Süddeutsche Zeitung

Schwarz-gelbe Koalition: der Rechtsstaat:Grau und hilfsbedürftig

Wo sind die Erfolge der FDP? Wo werden die Bürgerrechte gestärkt, die Sicherheitsgesetze entschärft? Der Erfolg der FDP besteht darin, was nicht im Vertrag steht, was Schäuble und die Union aber gern drin gehabt hätten.

Heribert Prantl

Wo sind die Erfolge der FDP? Wo sind die Freiheitsrechte gestärkt worden? Man liest die Seiten 90 bis 104 des Koalitionsvertrages, man sucht und sucht und blättert zurück und liest noch einmal - und findet wenig.

Man muss es wohl so sehen: Der Erfolg der FDP ist das, was nicht im Vertrag steht. Es findet sich nichts aus dem Wunschkatalog des Innenministeriums, der kurz vor der Bundestagswahl bekanntgeworden war. Es findet sich also kein Wort vom Ausbau des Geheimdienstes zu einer allgemeinen Sicherheitsbehörde und kein Wort über eine Lizenz zur Begehung von Straftaten für verdeckte Ermittler. Vom Konzept "Vorbereitung Koalitionspapier" taucht im Koalitionsvertrag praktisch nichts auf. Vielleicht war es Spielmaterial, zur Ablenkung für den kleinen David.

David hat bekanntlich den Riesen Goliath besiegt. Die FDP hat das nicht geschafft: Der Sicherheitsstaat steht so kräftig da wie vorher. Die FDP hatte Schleuder und Kiesel gar nicht erst ausgepackt. Sie begnügt sich damit, prüfend an die Rüstung des Riesen Goliath zu klopfen. Das nennt sich "Evaluierung", also Bewertung und Beurteilung. Es wird bei der inneren Sicherheit fast nichts entschärft, es soll stattdessen im Lauf der Legislaturperiode allerlei "evaluiert" werden: etwa die Überwachung der Telekommunikation - und überhaupt die Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern.

Entscheidender Satz im familienpolitischen Teil

Zuvor wird aber schon einmal die Rechtsstellung der Polizei gestärkt: Die "Kernkompetenzen" der Bundespolizei sollen ausgebaut werden. Und: Künftig gibt es eine Pflicht zum Erscheinen vor jeder Polizeistelle für Jedermann; bisher mussten Zeugen nur einer Vorladung durch den Richter oder den Staatsanwalt Folge leisten. Und der Straftatbestand "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" soll verschärft werden. Apropos Verschärfung: Die Höchststrafe für Jugendliche wird drastisch erhöht, von zehn auf 15 Jahre.

Der entscheidende Satz findet sich merkwürdigerweise im familienpolitischen Teil: "Im Jugendstrafrecht wird die Höchststrafe für Mord auf 15 Jahre erhöht." Bei dieser lapidaren Formulierung muss es sich um ein Redaktionsversehen handeln: Es mag angehen, dass Heranwachsende (also 18 bis 21-Jährige), wenn auf sie Jugendstrafrecht angewendet wird, bei Mord mit 15 Jahren Haft bestraft werden können. Aber soll das wirklich auch für Fünfzehnjährige gelten?

Am Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wird vorerst nichts geändert. Es liegt derzeit zur Prüfung auf dem Tisch des Bundesverfassungsgerichts. Klägerin ist unter anderem die künftige FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie bezweifelt in ihrer Klage die Verfassungsmäßigkeit der gesamten Regelung, die private Provider verpflichtet, alle elektronischen Spuren des gesamten Telekommunikationsverkehrs sechs Monate lang für die Sicherheitsbehörden zu speichern und zum Abruf bereit zu halten.

Um so erstaunlicher, dass die FDP bei den Koalitionsverhandlungen hier keine Änderungen durchgesetzt hat: Es wird auch weiterhin gespeichert, wer mit wem über Festnetz oder mobil telefoniert, wer an einem Chat teilnimmt, wer an wen eine SMS verschickt, von welchem Standort aus, wohin und wie lange. An dieser Speicherung wird kein Jota geändert. Nur der Zugriff auf diese Daten wird vorläufig, bis zum Urteil aus Karlsruhe, beschränkt; er soll nur bei schwerwiegenden Straftaten zulässig sein.

Das geht aber auch gar nicht anders: denn nur dies hat das Verfassungsgericht in seiner einstweiligen Anordnung vom März 2008 erlaubt. Im Wahlprogramm der FDP steht -wie ein vorweg genommener Kommentar dazu - der Satz: "Der Gesetzgeber muss endlich aufhören, sich stets nur an der Grenze des noch verfassungsrechtlich Zulässigen zu orientieren."

Am BKA-Gesetz, das dem Bundeskriminalamt umfassende neue Kompetenzen gibt, soll inhaltlich wenig geändert werden: Es bleibt bei den Paragrafen mit eingebautem Blaulicht, es bleibt dabei, dass die Persönlichkeitsrechte und Zeugnisverweigerungsrechte beiseite springen müssen, wenn das Bundeskriminalamt Computer durchsuchen oder Lausch- und Spähangriffe veranstalten will. Nur der "Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung" soll "optimiert" werden.

Gewichtige und richtige Änderungen gibt es im Verfahren: Die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen des BKA soll künftig nicht mehr, wie bisher, der Amtsrichter am Sitz des BKA in Wiesbaden genehmigen. Dafür ist künftig der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof zuständig, die Bundesanwaltschaft muss den Antrag stellen.

Das Gesetz, das die Sperrung von Internet-Seiten mit Kinderpornografie vorsieht, soll vorerst nicht angewendet werden. Man setzt stattdessen auf die "Selbstregulierungskräfte der Internet-Wirtschaft" und auf die Fähigkeit des BKA, die Seiten einfach zu löschen. Um den Datenschutz werden ein paar schöne neue schmückende Schleifen gewickelt. Ein eigenes Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer wird es nicht geben, stattdessen ein einschlägiges Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz.

Das Zeugnisverweigerungsrecht wird ein wenig gestärkt, aber nicht für alle Berufe. Journalisten sind auch künftig vor heimlichen Staatsaktionen nicht geschützt. Allerdings wird die Strafvorschrift gestrichen, wonach Journalisten, wenn sie Skandale aufklären, wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat bestraft werden können.

Der Kuckuck wird teurer: Um die "Effizienz der Zwangsvollsteckung" zu steigern, soll das Gerichtsvollzieherwesen privatisiert werden. Die Gerichtsvollzieher sind bisher Beamte. Künftig sollen sie "beliehene Unternehmer" sein. Es wird also ein Privatmann, dem der Staat diese Aufgabe überträgt, bewegliche Sachen pfänden und versteigern. Die Gebühren werden teuerer werden, auf dass sich das für einen Privatmann rechnet. Das Pfandsiegel, Kuckuck genannt, wird ein Wertpapier für Gerichtsvollzieher.

Ansonsten: Die Privatpiloten dürfen aufatmen, weil ihre Zuverlässigkeitsprüfung auf ein "angemessenes Maß" reduziert werden soll. Und die Waffenbesitzer sollen vor "unzumutbaren Belastungen" durch das Waffenrecht befreit werden. Das sind gewissermaßen auch Freiheitsrechte.

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SZ vom 26.10.2009/gba
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