Süddeutsche Zeitung

Schwarz-Gelb:Die Koalition der Unschärfe

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Die 15-Prozent-Partei FDP hält sich für stärker als sie ist, die Union setzt - anstatt den Ton anzugeben - höchstens Fragezeichen hinter die Forderungen der Liberalen.

Peter Fahrenholz

Es ist ein reizvoller Gedanke, sich vorzustellen, wie der Start der neuen Bundesregierung wohl verlaufen wäre, wenn die Union bei der Bundestagswahl stärker und die FDP schwächer abgeschnitten hätte. Wenn also der größere Partner nicht nur tatsächlich, sondern auch gefühlt der stärkere gewesen wäre. Dann wäre vermutlich eine Koalitionsvereinbarung herausgekommen, bei der der Größere den Ton angegeben hätte, ohne den Kleineren unterzubuttern.

Den Liberalen wären einige Zugeständnisse gemacht worden, die sie bei ihrer Klientel als Erfolg hätten verkaufen können, in vielen anderen Fragen hätte sich die FDP aber den Wünschen der Union beugen müssen. So, wie Demokratie eben funktioniert: Wer mehr Stimmen hat, hat auch mehr zu bestimmen.

Der Koalitionsvertrag als Ersatz-Grundgesetz

Durch das tatsächliche Wahlergebnis sind diese Gesetze der Mathematik politisch gewissermaßen auf den Kopf gestellt worden, mit fatalen Folgen für die neue Regierung und möglicherweise für das ganze Land. Weil die FDP mit fast 15 Prozent triumphal abgeschnitten hat, betrachtet sie sich nicht nur als den großen Wahlsieger (was ihr gutes Recht ist), sondern empfindet es auch als Auftrag, künftig die dominierende Rolle zu spielen.

Im Video: Nach der zweitägigen Kabinettsklausur in Meseberg sieht Bundeskanzlerin Merkel die Regierung auf einem guten Weg. Die Opposition kritisierte, es sei in wichtigen Fragen nichts entschieden worden.

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Aus fast 15 Prozent werden gefühlte 50 Prozent, und daraus wird das Mandat abgeleitet, jetzt endlich, nach harten Jahren in der Opposition, FDP-Politik pur in die Tat umzusetzen. Fast 15 Prozent bedeuten, dass bei der Wahl ungefähr jeder siebte Wähler FDP gewählt hat. Mit anderen Worten: 85 Prozent haben die FDP nicht gewählt. Das ist eine gewaltige Mehrheit. Ein Mandat für eine FDP-dominierte Republik gibt es nicht.

Es gibt aber einen Koalitionsvertrag, auf den sich die FDP bei jeder Gelegenheit beruft, als sei er das Ersatz-Grundgesetz. Dieser Koalitionsvertrag ist, wegen des Missverhältnisses zwischen tatsächlicher und gefühlter Stärke der Partner, ein Dokument der Unschärfe; die ganze schwarz-gelbe Regierung ist eine Regierung der Unschärfe.

Der Union, die viel schwächer abgeschnitten hat, als sie selbst erhofft hatte, ist es nicht gelungen, die FDP-Forderungen, die ihr nicht passen, völlig abzuschmettern. Sie konnte nur Fragezeichen dahintersetzen. Es stehen jetzt also die Forderungen und die Fragezeichen in dem Vertrag.

Deshalb nützt es gar nichts, wenn sich Union und FDP auf ihrer Kabinettsklausur in Meseberg beide auf den Koalitionsvertrag berufen und treuherzig versichern, dieser gelte unwiderruflich. Denn jeder weiß: Der eine beruft sich darauf, dass seine Forderungen umgesetzt werden, der andere beruft sich auf die Fragezeichen.

So schlummern viele ungelöste Konflikte in diesem Bündnis, und schon die ersten Wochen der Regierung haben gezeigt, dass sie jederzeit ausbrechen können: in der Gesundheitspolitik, in der Steuerpolitik, wegen der Vertriebenen-Vorsitzenden Erika Steinbach oder des FDP-Dampfplauderers Rainer Brüderle.

Die gravierendste und für die Bürger folgenreichste Unschärfe ist die Steuerpolitik. Auch in Meseberg hat die Regierung nicht erklärt, woher sie das Geld für Steuersenkungen nehmen wird, die nach dem Willen der FDP so umfangreich wie möglich ausfallen sollen, nach dem Willen der Union aber allenfalls so groß, dass die FDP ihr Gesicht nicht verliert.

Der Staat, das ist eben nicht nur der Herr Solms

Steuersenkungen, die sich das Land beim derzeitigen Zustand der Staatsfinanzen nicht leisten kann und von denen jeder Kundige weiß, dass sie sich höchstens zu einem Drittel von selber finanzieren. Dass Steuergeschenke wegen des höheren Wachstums, das sie auslösen, kostenneutral sind, ist der alte Voodoo-Glaube aller Steuersenker, der noch nirgends auf der Welt Realität geworden ist.

Steuersenkungen mit völlig ungewisser Gegenfinanzierung sind aber nicht nur für den Staatshaushalt, sondern vor allem für die Bürger, die angeblich entlastet werden sollen, gefährlich. Denn was wird ein Staat machen, der Geschenke verteilt, die er sich nicht leisten kann? Er wird sich das Geld auf anderen Wegen von seinen Bürgern zurückholen.

Der Staat, das ist eben nicht nur der Herr Solms, der die Steuern senken will. Das ist auch das Bundesland, das wegen seiner klammen Kasse die Zuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr zusammenstreicht, weswegen dann die Bus- und Bahnpreise steigen. Das ist die Kommune, die leider die Müllgebühren anheben und den Kindergartenplatz verteuern muss.

Schäuble muss die FDP im Zaum halten

Die Steuersenkungen von heute werden so zu den Gebühren- und Abgabenerhöhungen von morgen, und viele Bürger werden am Ende die Gelackmeierten sein. Für sie wird es, wenn sie einen Strich unter ihre Einnahmen und Ausgaben machen, heißen: Weniger Netto vom Brutto.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass alle Hoffnungen jetzt ausgerechnet auf Wolfgang Schäuble ruhen. Der Finanzminister ist der wichtigste Mann der Regierung. Schäuble, der als CDU-Chef zurücktreten musste, der nicht Bundeskanzler und Bundespräsident werden durfte, muss jetzt auf den letzten Metern seiner Karriere mit all seiner Härte und Schläue dafür sorgen, dass es eine 15-Prozent-Partei nicht zu bunt treibt.

Offen desavouieren darf er sie aber auch nicht. So etwas wie ein gemeinsames Projekt ist bislang nicht erkennbar. Eine Regierung des Aufbruchs sieht anders aus.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2009
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