In der kommenden Woche geht's los; am Mittwoch, Donnerstag und Freitag werden Union, FDP und Grüne ausloten, ob sie tatsächlich in Koalitionsverhandlungen über ein Jamaika-Bündnis eintreten wollen. Dabei werden nicht nur unterschiedliche Parteien, sondern auch sehr unterschiedliche Personen mitwirken. Klar, die Verhandlungsführer sind gesetzt.
Da wäre Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die mit der Union zwar die Wahl gewonnen hat, aber mit großen Verlusten. Das setzt auch CSU-Chef Horst Seehofer unter Druck. Vergleichsweise entspannt dürfte FDP-Chef Christian Lindner sein. Und die Grünen-Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir müssen sich vorsehen, ihre Parteilinke nicht zu vergrätzen. Doch nicht nur die Verhandlungschefs werden dabei sein, sondern auch die zweite Reihe: Politiker mit ganz unterschiedlichen Zielen und Rollen.
Die Brückenbauer
Der leutselige Kanzleramtsminister und Wahlkampfchef Peter Altmaier wird für die CDU eine Schlüsselfigur sein. Wie kaum einer sonst kennt er wichtige Personen auch in den anderen Parteien. Und er kennt die Schmerzpunkte jeder der beteiligten Parteien. Das befähigt ihn, in den Sondierungen immer wieder die richtige Tonlage zu finden. Außerdem will er, dass der Jamaika-Anlauf gelingt. Deshalb wird er viele Versuche unternehmen, auch mit unkonventionellen Ideen Brücken möglich zu machen. Sein Manko: seine unbedingte Loyalität zu Merkel hat ihm in der CSU nicht nur Freunde gebracht.
Joachim Herrmann gehört zu den ganz wenigen in der CSU, die nicht zuallererst raufen wollen, um politisch zu punkten. Der Franke gehört zum kleinen Kreis derer, die wie einst Partei-Vordenker Alois Glück vor allem eines tun: nach Lösungen suchen. Deshalb könnte ihm die Schlüsselposition zufallen, immer dann eine neue Idee zu präsentieren, wenn sich alle verhakt haben. Offen ist, wie viel Einfluss Herrmann tatsächlich hat. Als Spitzenkandidat müsste der eigentlich groß sein. Doch ein Spitzenkandidat, der es nicht in den Bundestag geschafft hat, muss sich diesen Einfluss womöglich neu erstreiten.
Wolfgang Kubicki (FDP) ist neben Christian Lindner derzeit der wichtigste Spieler bei den Liberalen. Aufgrund seiner Erfahrung, aufgrund seiner Unabhängigkeit und aufgrund seiner Überzeugungen. Der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen FDP gehörte nie zu den neoliberalen Hardlinern, sondern zu denen, die ein Gespür auch für soziale Schieflagen haben. Und er hat Spaß daran, Neues zu wagen. Außerdem pflegt er gute Beziehungen zu den meisten anderen Parteien - und hat erste Brücken zu den Grünen gebaut, als beide in Kiel noch in der Opposition waren. Er wird, wenn es eng werden sollte, nicht gleich aufgeben. Seine manchmal flinke Zunge aber kann manchen auch verprellen.
Bei den Grünen galt Robert Habeck, Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, schon vor der Wahl als wichtiger Kopf, wenn es darum geht, die Partei in die Zukunft zu führen. Seit der Wahl hat er schon fast die Rolle desjenigen übernommen, der Perspektive und Aufgaben einer möglichen Jamaika-Koalition entwirft. Er will, dass ein solches Bündnis ernsthaft geprüft wird. Aber er beharrt zugleich darauf, dass die Grünen die Kraft behalten müssen, Nein zu sagen. Dabei redet er seit der Wahl nicht mehr nur über urgrüne Themen. Er sieht seine Partei in der Verantwortung, in einem Jamaika-Bündnis auch soziale Veränderungen durchzusetzen. Dass ihm bei all dem die Kreativität für neue Wege ausgeht, ist eher unwahrscheinlich.
Seiner Partei mag es gerade schlecht gehen, für Markus Söder läuft es prächtig. Der Franke möchte nächster CSU-Chef werden und mittelfristig auch bayerischer Ministerpräsident. Das wusste Horst Seehofer bislang zu verhindern. Nach der Wahl liegt die CSU am Boden und mit ihr der CSU-Chef. Trotz der scheinbar günstigen Gelegenheit hat Söder die Palastrevolte bislang vertagt. In die für die CSU wenig aussichtsreichen Jamaika-Gespräche würde er ungern hineingezogen werden. Gleichwohl wird ein Söder in Lauerstellung die Verhandlungen aus dem Hinterhalt stören, wenn es in seinen Plan passt.
Von allen Wahlverlierern ist Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) der wohl größte. Die sächsische CDU verlor nicht nur dramatisch, in Sachsen rutschte sie sogar hinter die AfD auf Rang zwei. Tillich und sein CDU-Landesverband galten schon immer als konservativ. Nun dürfte Tillich noch stärker als zuvor zum Hardliner in der Union avancieren und die Kanzlerin unter Druck setzen. Das tut er schon vor Beginn der Sondierungen, etwa mit dem öffentlich geäußerten "Wunsch, dass Deutschland Deutschland bleiben möge". Merkel muss nun einerseits den angeschlagenen Tillich einhegen - und darf andererseits Grüne und FDP nicht vergrätzen.
Bei den Grünen bleibt neben Jürgen Trittin vor allem Simone Peter eine unberechenbare Größe. Wieder und wieder macht die Parteivorsitzende klar, dass sie Jamaika eher scheitern lassen würde, als ihre grüne Identität zu verraten. Sie ist derzeit sogar im engeren Kreis des Sondierungsteams gesetzt und könnte als linke Parteichefin für die Realo-Grünen zum großen Problem werden. Sie formuliert Vorbehalte und rhetorische Stoppschilder, wo Özdemir und Göring-Eckardt Brücken bauen. Entsprechend distanziert ist ihr Verhältnis zu den Realo-Spitzenkandidaten. Da ist sie bis heute nah dran an ihrem politischen Ziehvater Jürgen Trittin.
Die FDP-Spitze hat das Glück, dass alles Gezänk aus der Vor-Lindner-Ära derzeit keine Rolle spielt. Das heißt aber nicht, dass Lindner und seine Truppe auf Dauer keine Gegner haben. Noch verstecken die sich, vielleicht tun sie das noch länger. Aber auch für einen Lindner in starker Position werden sich schwierige Fragen stellen - und nicht alle werden seine Antworten richtig finden. Noch ist der Fallensteller bei der FDP ein Unbekannter. Aber auch Lindner hat bei der alten Führung Narben hinterlassen, die keiner vergessen hat.
Die Joker
In der CDU ist das vor allem Wolfgang Schäuble. Er hat zuletzt häufig den Hardliner gegeben. Insbesondere beim Euro. Darüber sollte man aber nie vergessen, welche Lust der Badener hat, Neues zu versuchen. Jedenfalls dann, wenn es nicht nach Spinnerei, sondern nach spannender Idee aussieht. Zur Pizza-Connection schwarzer und grüner Politiker gehörte er nie - aber als damaliger Fraktionschef hatte er den jungen Christdemokraten Unterstützung für solche Experimente versprochen. Ihn reizt das Projekt, wenn es tatsächlich nach Aufbruch aussehen könnte. Deshalb könnte er entscheidend werden, wenn die Gespräche zu scheitern drohen.
Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hält sich meistens zurück. Aber er tut das nicht immer. So wie er im Wahlkampf jenen in der CSU eine Stimme gab, die Angela Merkel unterstützt haben. Er ist nicht mehr in vorderster Front, keine Frage. Aber er kann, wenn seine CSU zu verhärtet auftritt, einen moderierenden Zwischenruf wagen. Er kommt an alle ran, vor allem bei den Konservativen. Er könnte durch seine historische Autorität auch bei vielen CSU-Sondierern kurz vor dem Scheitern der Gespräche neues Denken anstoßen.
In der FDP könnte das Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tun. Sie hat einen engen Draht zur Kanzlerin und Gesprächskanäle zu den Grünen. Als Bayerin könnte es der früheren Justizministerin sogar gelingen, stille Drähte zur CSU zu nutzen. Um im schlimmsten Fall rettend zu wirken, bevor etwa eine Neuwahl droht. Wie alle anderen Joker hat sie nie davon gelebt, ideologisch zu punkten. Sie ist verbindlich und vermittelnd - das könnte in diesem schwierigen Herbst noch sehr helfen.
Und dann ist da auch noch die Grüne Claudia Roth. Sie ist nach außen eine harte Vorkämpferin der Grünen und rhetorisch jederzeit in der Lage, einen Grünen-Parteitag gegen alles Böse oder Schlechte oder Inakzeptable aufzubringen. Aber hinter dieser stürmischen Fassade hat sie auch ein großes Herz, und das hat zu mancher freundschaftlichen Beziehung geführt, die der eine oder andere Partei-Dogmatiker nie für möglich gehalten hätte. Deshalb ist es gut möglich, dass ausgerechnet sie, die manchmal so hart gegen andere austeilen kann, mit ihrer Herzlichkeit harte Positionen aufweichen könnte.