Schwarz-grüne Koalition in Hamburg:Der Moorburg-Faktor

Geregelte Sprachlosigkeit: Dort, wo das Thema am heißesten ist, ist der Hamburger Koalitionsvertrag am dünnsten. Doch jetzt ist die Grünen-Basis am Zug - und deren Abstimmung gewinnt an Brisanz.

Ralf Wiegand

In allen denkbaren Verwandlungen flog die Frage auf sie zu, und mit jedem Mal wurde die Mimik von Anja Hajduk grimmiger. Aber sie verlor die Nerven nicht einmal, als ein Vertreter von Greenpeace ihr Verrat an der Ökologie vorwarf.

Schwarz-grüne Koalition in Hamburg: Die GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch (2. v.l.), die Landesvorsitzende der GAL, Anja Hajduk (3.v.l.), Finanzsenator Michael Freytag (CDU, 4.v.l.)) und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU, 5.v.l.) erläutern im Hamburger Rathaus den Koalitionsvertrag

Die GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch (2. v.l.), die Landesvorsitzende der GAL, Anja Hajduk (3.v.l.), Finanzsenator Michael Freytag (CDU, 4.v.l.)) und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU, 5.v.l.) erläutern im Hamburger Rathaus den Koalitionsvertrag

(Foto: Foto: AP)

Als säße in jeder Ecke des Festsaals im Hamburger Rathaus ein Justitiar von Vattenfall, jenes Energieerzeugers, der im Hamburger Stadtteil Moorburg damit begonnen hat, ein Steinkohlekraftwerk zu bauen, gab Hajduk die grüne Sphinx. Sie vermied jede Festlegung, jede Interpretation, sogar kleinste Variation des Textes, der im Koalitionsvertrag steht.

Sie las immer wieder diese auf drei Absätze gestreckten zwölf Zeilen auf Seite 21 des Vertrags zwischen CDU und Grün-Alternativer Liste (GAL) über eine Regierungs- zusammenarbeit wortgetreu vor. Sieht sie eine Chance, Moorburg zu verhindern? Hajduk: "Es geht nicht darum, über Chancen zu spekulieren."

Im Grunde hat sich durch die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages für die Aussichten einer ersten schwarz-grünen Regierung auf Landesebene wenig geändert. Die Grünen feiern ihren Erfolg in der Schulpolitik, weil eine sechsjährige Schule für alle, die Primarschule, kommen soll.

Sie werten die Einrichtung einer Öko-Stiftung zum Schutz der Elbe als Erfolg, obwohl die Elbe ausgebaggert wird - ein Plan, über dessen "Sinnhaftigkeit sich die Parteien uneinig sind", wie im Vertrag vermerkt wird. Die Union hat alle wichtigen Verkehrsprojekte durchgesetzt. Nur Sieger hüben wie drüben?

Nur Sieger?

Wenn da die Unwägbarkeit des Moorburg-Faktors nicht wäre. Hajduk, als Senatorin für Stadtentwicklung, Umwelt, Bau und Verkehr vorgesehen, und die designierte Bildungssenatorin Christa Goetsch, Fraktionsvorsitzende der GAL in der Bürgerschaft, eierten am Freitag während einer Pressekonferenz so lange um das heikle Thema Kohlekraft herum, bis sogar Bürgermeister Ole von Beust (CDU) die Geduld verlor: Natürlich antworte man an solch einem Tag nicht auf jede Frage spontan, sagte Beust. "Bei Moorburg haben wir uns auf eine Sprachregelung verständigt." Die Sprachregelung hieß Sprachlosigkeit.

Noch am Donnerstagabend hatten die Grünen ihre Mitglieder zusammengetrommelt, gut 300 kamen. "Reinen Informationscharakter" habe die geschlossene Veranstaltung gehabt, sagte Hajduk, und ehrlicherweise könne man an einem solchen Abend nicht feststellen, wie die abschließende Meinung unter den Mitgliedern sei. "Aber ich glaube, dass sich unsere Basis in dieser Passage des Koalitionsvertrages gut wiederfindet."

Besagte Passage auf Seite 21 definiert eine Energieversorgung, die verlässlich, kostengünstig und klimafreundlich sein soll. Besonders betont werden die Wünsche nach einem "hohen Wirkungsgrad von Kraftwerken" und einem "niedrigen spezifischen CO2-Ausstoß".

Vattenfall fühlt sich sicher

Darüber hinaus werde der Betrieb des Fernwärmenetzes, bis 2014 ist Vattenfall Hamburgs Vertragspartner, ausgeschrieben, "inklusive der Schaffung grundlastfähiger Kraftwerkskapazitäten in der Region Hamburg". Weiter entscheide "die zuständige Behörde rechtlich über die Genehmigungs- und Erlaubnisanträge zum Bau eines Kohlekraftwerks in Moorburg".

Was das im Klartext bedeutet, behielten die Koalitionäre für sich. Interpretationen sind in alle Richtungen möglich. So könnte die Regierung derart niedrige Schadstoff-Grenzwerte festlegen wollen, dass das gigantische Kraftwerk Moorburg durchfällt. Außerdem deutet die Ausschreibung auf den Wunsch nach einem kleineren Gaskraftwerk hin. Es kann aber auch heißen: Alles liegt in der Hand der Juristen, es gibt noch keine Lösung.

Vattenfall fühlt sich sicher: "Wir gehen davon aus, dass wir die Genehmigung erhalten", sagte Vorstandschef Tuomo Hatakka. Käme es so, müsste Hajduks Behörde den Bau des Kraftwerks genehmigen - kaum vorstellbar.

Auf keinen Fall aber konnten die Grünen ein klares Nein zu Moorburg heraushandeln, das sie im Wahlkampf versprochen hatten. Die Mitgliederversammlung am 27. April gewinnt an Brisanz. "Es ist ganz klar", sagte Anja Hajduk sehr ernst: "Die Mitglieder entscheiden über diesen Vertrag."

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