Süddeutsche Zeitung

Schwarz-gelbe Koalition:Tausche Rente gegen Praxisgebühr

Eigentlich haben Zuschussrente und Praxisgebühr nichts miteinander zu tun. Das könnte sich jetzt ändern. Im Streit über die Zuschussrente schwebt Union und FDP nun ein Handel vor. Kommt sie, fällt die Praxisgebühr. Die Beiträge zur gesetzlichen Altersvorsorge sollen auf jeden Fall sinken.

Guido Bohsem

Einmal ganz unbefangen betrachtet, haben Zuschussrente und Praxisgebühr nichts miteinander zu tun. Mit dem einen soll die Rente von Niedrigverdienern aufgepeppt werden. Ziel ist es, der angeblich dramatisch wachsenden Altersarmut zu begegnen. Die Zehn-Euro-Eintrittsgebühr beim Doktor soll eigentlich die Zahl der Arztbesuche mindern. Tatsächlich dient sie aber einzig und allein als zusätzliche Finanzquelle für die gesetzliche Krankenkasse. Gemeinsamkeiten: keine.

Und trotzdem wird die schwarz-gelbe Koalition in den kommenden Wochen versuchen, die Praxisgebühr und die Zuschussrente miteinander zu verbinden. Nach Angaben aus Regierungskreisen bahnt sich zwischen Union und FDP ein Geschäft an, bei dem die beiden Themen als Tauschware fungieren. "Darüber wird gesprochen", heißt es an der einen Stelle. "Das wäre ein denkbarer Kompromiss", heißt es an der anderen.

Die Ausgangslage ist einfach. Die FDP will die Praxisgebühr einstampfen, um die Ärzteschaft vom Aufwand des Einzuges zu befreien und die Beitragszahler von den hohen Finanzreserven der Krankenkassen profitieren zu lassen. Die Union ist dagegen. CDU und CSU hingegen wollen ein Zeichen für die Rentner setzen und ein wenig auf dem sozialpolitischen Flügel glänzen. Deshalb plant die Union die Zuschussrente und will auch Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente erreichen - finanziert aus den Finanzreserven der gesetzlichen Rentenversicherung. Die FDP allerdings ist strikt gegen diesen Plan, die Arbeitgeber plädieren ebenso dagegen.

Die Überlegung lautet nun: Wenn die Union der Abschaffung der Praxisgebühr zustimmt, gewährt die FDP im Gegenzug die Einführung der Zuschussrente. Die Einzelheiten sollen auf den nächsten Treffen des Koalitionsausschusses beraten werden. Die Beratungen werden einfacher, weil Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihren Plan zurückstellte, die Zuschussrente noch im August im Kabinett zusammen mit der Senkung der Rentenbeiträge beschließen zu lassen.

Keine Woche hatte ihr Vorstoß gehalten. Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler hatte sofort öffentlich Einspruch erhoben - gegen den engen Zeitplan und gegen die Überlegung, die Zuschussrente mit der Beitragssenkung zu verknüpfen. Denn klar ist: Sinken müssen die Beiträge, so sieht es das Rentengesetz vor. Sobald die Rücklage höher ist als 1,5 Monatsausgaben, muss die Regierung den Satz senken. Das kann sie mit einer Rechtsverordnung tun oder per Gesetz. Von der Leyen bevorzugt ein Gesetz, weil dies vom Bundesrat nicht gekippt werden kann. Eine Verordnung könnten die Länder stoppen.

Und das ist so unwahrscheinlich nicht. Angeführt vom saarländischen Sozialminister Andreas Storm (CDU) organisiert sich eine Gruppe von Senkungsgegnern. Sie wollen vielmehr die Reserven in der Rente weiter aufstocken. Die Rede ist von drei Monatsausgaben - das sind etwa 50 Milliarden Euro. In der Reserve soll das Geld nach Vorstellung Storms bleiben, um die künftigen Herausforderungen für die Rentenversicherung abzufedern.

Von der Leyen wollte sich offiziell noch nicht auf eine genaue Höhe der Beitragssenkung festlegen. Diese Entscheidung werde erst im Herbst fallen, sagte sie. In dem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Entwurf zur Senkung der Beiträge heißt es jedoch, der Satz werde von derzeit 19,6 auf 19 Prozent des Bruttolohns gesenkt; die Arbeitnehmer werden dadurch um 2,7 Milliarden Euro entlastet. Ebenfalls um 2,7 Milliarden Euro sinken demnach die Arbeitskosten der Firmen. Von der Leyens Haus hofft, dadurch der Konjunktur einen Impuls zu geben. Die Absenkung der Rentenbeiträge "fördert die Beschäftigungsentwicklung sowie die Inlandsnachfrage und trägt zur Stärkung der Wachstumskräfte bei", heißt es im Entwurf.

Doch nicht nur Arbeitnehmer und Unternehmen werden von der Beitragssenkung profitieren. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss dadurch weniger an die Rentenkasse überweisen. Der Bundeszuschuss ist in seiner Höhe nämlich an die Höhe der Beiträge gekoppelt. Steigt der Beitragssatz, schießt der Bund mehr Geld zu, sinkt er, muss der Bund weniger zahlen. Paternoster-Effekt heißt das im Fachjargon. Für 2013 spart Schäuble also 1,11 Milliarden Euro.

Für die Zuschussrente will sich von der Leyen nun etwas mehr Zeit nehmen als noch vergangene Woche vorgesehen. Statt bis Ende August soll die Entscheidung nun bis Ende Oktober fallen.

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SZ vom 15.08.2012/dgr
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