Schwarz-gelbe Koalition:Bedingt regierungsfähig

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Seit Jahren wünschen sich Union und FDP nichts sehnlicher, als gemeinsam zu regieren. Doch schon beim Blick in den Koalitionsvertrag wird deutlich: Das Markenzeichen der neuen Regierung ist ihre Unfertigkeit.

Nico Fried

Die neue schwarz-gelbe Regierung soll nicht den Mief der letzten Koalition von Union und FDP verströmen. Darin sind sich die Kritiker dieser Koalition wahrscheinlich sogar mit deren Anhängern einig. Die Warnung vor einem Rückfall in die politische Atmosphäre der Ära Kohl gilt allerdings auch für die Opposition.

Angela Merkels Regierung wird am Mittwoch vereidigt, obwohl die Koalition noch gar nicht bereit ist. (Foto: Foto: AP)

Die reflexhafte Kritik des designierten SPD-Chefs Sigmar Gabriel oder der inzwischen zu lange amtierenden Grünen-Chefin Claudia Roth auf den Koalitionsvertrag versucht noch immer eine Dämonisierung von Union und FDP, die schon im Wahlkampf erfolglos geblieben ist. Diese Koalitionsvereinbarung hat viele Mängel, aber den Vorwurf des sozialen Kahlschlags verdient sie nicht.

Deshalb erstaunt es auch, dass der Präsident der Arbeitgeberverbände Dieter Hundt - gefühlt noch mindestens dreimal länger im Amt als Claudia Roth - nun den Vertrag lobt. Das Papier sei eine gute Grundlage für die notwendigen Strukturreformen, hat Hundt gesagt. Auch das ist falsch, denn dieser Vertrag verspricht zwar Wohltaten, gerade für die Wirtschaft. Aber eine Blaupause für tiefgreifende Reformen ist er nicht. In der Beschwörung ihres jeweiligen Wunschbildes dieser Koalition bilden Hundt und Gabriel und Roth eine ebenso bemerkenswerte wie gestrige Allianz.

Das erste Markenzeichen von Schwarz-Gelb ist vielmehr die Unfertigkeit. Die Regierung wird am Mittwoch vereidigt, obwohl die Koalition noch gar nicht bereit ist. Es gibt dafür mehr Beweise als die gegenläufigen Aussagen zur Gesundheitspolitik von Guido Westerwelle und Horst Seehofer. Im ganzen Vertrag wimmelt es an nicht ausformulierten Vorhaben. Die Vereinbarung gleicht dem Fehldruck eines Romans: Immer, wenn's spannend wird, fehlt eine Seite.

Seit mindestens vier Jahren wünschen sich Union und FDP nichts sehnlicher, als gemeinsam zu regieren. Erst jetzt aber wird diese Koalition Prüfaufträge vergeben, Konsensgespräche mit der Atomindustrie führen, sich in Kommissionen zur Gesundheitspolitik, zur Pflegeversicherung oder zu den Gemeindefinanzen durch die Nächte quälen.

Schon Gerhard Schröder ist mit seinen Kommissionen zur Einwanderung, zur Bundeswehr und auch zum Arbeitsmarkt dem Irrtum erlegen, eine quasi-objektive Wahrheit könne schwierige politische Führungsentscheidungen erleichtern. Noch mehr verwundert Angela Merkels Neigung zur Verschiebung allerdings, weil auch die Kanzlerin in ihrer ersten Amtszeit die Erfahrung gemacht hat, dass mit der Gesundheitsreform das Thema die meiste Kraft gekostet und das umstrittenste Ergebnis gezeitigt hat, für dessen Klärung zu Beginn der großen Koalition der Mut auf allen Seiten fehlte.

Die Unvollständigkeit ihres neuen Bündnisses passt in das Bild, das Merkel selbst in den Verhandlungen abgegeben hat, die nicht zu ihren besten drei Wochen gehörten. Die Kanzlerin persönlich steht für wenig von dem, was in diesem Vertrag zu lesen ist: Für die Bildung gibt es mehr Geld, aber die Bildungsrepublik bleibt vorerst ein hehrer Wunsch, die föderale Verkrampfung das größte Problem. Die Kanzlerin will Wachstum stimulieren, hat sich dafür aber zu Zusagen hinreißen lassen, von denen in ihrem Wahlkampf keine Rede war.

Den Vorwurf mangelnder Führung kontert Merkel stets damit, dass zu wenig beachtet werde, wenn sie Schlimmeres verhindere. So wird es auch diesmal sein. Aber stimmt es auch? Im Wahlkampf sprach Merkel von moderaten Steuersenkungen über 15 Milliarden Euro. Jetzt sind es 24 Milliarden Euro geworden. Damals hat sie erzählt, sie wolle die FDP und ihre Ausgabenwünsche "erden" - weil ihr das nicht gelungen ist, soll es jetzt Wolfgang Schäuble erledigen.

Und hat die Kanzlerin Schlimmeres verhindert, wenn ihre Koalition nun den politischen Überlebenskampf Horst Seehofers stützt? Merkel wirft dem CSU-Chef vom Betreuungsgeld über Hilfen für die Landwirte bis zum reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hotelbetriebe all das Geld hinterher, von dem Seehofer glaubt, er könne damit seinen Machterhalt bezahlen.

Der präziseste Satz dieser mangelhaften Koalitionsvereinbarung steht in Zeile 559 und man kann nur hoffen, dass der Finanzminister ihn zu seinem ersten politischen Gebot macht: "Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt."

Schäuble steht für den Teil der Koalition, der Merkel am besten gelungen ist: das Personal. Das ist kein Wunder, weil Ämtervergabe stets Machtsicherung bedeutet, worauf sich die Kanzlerin selbst dann noch versteht, wenn sie ansonsten schwächelt. Ihre Vertrauten wie Ronald Pofalla oder Norbert Röttgen wertet Merkel in neuen Ämtern auf. Den Distanzierten wie Schäuble und Günther Oettinger schmeichelt sie durch neue Verantwortung zu ihrem Nutzen.

Die anderen Ministerpräsidenten werden mehr Mitsprache einfordern, wenn sie die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat gewährleisten sollen. Ob aber einer von ihnen wirklich den Mumm zur Blockade hat, wenn diese Koalition anfängt zu arbeiten, ist zweifelhaft. In den Koalitionsverhandlungen war Widerstand leicht. Denn wie der Koalitionsvertrag schwarz auf weiß belegt, haben Union und FDP konkrete Politik bis jetzt nur simuliert.

© SZ vom 26.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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