspielen geschwenkt werden - sie alle sind schwarz-rot-gelb.
Gelb? Das sei, so meint der alte Karlsruher Verleger Christof Müller-Wirth, geschichtsvergessen und verfassungswidrig. Der 82-Jährige hat eine ganz persönliche Beziehung zu diesen demokratischen Farben: Er ist der Ururenkel des Publizisten, Historikers, Juristen und Politikers Johann Georg August Wirth, der 1832 zusammen mit Philipp Jakob Siebenpfeiffer das Hambacher Fest organisiert hat. Christoph Müller-Wirth, der sein Leben lang für das Andenken an die demokratischen deutschen Freiheitsbewegungen arbeitete, hat soeben dem Bundespräsidenten Joachim Gauck einen Brief geschrieben, in dem er über einen Farbenskandal klagt: "Für die Farben Schwarz-Rot-Gold ist in unserer schwierigen Geschichte lange gekämpft worden. Es ist ein trauriges, grundgesetzwidriges Verhalten, diese Vorgaben unserer Geschichte zu missachten, so wie es zuvor die Nationalsozialisten taten."
In der Tat: Die Nazis haben die demokratischen Farben verhöhnt. Sie sprachen von Schwarz-Rot-Gelb, von Schwarz-Rot-Senf, -Mostrich oder -Scheiße. Die Beschimpfung der "Mostrich-Fahne" war Kennzeichen der Rechtsextremisten in der Weimarer Republik. Die Gegner von Demokratie und Republik führten damals ihren Kampf gegen die ihnen verhasste neue Staatsform vordergründig als Kampf gegen die Fahne: Für sie waren Schwarz-Weiß-Rot die Farben des wilhelminischen Kaiserreichs, die Farben, hinter denen die deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg siegreich ausgezogen waren; Schwarz-Rot-Gold aber die Farben, hinter denen sie verlustreich zurückgekehrt waren. Die Gegner der Republik spuckten auf Schwarz-Rot-Gold. Die Verteidiger der Republik hingegen gründeten das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". Dort sammelten sich Gewerkschafter, SPD und Zentrumspartei, um die Demokratie gegen den Umsturz zu verteidigen - vergeblich.
Das alles hat der alte Christof Müller-Wirth im Herzen, wenn er das "Gold" gegen das grassierende "Gelb" verteidigt. Er will sich nicht abfinden mit einem Farben-Beschluss des Bundeskabinetts aus dem Jahr 1999, mit dem das Corporate Design der Bundesregierung entwickelt wurde. Für die technische Beschreibung der Farben werden dort normierte RAL-Farbwerte verwendet: "Tiefschwarz" für Schwarz, "Verkehrsrot" für Rot und "Rapsgelb" (RAL 1021) für Gold. Das gilt zumindest für Druckerzeugnisse; für Flaggenstoffe gilt "Melonengelb". Im Grundgesetz steht aber "Gold", nicht Raps- oder Melonengelb.
"Heraldische Bezüge" lässt Wirth nicht gelten
Der Braunschweiger Heraldiker Arnold Rabbow formulierte freilich schon vor Jahrzehnten: "Die deutschen Farben sind Schwarz-Rot-Gelb, aber sie heißen schwarz-rot-gold". Christof Müller-Wirth mag das nicht gelten lassen, das sei "abwegig und unpolitisch": Mit "heraldischen Bezügen" könne man nicht Geschichte beiseiteschieben. Die Festlegung der Nationalfarben durch den Parlamentarischen Rat im Jahr 1949 sei nun einmal ein "bewusster politisch-historischer Willensakt" gewesen. Und dann fragt Müller-Wirth in seinem Brief an den Bundespräsidenten, was wohl in Frankreich geschähe, "wenn bei einer Fußball-Weltmeisterschaft plötzlich Blau-Weiß-Rosa aufgezogen" würde: "Ein Aufstand!"
Schwarz-Rot-Gold: In den Wappen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sieht man einen schwarzen, rotbewehrten Adler mit einer goldenen Krone als Helmzier. Mit den Uniformen des Lützowschen Freikorps wurden, wohl auch, weil das für die Soldaten praktisch war, die Farben aufgegriffen. Die Freiwilligen im Kampf gegen Napoleon waren Selbstversorger: Sie erhielten keinen Sold und rüsteten sich selbst aus. Sie waren deshalb, so heißt es, darauf angewiesen, mitgebrachte Kleidung zur Uniform umzufärben - das ging mit Schwarz am leichtesten; die Stulpen und Krägen wurden, weil's schön war, rot aufgeputzt; und goldfarbene Messingknöpfe waren ohnehin weit verbreitet. Nach dem Krieg trugen die Kämpfer von einst ihre Uniform weiter, als sie ihr Studium fortsetzten. Sie gründeten in und mit diesen Farben die Urburschenschaft.
Lützows wilde verwegene Jagd
Militärisch war das Lützowsche Freikorps nicht besonders bedeutend - aber: der Dichter Theodor Körner, Turnvater Jahn und Joseph von Eichendorff kämpften in dieser Truppe, das machte sie berühmt. Körner, der Adjutant Lützows im Freikorps war, dichtete das Lied "Lützows wilde verwegene Jagd"; er fiel 1813 bei einer Attacke auf einen französischen Nachschubtross. Sein früher Tod trug dazu bei, dass Körner und sein Korps schon von den Zeitgenossen zu Helden stilisiert wurden.
Schwarz-Rot-Gold: Gold mag historisch sein, es sei aber unpraktisch und teuer - das haben die offiziellen Stellen dem Ururenkel Wirth des Öfteren erklärt, wenn er um die "richtigen" Farben bat. Im Übrigen sei das Fahnen-Gold durch den jahrzehntelangen Gebrauch von Fahnen-Gelb praktisch weggewedelt. Der gelernte Buchdrucker Wirth akzeptiert das nicht: Gold gebe es doch in jedem Schülermalkasten, Gold werde problemlos in Kunstbänden dargestellt. Gold kostet freilich mehr, zwar nicht bei Druckerzeugnissen, aber bei Fahnen: Wenn der Streifen einer Fahne mit Goldlurex hergestellt wird, ist sie mindestens doppelt so teuer wie die Fahne mit einem simplen gelben Streifen. Der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat für seinen Amtssitz schon vor drei Jahren eine Fahne mit goldenem Streifen gekauft. Das ist ihm die Geschichte wert. Der Bundespräsident hat noch nicht geantwortet.