Schwarz-gelbe Bundesregierung:FDP-Vize droht mit Bruch der Koalition

"... dann geht es mit der Union nicht mehr": Am Tag nach der Wahlpleite in Mecklenburg-Vorpommern pocht FDP-Vize Holger Zastrow auf Steuersenkungen - andernfalls sieht er Schwarz-Gelb am Ende. Schonungslos analysiert der Sachse die Klatsche für die Liberalen, greift Finanzminister Schäuble frontal an - und fragt sich, warum die Grünen nun bedingungslos für Kriegseinsätze sind, Westerwelle aber so harsch in der Kritik steht.

Oliver Das Gupta

Holger Zastrow, Jahrgang 1969, hat sein politisches Engagement in der Wendezeit 1989/90 begonnen. Seine politische Heimat war von Beginn an die FDP, seit 1999 bekleidet der gebürtige Dresdner Spitzenpositionen im Landesverband: Zastrow ist Parteichef und führt die FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, seit 2000 ist er auch Mitglied im FDP-Bundesvorstand. Im Mai wurde er ins Amt des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden gewählt. Holger Zastrow ist Geschäftsführer einer PR-Agentur.

Landtagswahl Sachsen - Holger Zastrow FDP

Ostdeutscher Spitzenliberaler aus Dresden: Holger Zastrow

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Zastrow, die FDP in Mecklenburg-Vorpommern verpasste den Einzug in den Schweriner Landtag, sie verlor mehr als zwei Drittel der Wähler. Woran hat es gelegen?

Holger Zastrow: Da kam einiges zusammen: Die internen Probleme der Landespartei, die offensichtlich wurden, als der langjährige Fraktionschef vor wenigen Monaten bei der Wahl zum Spitzenkandidaten durchfiel. Die Parteifreunde im Norden haben trotzdem couragiert gekämpft und versucht zu retten, was noch zu retten ist. Rückenwind aus Berlin bekamen die Liberalen in Mecklenburg-Vorpommern diesmal auch nicht. Es ist eben so: Die Bürger wählen Teamgeist und klares Auftreten und keine Partei, die mit sich selbst nicht im Reinen ist. Da passte im Land und im Bund einiges nicht zusammen. Das war für eine positive Wahlentscheidung nicht gerade förderlich.

sueddeutsche.de: In diesem Jahr ist die FDP schon aus vier Landesparlamenten geflogen, in zwei Wochen droht das nächste Fiasko bei der Berlin-Wahl. Warum bleibt die Trendwende auch nach dem Antritt von Philipp Rösler im Vorsitz aus?

Zastrow: Der Neuanfang braucht wesentlich mehr Zeit. Machen wir uns nichts vor: Der Vertrauensverlust ist gravierend, den die FDP in den ersten eineinhalb Jahren in der schwarz-gelben Bundesregierung erlitten hat. Wir haben sehr viele unserer Wähler vor den Kopf gestoßen. Die zurückzugewinnen, wird dauern. Möglicherweise bis zur Bundestagswahl 2013.

sueddeutsche.de: Und wie wollen Sie neues Vertrauen schaffen?

Zastrow: Wir müssen unsere zentralen Wahlversprechen erfüllen, Haltung zeigen und uns endlich wehren.

sueddeutsche.de: Das heißt: Die Steuern senken?

Zastrow: Auch. Wir haben versprochen, die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Das haben wir bis heute nicht erfüllt. Gerade weil wir schlaue und anspruchsvolle Wähler haben, dürfen wir uns nicht wundern, dass diese Menschen das merken und sich getäuscht fühlen.

sueddeutsche.de: Die Koalition plant zum 1. Januar 2013 eine solche Entlastung - also wenige Monate vor der Bundestagswahl. Reicht das?

Zastrow: Die Ankündigung alleine sicherlich nicht, sonst wäre die Wahl gestern auch anders ausgegangen. Es gibt zwar die Vereinbarung, die Steuern zu senken. Aber man wird der FDP erst wieder glauben, wenn sie nicht nur redet, sondern auch handelt. Für unsere Wähler ist der Stand: Die FDP hat sich bis zum heutigen Tage nicht gegen den Koalitionspartner durchsetzen können. Wir sollten im Übrigen versuchen, die Steuerreform vorzuziehen: Der Aufschwung passiert jetzt, heute sprudeln die Steuerquellen, die Kassen des Staates sind prall gefüllt. Deshalb sollten wir schnellstmöglich diese Spielräume nutzen. Ich würde mir wünschen, so bald wie möglich eine Steuersenkung festzuschreiben.

sueddeutsche.de: Welchen Termin schlagen Sie vor?

Zastrow: Wir sollten ernsthaft prüfen, ob das nicht schon zum 1. Juli 2012 machbar ist. Die Berufstätigen müssen etwas vom Aufschwung haben - sie haben ihn ja auch erwirtschaftet.

sueddeutsche.de: Ein Termin zur Jahresmitte ist unüblich.

Zastrow: Stimmt. Aber Finanzminister, Stadtkämmerer und Staatsbürokratie finden immer Gründe, warum eine Entlastung gerade wieder einmal nicht möglich ist. Den richtigen Zeitpunkt gibt es aus ihrer Sicht nie, weil der Staat immer jede Menge Geld braucht. Und weil viele Politiker nicht den Mut haben, den Staat auf seine Kernaufgaben zu konzentrieren, Verwaltungsstrukturen zu straffen, Bürokratie abzubauen und sparsam zu haushalten und weil sie dem eigenverantwortlich handelnden Bürger zutiefst misstrauen, können die Steuern und Abgaben aus deren Sicht nie zu hoch sein. Um dem etwas entgegenzusetzen, ist die FDP gewählt worden: Die Interessen des freiheitsliebenden Bürgers und der berufstätigen Mitte der Gesellschaft gegen zu große Begehrlichkeiten des Staates durchzusetzen. Das müssen wir tun. Die Steuern senken. Unbedingt. Wir haben es versprochen.

"Mir ist die Position Schäubles dazu egal - völlig egal!"

sueddeutsche.de: Dementsprechende Vorstöße der FDP wurden bislang von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble abgeblockt. Möglicherweise stoppt er erneut den Plan, die Steuern vor der Bundestagswahl zu senken. Wäre das hinnehmbar für die FDP?

Bundestag Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Wirtschaftsminster und Vizekanzler Philpp Rösler (FDP)

Partner in der Bundesregierung: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Wirtschaftsminster und Vizekanzler Philpp Rösler (FDP)

(Foto: dpa)

Zastrow: Mir ist die Position Schäubles dazu egal - völlig egal! Er entscheidet das nicht. Es gibt einen Koalitionsvertrag. Der ist für alle bindend.

sueddeutsche.de: Bislang hat Schäuble Steuersenkungsvorstöße der FDP erfolgreich kassiert - und seine Parteifreundin und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn gewähren lassen. Was macht die FDP, wenn das so bleibt?

Zastrow: Wenn die FDP die Entlastung unserer Berufstätigen mit dieser Kanzlerin und diesem Finanzminister nicht durchsetzen kann, müssen wir Konsequenzen ziehen. Dann geht das nicht mehr mit der Union. Wir haben die erwähnte Vereinbarung für die Steuersenkungen spätestens zum 1. Januar 2013 und die muss unter allen Umständen eingehalten werden. Die Union steht im Wort - das muss sie halten.

sueddeutsche.de: Allerdings bleibt die Union bundesweit relativ stabil bei 30 Prozent plus x, während die FDP um ihr parlamentarisches Dasein fürchten muss.

Zastrow: CDU und CSU sollten sich nichts vormachen. Die Union profitiert ja nicht von der Schwäche der Liberalen, im Gegenteil: Die Bürger sind generell unzufrieden mit dieser Bundesregierung. Das bürgerliche Lager verliert insgesamt. Das zeigt die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern und das zeigt der Bundestrend. Wir sitzen in einem Boot. Es gibt nur noch ein Bundesland, in dem Schwarz-Gelb auch in Umfragen eine Mehrheit hätte und das ist meines: Sachsen.

sueddeutsche.de: Worauf führen Sie das zurück?

Zastrow: CDU und FDP arbeiten in Sachsen gut zusammen. Wir gönnen dem jeweils anderen Erfolge, wir profilieren uns nicht ständig auf Kosten des Koalitionspartners. Wir haben eine gemeinsame Vision für den Freistaat Sachsen, wissen wohin wir unser Land in den nächsten zehn, zwanzig Jahren bringen wollen, und wir erfüllen das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Die FDP setzt ihre Wahlversprechen um wie beispielsweise in der Bildungspolitik - die CDU genauso. Und wir helfen einander dabei. Sogar in der Steuerdebatte hat Sachsen sich schon für Steuersenkungen ausgesprochen und bereitet sich im übrigens schuldenfreien Doppelhaushalt darauf vor. All das sehen auch die Wähler. Ich würde mir wünschen, dass der Geist der Bundesregierung wesentlich kollegialer wäre. Gleiches erwarte ich von meiner Partei.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle ist in der Bevölkerung unbeliebter denn je und auch in der FDP als Außenminister umstritten. Welchen Sinn hat es, ihn in einer Spitzenposition zu halten?

Zastrow: Mir ist unerklärlich, warum wir über den Außenminister diskutieren. Wie man auch zu der deutschen Enthaltung zur Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat steht und unabhängig von möglicherweise missverständlichen Äußerungen des Ministers zur Rolle der Nato: Wichtig ist, das keine deutschen Soldaten an diesem Krieg beteiligt sind. Darum geht es. Das ist der Kern der Debatte. Die Bundesregierung und Guido Westerwelle haben richtig entschieden. Andere Kriegseinsätze und die Geschichte Deutschlands zeigen, dass es keine falsche Haltung ist, alles zu versuchen, um Konflikte politisch mit friedlichen Mitteln zu lösen. Das sieht sogar eine Mehrheit der Deutschen so.

sueddeutsche.de: Es ist eine umstrittene Entscheidung.

Zastrow: Die Politik Deutschlands und Westerwelles in der Libyen-Frage ist selbstbewusst, patriotisch und verantwortungsvoll - im Gegensatz zum Gebaren der Grünen. Wenn man liest, was Herr Fischer und Frau Roth von sich geben, wird klar, dass die Grünen offensichtlich für neue militärische Einsätze der Bundeswehr sind - trotz Kosovo, trotz Afghanistan. Wer wie Grüne und SPD behauptet, dass die Libyen-Politik der Bundesregierung gescheitert sei, will ganz offenbar eine andere Politik und die kann nur heißen, deutsche Soldaten in neue militärische Abenteuer ins Ausland zu schicken. Anders als Union und FDP nehmen Grüne und SPD in Kauf, dass die Bundeswehr in neue Kriegseinsätze verstrickt wird - heute in Libyen und morgen vielleicht in Syrien, im Jemen oder Somalia. Und das alles, ohne das die linksgrünen Parteien bereit wären, die Bundeswehr besser auszustatten. Jeder weiß, dass die Bundeswehr mit ihren Aufgaben in Afghanistan, im Kosovo und am Horn von Afrika schon jetzt an der Belastungsgrenze ist. Herr Fischer philosophiert groß über Europa. Dabei ist er mit seinen Grünen für die Aufweichung der Euro-Stabilitätskriterien mitverantwortlich.

sueddeutsche.de: Sie geben Rot-Grün eine Mitschuld an der gegenwärtigen Krise?

Zastrow: SPD und Grüne haben für die finanzpolitische Ursünde der Bundesrepublik gesorgt. Seit unter Rot-Grün der Klassenprimus Deutschland selbst die Maastricht-Kriterien gerissen hat, ist Schuldenmachen in Europa en vogue. Damit hat die Regierung Schröder/Fischer eine erhebliche Aktie an der Krise des Euros. Auf solche Zusammenhänge müssen wir als FDP hinweisen. Wir dürfen Rot-Grün nicht einfach so laufen lassen. Denn die FDP badet jetzt Fehler aus, die Leute wie Fischer gemacht haben. Wir müssen uns wehren und den politischen Gegner angreifen, statt uns nur mit uns selbst zu beschäftigen und der Demontage unserer Verantwortungsträger zuzusehen.

sueddeutsche.de: Kann man mit Westerwelle noch Wahlen gewinnen?

Zastrow: Selbstverständlich. Er gehört in unser Spitzenteam und wird beim Neuaufbau der Partei eine starke Rolle einnehmen. Und machen wir uns nichts vor: Wenn Westerwelle weg wäre, würde es den nächsten treffen. Jede Attacke gegen Westerwelle ist eine Attacke gegen die ganze Partei. Ich hoffe, dass das jedem bei uns bewusst ist.

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