Meinung am Mittag: Pränataldiagnostik:Schwangere haben ein Recht auf Nichtwissen

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Den Umgang mit dem durch den Bluttest verfügbaren Wissen muss die schwangere Frau selbst finden. Es ist eine Form der Ermächtigung. Aber auch eine Überforderung.

(Foto: imago/Photocase)

Der Bluttest als Kassenleistung ist Ausdruck unserer Zeit, die auf Kontrolle und Optimierung fixiert ist. Er wird die Gesellschaft stark verändern.

Kommentar von Karin Janker

Diesen Donnerstag hat der der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kassen und Kliniken verkündet, dass die Krankenkassen künftig den pränatalen Bluttest auf Trisomien bezahlen. Die Gesellschaft wird das massiv verändern. Der Test, der unter anderem das Risiko für Down-Syndrom ermittelt, wird zu einer Standardleistung für viele Schwangere werden, etwa für solche Frauen, die älter als 35 Jahre sind. Die Gruppe der Risikoschwangeren ist größer, als man annehmen würde. Die gesellschaftspolitischen Folgen dieses Beschlusses werden enorm sein, wie die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt: In Dänemark etwa machen 97 Prozent der Frauen den angebotenen Test. Zeigt er ein hohes Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom, so entscheiden sich 95 Prozent für eine Abtreibung.

Das Gremium, das die schwerwiegende Entscheidung über die Kassenzulassung trifft, kann indes kaum anders, als eine Empfehlung auszusprechen: Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ist nicht mit ethischen Abwägungen beauftragt, er beurteilt schlicht, ob das neue Verfahren dem bisherigen überlegen ist. Da bisher zum Ausschluss von Trisomien eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht wird, die mit einem Fehlgeburtsrisiko einhergeht, während für den neuen Test nur ein Tropfen Blut der Mutter nötig ist, fällt die Entscheidung, technisch gesehen, leicht.

Für die Gewichtung der moralischen Fragen wäre der Bundestag zuständig, der immerhin im Frühjahr eine "Orientierungsdebatte" über den Bluttest abhielt. Allerdings mit diffusem Ausgang und verhärteten Fronten. Vermittlung zwischen den Positionen ist schwierig: Was wiegt schwerer, das Recht der Mutter auf Wissen oder ihr Recht auf Nichtwissen?

Dass die Entscheidung nun zugunsten des Rechts auf Wissen ausfällt, passt in eine Zeit, die auf Machbarkeit, Kontrolle und Berechenbarkeit ausgelegt ist. Selbstoptimierung, Big Data, Eigenverantwortlichkeit - die Slogans dieser Denkweise durchdringen längst den Alltag. Auch schwangere Frauen sollen eine selbstbestimmte, freie und informierte Entscheidung über den Embryo in ihrem Bauch treffen können, am besten direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest.

"Mein Bauch gehört mir", dieses Motto der Emanzipation gilt immer noch, aber es impliziert jetzt die Aufforderung: "Dein Bauch gehört dir - also übernimm auch sämtliche Konsequenzen!" Die Medizin liefert der Frau Zahlen und stellt Tests bereit, die Ärztin beschafft das statistische Material - einen Umgang damit muss die Schwangere selbst finden. Es ist eine Form der Ermächtigung, ja. Aber auch eine Überforderung.

Dabei könnte die Schwangerschaft eine wertvolle Erfahrung in einer auf Machbarkeit und Optimierung fixierten Welt sein: Machen und optimieren lässt sich wenig, während sich die Eizelle einnistet und der Embryo wächst. Für werdende Eltern ist es eine Prüfung in Geduld, so wenig beeinflussen zu können, vom Geschlecht bis zur Gesundheit des Kindes. Ungewissheit gehört zum Zustand "guter Hoffnung". Schwangere haben ein Recht auf Nichtwissen. Empfehlen Ärzte ihnen den Bluttest als Kassenleistung, hebt das die Hürde, dieses Recht einzufordern.

Völlige Kontrolle und Wissen würden den Menschen schlicht überfordern. Vor solche Überforderung stellt nun aber die Medizin werdende Eltern in zunehmendem Maße. Ein Blick in die Zukunft lässt einen schaudern: Wo endet das Recht auf Wissen, wenn bald auch das Risiko für Alzheimer und Diabetes oder die Wahrscheinlichkeit für Intersexualität zu den Standardabfragen pränataler Diagnostik gehören?

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