Schwarz-Gelb:Jetzt lieber mal die Klappe halten

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Verordnete Osterruhe: Mit Streitereien sind keine Wahlen zu gewinnen. Darum soll bis zur NRW-Wahl Ruhe herrschen im schwarz-gelben Gebälk.

Thorsten Denkler, Berlin

Vielleicht schaffen sie es ja, frei nach dem Kabarettisten Dieter Nuhr, jetzt einfach mal die Klappe zu halten. Wenigstens in den kommenden sechs Wochen bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nichts wünschen sich die Besonnenen in der schwarz-gelben Koalition sehnlicher.

Bitte, bitte, keine römischen Ausfälle à la Guido Westerwelle. Keine Söder'schen und Dobrindt'schen Blutgrätschen, keine Familienfreuden auf Regierungsreisen, keine derzeit ohnehin nicht lösbaren Spiegelfechtereien um Steuersenkungen und Gesundheitsreformen.

Die Koalition hat sich in den wenigen Monaten seit der Bundestagswahl beinahe selbst zerlegt. Ohne erkennbares Zutun der Oppositionsparteien wird sie Woche für Woche mit desaströsen Umfragewerten bestraft. Eine Umfrage-Mehrheit im Bund hat Schwarz-Gelb schon seit Wochen nicht mehr. Und in Düsseldorf erscheint es von Mal zu Mal unwahrscheinlicher, dass Jürgen Rüttgers (CDU) sein schwarz-gelbes Bündnis nach der Landtagswahl noch fortführen kann.

Schohn mahnt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, an Rhein und Ruhr hätten ja lange die Sozialdemokraten regiert. Das sei kein klassisches CDU-Land. Union und FDP müssten jetzt "die Nerven behalten".

Darum: Ruhe bitte!

Doch es reicht offenbar nicht, den Zeigefinger an den Mund zu führen. Da muss schon mehr her.

Zum Beispiel ein Schulterschluss zwischen CDU-Mann und Umweltminister Norbert Röttgen und FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Beide sind noch verhältnismäßig jung, oder wirken zumindest so. Beide kommen aus Nordrhein-Westfalen. Beide wissen: Wenn Schwarz-Gelb dort verlorengeht, dann waren die innerkoalitionären Streitereien der vergangenen Wochen Pipifax gegen den Sturm, der danach losbrechen wird.

Ein Papier mit Symbolkraft

In der Süddeutschen Zeitung haben Röttgen und Lindner jetzt einen gemeinsamen Aufsatz veröffentlicht, in dem sie versuchen, neue Anforderungen an die soziale Marktwirtschaft zu definieren. Mehr Ökologie und Nachhaltigkeit, mehr unternehmerische Freiheit, mehr Realwirtschaft, weniger Finanzkapitalismus. Auf diese Formel verkürzt lässt sich der Text zusammenfassen. Viel Neues steht also nicht drin.

Von Symbolkraft aber ist, dass diese beiden Politiker sich zusammengetan haben. Manchen in der Koalition wird das vorkommen wie ein Pakt unter Feinden, der Text wie eine Art Waffenstillstandsabkommen. Röttgen steht notorisch unter Verdacht, die Grünen mehr zu mögen als die FDP. Lindner hingegen steht für eine FDP, der Westerwelle - wenn nicht gewollt, so doch gebilligt - mit seinen Äußerungen zum Sozialstaat einen rechtspopulistischen Zug gegeben hat.

Aber weder ist Röttgen ein Grüner, noch Lindner ein neoliberaler Hassprediger. Der FDP-Mann hat kürzlich ein Papier zur Reform des Sozialstaates aufgelegt, zu dem selbst aufrechte Sozialdemokraten sagen, dass so was der SPD vor der Bundestagswahl durchaus hätte helfen können. Beide zeigen den Weg auf, mit dem Union und FDP möglicherweise besser vorankommen als mit Gepolter, Geätze und Gestöhne.

Nennen wir es mal: Mut zur Sachlichkeit und - als Botschaft an die Oberstreithansel aus CSU und FDP - das Ganze bitte geräuscharm. Passend verbreitete NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, er wolle nicht mit den Grünen regieren. Natürlich sei Schwarz-Geld die beste Wahl.

Die Koalitionsverhandlungen als FDP-Roadshow

Seit sie zusammen regieren, wird in der FDP gejammert, die Kollegen von der Union hielten sich nicht an Absprachen. Sie wollten die Liberalen nur über den Tisch ziehen mit dem Ziel, die FDP wieder unter zehn Prozent zu drücken.

In der Tat ist die FDP mit ihren 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl der CDU und vor allem der CSU einige Prozentpunkte zu groß geworden. Andererseits war die FDP nach der Wahl derart im Siegesrausch, dass Parteichef Guido Westerwelle die Koalitionsverhandlungen kurzerhand in eine FDP-Roadshow mit Guidomobil verwandelte.

Die andere Seite konnte nur versuchen, das Schlimmste zu verhindern. So verhandelte die Union Finanzierungsvorbehalte und vage Begriffe wie "möglichst" an den entscheidenden Stellen in den Text der Koalitionsvereinbarung hinein. Sonst hätte es wohl bis Weihnachten keine Einigung gegeben.

Ziel war es, die FDP der harten Realität auszusetzen. Jeder FDP-Minister sollte am eigenen Leib spüren, dass Haushaltsdisziplin im wahren Leben nichts zu tun hat mit dem Formulieren von Maximalforderungen in Wahlprogrammen. Das Erstaunliche ist nur, dass es so lange dauert, bis die Liberalen zur Vernunft kommen. Und mulmig wird einem, dass so eine Strategie überhaupt nötig war.

Vielleicht ist in dieser Woche ja ein erster Schritt gemacht worden. Das letzte koalitionskracherne Nachbeben provozierte Anfang der Woche der bayerische Gesundheitsminister und Talkshow-Dauergast Markus Söder (CSU) mit seinem Alternativmodell für eine Gesundheitsreform. Seitdem ist erstaunlicherweise Ruhe.

In der Frage Steuerreform scheint die FDP - langsam, aber sicher - zu verstehen, dass die Menschen die FDP nicht mehr verstehen. Einerseits ist gerade der mit 80 Milliarden Euro größte Schuldenetat der bundesrepublikanischen Geschichte verabschiedet worden. Andererseits glaubt die FDP, zusätzliche 20 Milliarden Euro für die Mittelschicht seien kein Problem.

Seriösen Haushältern muss es gefallen haben, dass nach ersten Medienberichten über einen Steuersenkungsschritt noch vor der Landtagswahl in NRW das Projekt umgehend kassiert wurde.

Stattdessen scheint die Koalition dazu übergehen zu wollen, das Land zu regieren. FDP-Jungstar und Gesundheitsminister Philipp Rösler setzt sich durch mit seinem Plan, den Pharmaherstellern die Preise zu diktieren. Die lange strittige Reform der Jobcenter ist durch. Die Managerhaftung wird neu geregelt. Das Bafög soll erhöht, ein Stipendienprogramm aufgelegt und forschenden Unternehmen sollen Steuernachlässe gewährt werden.

Von den Projekten kann man im Einzelnen halten, was man will. Aber ganz offensichtlich versucht die Regierung mit einem alten Rezept der Kanzlerin aus dem Stimmungstief zu kommen: der Politik der kleinen Schritte. Noch schlimmer als der Vorwurf, das Falsche zu tun, wiegt nämlich derzeit der Vorwurf, nichts zu tun.

Das aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, was passiert, wenn es nach der NRW-Wahl keine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat mehr geben sollte. Die FDP wird die Schuld der CDU in die Schuhe schieben, weil sie im bevölkerungsreichsten Bundesland selbst aller Voraussicht nach zwar schlecht, aber doch etwas besser abschneiden wird als vor fünf Jahren. Die Union wiederum wird noch härter als bisher versuchen, die FDP wieder auf Normalmaß zu stutzen.

Hinzu kommt, dass dann die Großversprechen der FDP -Einstieg in die Kopfpauschale im Gesundheitswesen und massive Steuersenkungen für die Mittelschicht - wohl begraben werden müssen. Im Bundesrat wird es dafür schlicht keine Mehrheit geben. Es wäre jetzt schon schwierig genug, die Ministerpräsidenten von schwarz-gelben Landesregierungen dazu zu bewegen, auf noch mehr Geld zu verzichten. Sie wissen ja kaum, wie sie die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse umsetzen sollen, wenn nicht bald die Steuereinnahmen wieder sprudeln.

Die FDP nur maulender Appendix im Regierungsgetriebe?

Westerwelle ist nicht dafür bekannt, dass er sich mit solchen Realitäten abzugeben gedenkt oder in stillen Verhandlungen versucht, das Beste draus zu machen. Er wird wie immer den Lautsprecher für die liberale Sache geben, auch auf die Gefahr hin, dass danach alle taub sind für seine Forderungen.

Der FDP könnte es ähnlich ergehen, wie den Grünen von 1999 bis 2005. Da gab es auch plötzlich keine rot-grüne Bundesratsmehrheit mehr. Bei großen Reformvorhaben wie der Agenda 2010 waren die Grünen zwar Regierungspartner der SPD, wichtiger aber war für Kanzler Gerhard Schröder, mit Union und FDP auf einen grünen Zweig zu kommen, um im Bundesrat die nötigen Mehrheiten organisieren zu können.

Die FDP also nur noch ein maulender Appendix im Regierungsgetriebe? Für Angela Merkel könnte das eine glückliche Fügung sein. Mit der SPD hatte sie vier Jahre lang einen weitaus verlässlicheren Koalitionspartner als jetzt mit der FDP. Ohne eigene Mehrheit im Bundesrat könnte sie sich also wieder wie die Kanzlerin einer großen Koalition fühlen. Diesmal einer ganz großen Koalition - aus CDU, CSU, FDP und SPD.

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