SPD-Chef Martin Schulz warnt seine Partei eindringlich davor, Koalitionsverhandlungen mit der Union abzulehnen. "Dann würde es zu Neuwahlen kommen, und zwar ziemlich rasch", sagte Schulz dem Spiegel einem Vorabbericht zufolge. Bei diesen Neuwahlen müsse die SPD mit einem noch schlechteren Ergebnis rechnen als bei der Bundestagswahl, aus der die Partei mit 20,5 Prozent deutlich geschwächt hervorgegangen war. Schulz argumentierte, Parteien würden "von den Wählern abgestraft", wenn es ihnen nicht gelinge, eine Regierung zu bilden.
Zudem müsse seine Partei in einen neuen Wahlkampf mit einem Programm ziehen, das größtenteils mit dem Sondierungsergebnis identisch sei, sagte Schulz dem Bericht zufolge und fügte demnach hinzu: "Wie absurd wäre das denn?"
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Anhänger wie Gegner der großen Koalition sollten auf dem Parteitag über die künftigen Optionen der SPD diskutieren - und ehrlicher als bisher sagen, worum es ihnen im Streit über die Sondierungsvereinbarung mit der Union geht.
Am Sonntag stimmen Delegierte bei einem SPD-Parteitag darüber ab, ob mit der Union über eine Neuauflage der großen Koalition verhandelt werden soll. Grundlage für die Koalitionsverhandlungen wäre ein Papier, auf das sich die Sondierer geeinigt haben. Vor allem linke SPDler und Jusos kritisieren aber, wichtige inhaltliche Forderungen der SPD seien in dem Papier nicht erfüllt. Wenn es zu erfolgreichen Koalitionsverhandlungen kommt, soll die SPD-Basis in einem Mitgliederentscheid der Regierungskoalition zustimmen.
Schulz versprach, bei Koalitionsverhandlungen "viele Themen" anzusprechen, die den Sozialdemokraten "am Herzen liegen". Im Großen und Ganzen werde es aber bei der umstrittenenen Sondierungsvereinbarung zwischen Union und SPD bleiben: "Wir haben bei der Sondierung den Rahmen abgesteckt, was geht und was nicht." Dabei bleibe es. "Wir wollen ja auch nicht, dass die andere Seite Dinge infrage stellt, die wir erstritten haben."
Schulz gab sich zuversichtlich, dass er mit den Chefs von CDU und CSU "ein Vertrauensverhältnis aufbauen" könne. Er sei seit den Sondierungen "etwas optimistischer als zuvor", weil er nun wisse, dass Angela Merkel und Horst Seehofer "zu einer gewissen Selbstironie fähig" seien.
Auch der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering wirbt für ein Ja zu den Koalitionsverhandlungen. Müntefering warnte die SPD in einem Gastbeitrag vor einem massiven Bedeutungsverlust, sollte der Sonderparteitag am Sonntag in Bonn gegen die große Koalition stimmen. "Sie wird eine derjenigen Sozialdemokratien werden, die in Europa keine Rolle mehr spielen", schrieb er im Tagesspiegel. Ein Nein sei der "Einstieg zum Abstieg in die Bedeutungslosigkeit der Sozialdemokraten in Deutschland", warnte der 78-Jährige.
Müntefering erinnerte in seinem Beitrag daran, dass die SPD 1959 in Bonn, genauer gesagt in Bad Godesberg, schon einmal bei einer wichtigen Entscheidung die Weichen in die richtige Richtung gestellt habe. Mit dem dort verabschiedeten Programm habe sie "Verantwortung fürs Ganze" übernommen und sei "eine Partei des Volkes geworden".
Der ehemalige Parteichef prophezeite außerdem, dass ein Nein zu den Verhandlungen das Ende für die aktuelle Parteispitze bedeuten und die Chancen der Genossen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen um einiges erschweren werde.
Kein "reinrassig sozialdemokratisches Regierungsprogramm"
Er appellierte an die SPD-Delegierten, sich für die Verhandlungen zu entscheiden, obwohl sie wüssten, dass es kein "reinrassig sozialdemokratisches Regierungsprogramm" geben könne. "Aber doch eines, auf das die SPD wesentlichen Einfluss hat."
Auch die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sprach sich in einem Interview für eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten aus. "Oppositionsromantik ist auch keine Lösung", sagte sie dem Spiegel. Zwar stehe für sie außer Frage, dass sich die Partei erneuern müsse. Dies sei aber "auch als Teil einer Regierung möglich".
Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende verteidigte ihren Kurswechsel. Dreyer war zunächst gegen eine große Koalition gewesen. Kurz nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen hatte sie noch für eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung geworben. Der Union fehle allerdings der Mut dazu, sagte sie dem Spiegel. "Wir müssen der Realität ins Auge sehen."