Schwarz-Gelb nach Sarrazin:Letzte Frist für Angela Merkel

Schwarz-Gelb steht nah am Abgrund, in der CDU fürchtet man sich vor einer neuen rechten Partei. Der Konflikt um Sarrazin hat Angela Merkels Führungsschwäche endgültig offengelegt. Ihre Zukunft wird sich in Baden-Württemberg entscheiden.

Stefan Braun

Im Konrad-Adenauer-Haus feierten sie an diesem Abend ausgelassen. Sie tanzten, sie umarmten sich, sie schauten voller Hoffnung in die Zukunft. Denn die allermeisten in der CDU-Zentrale glaubten an diesem 27. September 2009, das ganz große Glück habe sie noch einmal in die Arme genommen. Sie glaubten, mit der errungenen schwarz-gelben Mehrheit sei die Welt wieder im Lot - und der Rest werde sich ganz von selbst ergeben. Sie stießen an auf jenes Bündnis, das in der Union viele für das natürliche hielten, das einzig mögliche jedenfalls, das Deutschland vernünftig, liberal und bürgerlich-konservativ in eine gute Zukunft führen könne. Wie sich heute zeigt, ist das die größte Fehleinschätzung in der Geschichte der CDU gewesen.

CDU Präsidiumsklausur

Die wirtschaftsliberalen, bürgerlich-konservativen Kernwähler erwarten einen Ersatz für ihre leere Politik: Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Chefin.

(Foto: dpa)

Ein Jahr später steht das Bündnis aus Union und FDP nah am Abgrund. Und die CDU steht vor der Frage, ob sie die Gründung einer Partei neben ihr noch verhindern kann. Sicher, das Geraune über eine solche Gefahr gibt es, seit Angela Merkel vor zehn Jahren Parteivorsitzende wurde. Aber die Lage hat sich durch ein Jahr schwarz-gelbe Regierung dramatisch verändert.

Das klingt paradox, aber genau so ist es. Nicht die Opposition ist in diesen zwölf Monaten so stark geworden. Die Regierungsparteien selbst haben in den Augen der großen Mehrheit ihre Unfähigkeit bewiesen. Durch miserables Regieren hat ausgerechnet dieses Bündnis nicht nur seine Gegner mobilisiert. Es hat viele seiner Anhänger gegen sich aufgebracht.

Genau jene, die vor einem Jahr am lautesten feierten, haben heute die größten Kopfschmerzen. Und sie sind drauf und dran, sich zum ersten Mal richtig abzuwenden. Wer trotzdem glaubt, alles werde weiter beim Alten bleiben, unterliegt einer Illusion, wie sie größer kaum sein könnte. Es fehlt nicht viel, und aus dem Fünf- könnte ein Sechs-Parteien-System werden.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber die größte Ursache heißt Berliner Koalition. Ihre Unentschlossenheit, ihre Zerstrittenheit, ihre fehlende Botschaft - all das hat ein mächtiges schwarz-gelbes Vakuum geschaffen. Es sind keineswegs diejenigen am rechten Rand der Union, die innerlich nicht nur von einer anderen Regierung, sondern allmählich von einer anderen Partei träumen. Es sind die wirtschaftsliberalen, bürgerlich-konservativen Kernwähler, die sich immer mehr danach sehnen, einen Ersatz zu bekommen.

Die Verantwortung dafür liegt bei CDU, CSU und FDP gleichermaßen. Und sie liegt zuallererst in der Unfähigkeit aller drei, sich zu einem vernünftigen Ganzen zusammenzufinden. Hinzu kommt, dass die FDP ihre Chance verspielt hat, unzufriedenen Unionswählern eine Alternative zu bieten. Dass sich durch Angela Merkels Kurs mancher konservative Unionswähler heimatlos fühlt, ist kein neues Phänomen mehr. Dass aber die FDP alle Hoffnungen auf ein seriöses Regieren enttäuscht, hat in den eigenen Reihen niemand erwartet - und führt zu jenem tiefen Frust, der den Sog zu einer möglichen neuen Partei besonders stark macht. Es ist der Vertrauensverlust von Schwarz-Gelb bei den eigenen Leuten.

Die Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins und der Streit um die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach sind dabei weniger Ursache als vielmehr gefährliche Begleitmusik. Der Konflikt um Sarrazin hat offengelegt, wie groß der Autoritätsverlust der Führungen von CDU und SPD geworden ist.

Koch oder Merz als Gegner der CDU?

Weder Merkel noch SPD-Chef Sigmar Gabriel waren in der Lage, in der Vermengung von gefährlichen Ressentiments und ernstzunehmenden Problemen in der eigenen Partei eine klare Linie durchzusetzen. Und die Kritik der Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach am Umgang mit den Konservativen wirkte wie ein Verstärker. Diese Kritik ist nicht neu, aber sie trifft die CDU in einem Moment, in dem es besonders weh tut. Angesichts der miserablen Umfragewerte sind viele Christdemokraten stark verunsichert. Und das ist noch nicht einmal alles.

Denn ausgerechnet jetzt droht der Partei auch noch eine historische Niederlage. In sechs Monaten wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die CDU zum ersten Mal seit dem Krieg die Macht verlieren könnte. Sollte dieser Fall eintreten, wäre das nicht nur für die Landes-CDU eine verheerende Niederlage. Es wäre der politische GAU für Angela Merkel und ihre Führungsmannschaft.

Für die Kanzlerin beginnt also eine letzte Frist bis März nächsten Jahres. Sicher, in Stuttgart tobt derzeit ein Kampf um den neuen Bahnhof, an dem die Landes-CDU schon ganz alleine scheitern könnte. Das aber würde Merkel als Ausrede nichts mehr helfen. Sie würde für eine Niederlage auf alle Fälle verantwortlich gemacht werden.

Gelingt es Merkel nicht, ihre Koalition zur Vernunft zu bringen, dann steht die Bundes-CDU vor einem Machtwechsel - oder vor einer neuen Partei an ihrer Seite. Noch heißt es, der Aufwand einer Parteigründung sei zu groß, um erfolgreich sein zu können. Sollte sich jedoch ein Friedrich Merz oder ein Roland Koch auf diesen Weg machen, hätte die CDU es mit einem Gegner zu tun, der sich kein Profil mehr erarbeiten müsste. Der eine wie der andere verkörpert schon heute eine klare schwarz-gelb-konservative Alternative zu Angela Merkel.

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