Schwarz-Gelb:Können die es?

Vier Jahre Union und FDP stehen vor uns. Doch dafür, dass beide Partner schon seit langem zusammen regieren wollen, liefen die Koalitionsverhandlungen erschreckend unprofessionell ab.

Kurt Kister

Nächste Woche wird das Wetter wahrscheinlich schlecht, ein Zahnarzttermin steht an, und man sollte die Winterreifen aufziehen lassen. Am Dienstag tritt außerdem der neue Bundestag zusammen, und am Mittwoch wird es dann wohl auch eine neue Regierung geben. Samstags spielt der HSV gegen Gladbach, und Bayern wird möglicherweise selbst gegen Stuttgart verlieren. Eine ganz normale Woche also.

Nein, es liegt keine Aufbruchstimmung in der Luft. Weder wartet man, wie nach dem ersten Wahlsieg Kohls, freudig gespannt oder deprimiert, auf eine geistig-moralische Wende, noch blickt man, wie 1998, einem interessanten Experiment wie Rot-Grün entgegen. Niemand wird diesmal sagen, dass Regieren Spaß mache. Wichtige Teile des Personals von Schwarz-Gelb - der Prinz Solms und Schäuble, der rheinische Abgeordnete Westerwelle, sein Brüderle und auch die Umweltministerin a.D. Merkel - sind einem von früher seltsam vertraut. Diese Koalition ist auch so etwas wie die späte Rache Bonns an der Berliner Republik.

Es gibt nicht einmal einen richtigen Machtwechsel. Angela Merkel, die Präsidialkanzlerin, wird mit Westerwelle nicht anders regieren als mit Steinmeier. Die Union wird die schwarz-gelbe Regierung unter das Motto stellen: "Vorwärts im Krebsgang!", bei der FDP heißt es immer noch: "Steuersenkung oder Tod". Ist Guido Westerwelle erst einmal Außenminister, wird er, wie alle Außenminister, beim Volk relativ populär werden, in der Innenpolitik aber eher unwichtiger.

Gewiss, Schwarz-Gelb wird Aktendeckel umschichten, bewährte Kräfte wie Wolfgang Schäuble vom einen ins andere Ministerium versetzen und menschgewordene Politversprechen wie den Baron Guttenberg weiter so lange aufbauen, bis selbst Horst Seehofer vor ihm kapituliert (die CSU wird jetzt offenbar auch am Hindukusch verteidigt).

Politikverdrossenheit wird Gleichgültigkeit

Die meisten Menschen in Deutschland aber empfinden den Beginn der zweiten Regierung Merkel als wenig elektrisierend. Viel zu viele haben sogar den Eindruck - man mag das auch an der stetig sinkenden Wahlbeteiligung ablesen -, dass es für ihr Leben unbedeutend ist, wer da gerade regiert.

Aus der Politikverdrossenheit wird allmählich eher Gleichgültigkeit. Das hat auch mit dem Zustand der Opposition zu tun. Die SPD, so sagt ihr designierter Vorsitzender Gabriel, befinde sich in einer katastrophalen Situation und werde Jahre brauchen, um sich zu berappeln. Das ist einerseits wahr und andererseits die Selbstabmeldung aus der Politik nach dem Motto: Rechnet jetzt erst mal nicht mit der SPD, wir haben mit uns selbst zu tun.

Die bundesweite Wahrnehmung der Linkspartei wiederum steht ganz im Zeichen ihres empfindlichen Stars von der Saar, von dem man nicht weiß, wovor er wieder einmal wohin wegläuft oder sich umorientiert. Wenn Lafontaine eine kleine Krise hat, wankt der Sozialismus, zumindest in Westdeutschland. Die Grünen schließlich sind entschlossen, aus inhaltlichen Gründen notfalls für jede Art von Koalition bereitzustehen.

Eigentlich sind das ideale Voraussetzungen für eine Regierung, die sich selbst, mangels eines besseren Adjektivs, gerne als "bürgerlich" bezeichnet, weil sie nicht "konservativ" genannt werden will: Sie hat in Bundestag und Bundesrat jeweils die Mehrheit; die Opposition changiert zwischen desolat und mittelmäßig; der größere Koalitionspartner hat nicht nur Regierungserfahrung, sondern stellt auch noch die beliebte Kanzlerin. Genau diese schwarz-gelbe Koalition aber hat während der Verhandlungen der vergangenen Wochen einen stellenweise verheerenden und nie einen guten Eindruck gemacht.

Ein Schuss ins eigene Knie

Man sollte annehmen, dass Parteien, die seit Jahren angeblich miteinander regieren wollen, so etwas wie einen Fahrplan der Gemeinsamkeiten aufgestellt hätten. Haben sie aber nicht. Das erinnert stark an die rot-grünen Koalitionsverhandlungen von 1998. Damals glaubten weder SPD noch Grüne vor der Wahl ernsthaft daran, dass es für ihre Konstellation reichen würde. Entsprechend war das Gewürge der ersten Wochen und Monate. "Die können es nicht", sagte damals die Opposition.

Was soll man heute anderes sagen, wenn man verfolgt, wie die Koalitionsverhandler eben mal einen Schattenetat, eine Art bad budget, gebären, den sie in orwellscher Neusprache "Nebenhaushalt" nennen, ihn 36 Stunden lang heftig verteidigen, bevor ihnen ihr eigener Innenminister sagen muss, das Ganze sei wahrscheinlich verfassungswidrig? Nun war dieser mit Präzision ins eigene Knie gesetzte Schuss ja keine Marginalie, sondern dieser Etat gehörte zu den zentralen Lösungsansätzen der entstehenden Koalition.

Diese Dummheit, die ein schwerer Fehler war, prägte das Bild von den Verhandlungen, auch wenn man sich auf eine ganze Menge anderer Punkte relativ schnell und lautlos einigte. So ist das Leben, so ist die Politik: Viele kleine positive Dinge verschwinden hinter ein oder zwei großen Patzern.

Lesen Sie weiter, warum Union und FDP unprofessionelle, schlechte Verkäufer sind.

Aussitzen will gelernt sein

Das Bild, das sich Menschen von einer Koalition machen, formen auch jene, die für sie sprechen. Meistens sprachen, ohne viel zu sagen, die Generalsekretäre Pofalla (CDU), Niebel (FDP) und Dobrindt (CSU). Bei Letzterem wäre es gut, er schwiege mehr, als er spräche, denn Dobrindts voralpiner Phrasenschatz qualifiziert ihn zum Ersatzmoderator für die Börse im Ersten.

Niebel, einst Zeitsoldat, ist hauptsächlich ein erprobter Infanterist. Pofalla wiederum ist allein gar nicht so schlimm, wirkte aber trotzdem in dem Schwurbel-Trio zu gut aufgehoben. Schon in den Koalitionsverhandlungen bildet sich das Image einer Regierung. Es ist wirklich rätselhaft, warum Union und FDP nicht nur eine so unprofessionell wirkende Verhandlungsstrategie vorführten, sondern diese auch noch so schlecht verkauften.

Es ist Deutschland hier

Der äußere Anschein von Politik ist für den Erfolg von Politik bedeutender als jemals zuvor. Dies hängt einerseits mit der Allgegenwart von Journalisten und journalistenähnlichen Menschen in Berlin zusammen. Andererseits macht das Internet mit YouTube und dessen Verwandten aus einer kleinen Peinlichkeit ein von Hunderttausenden angeklicktes Problem, welches das Ansehen und damit auch die Durchsetzungsfähigkeit eines Politikers, ja einer Regierung beschädigen kann. Die Fremdsprachen-Abenteuer des designierten Außenministers ("es ist Deutschland hier") haben sich im Netz mittlerweile Millionen Leute angeguckt.

Wenn man dieser Regierung nicht grundsätzlich übel will, muss man ihr wünschen, dass ihr Start besser wird als die Koalitionsverhandlungen. Die FDP wird in den nächsten Jahren wohl die Erfahrung machen, dass sie ihr Wahlergebnis, das sie aus der Opposition heraus erzielt hat, nur schwer wird halten können. Hinzu kommt, dass Angela Merkel mit ihren lange, manchmal auch zu lange gedienten Paladinen etwelchen Aktionismus der Liberalen oder jüngerer Unionisten aussitzen wird. Schließlich hat sie unter Helmut Kohl gedient und gelernt.

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