SZ: Frau Gebauer, mit wie vielen Menschen teilen Sie den Raum, in dem Sie arbeiten?
Gebauer: Ich bin viel unterwegs, in verschiedenen Räumen mit vielen Menschen zusammen und ich nehme auch immer wieder am Schulunterricht teil. Aber in meinem Minister-Büro sitze ich meist allein.
Die Frage stammt von einer Lehrerin aus dem Ruhrgebiet. Die ist sauer, weil Sie ihr zumuten, täglich auf 55 Quadratmetern mit 30 Schülern zu arbeiten.
Ich verstehe die Situation dieser Lehrerin und die Sorgen und Bedenken von allen in dieser Pandemiezeit. Wir haben über zwei Millionen Euro für Alltagsmasken zur Verfügung gestellt, dazu eine Million FFP-2-Masken. Wir verhängen, eben weil die Infektionen wieder steigen, zum Schulbeginn am Montag eine Maskenpflicht im Unterricht für alle Klassen ab Stufe 5. Wir haben klare Regeln fürs regelmäßige Lüften der Unterrichtsräume erlassen. Und wir stellen 50 Millionen Euro bereit, um bei Bedarf mobile Luftfilter anzuschaffen.
Aber im Kern ist Ihr Konzept: Maske auf - und alle 20 Minuten Stoßlüften. Wie sollen Lehrer und Schüler da ohne Grippe oder Corona durch den Winter kommen?
Na ja, es gibt schon noch einige Punkte mehr. Aber beim Lüften haben wir jetzt eine klare Linie, vorgegeben vom Umweltbundesamt: Alle 20 Minuten kräftig Stoßlüften für drei bis fünf Minuten. Dabei sinkt kurzzeitig die Temperatur um circa drei Grad im Raum, aber sie steigt auch schnell wieder. Und in den Pausen einmal querlüften. Niemand muss frierend den ganzen Schultag aushalten.
Aber Sie selbst empfehlen den "Zwiebel-Look", also mehrere Schichten von Pullovern und Jacken. Würden Sie sich als Lehrerin da nicht veralbert fühlen?
Wir müssen gemeinsam gesund durch diese Pandemie kommen. Wenn neben unseren vielen Maßnahmen, die wir zum Schutz der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler ergriffen haben, ein zusätzlicher Pullover oder ein Schal hilft, dann halte ich das für akzeptabel.
Großeltern schenken ihren Enkeln jetzt also Heizdecken für die Schule? Und zu Weihnachten dann Handwärmer?
Die Frage wird der Situation nicht gerecht. Wir leben nun mal in einem Ausnahmezustand. Sie dürfen mir glauben, dass ich die Sorgen der Eltern und Lehrer sehr ernst nehme. Aber drei oder fünf Minuten Lüften lässt die Temperaturen nicht ins Bodenlose sinken, das bestätigt auch das Umweltbundesamt.
Die Infektionszahlen explodieren, doch Lehrkräfte dürfen sich bis Weihnachten nur noch alle drei Wochen kostenlos testen lassen. Vor den Herbstferien ging das alle zwei Wochen. Wie kann das sein?
NRW ist eines der wenigen Länder, das überhaupt kostenlose Tests anbietet. Aber unsere Testkapazitäten sind begrenzt. Bitte beachten Sie: Diese Tests für Lehrer oder Erzieher sind anlasslose Tests, also für Personen ohne Infektionsverdacht. Wir tun das, weil Lehrer eben besonders exponiert sind - aber wir müssen auch sehen, dass sich nun die Fälle von Tests mit Infektionsverdacht mehren. Diesen Menschen mit Krankheitssymptomen müssen wir jederzeit genügend Tests anbieten können.
Ginge es nach dem RKI, müssten Sie bei Inzidenz über 50 - also fast überall in NRW - viel weitergehen als mit einer Maskenpflicht ab der 5. Klasse: Maskenpflicht an Grundschulen, Teilung von Klassen in Lerngruppen. Dürfen Sie die Wissenschaft einfach übergehen?
Ich übergehe die Wissenschaft nicht, ich habe nur einen anderen Auftrag als das RKI. Meine Verpflichtung ist es, Bildung auch in Coronazeiten sicherzustellen. Wenn die Gesundheitsämter ein hohes Infektionsgeschehen an einer Schule feststellen, können sie entsprechende Maßnahmen einleiten. Aber wenn in einem Kreis der Inzidenzwert über 50 steigt, aber viele Schulen dort gar keine Infektionsfälle aufweisen, wieso sollte ich dann Maßnahmen vornehmen, die gar nicht notwendig sind? Kleinere Lerngruppen bedeuten: Für die, die zu Hause sind, findet kein Präsenzunterricht statt. Dem Bildungsauftrag für alle Kinder kann ich so nicht gerecht werden.
Das klingt nach: Das RKI macht Infektionsschutz und Sie machen Bildungspolitik. Das kann man doch nicht trennen.
Nein, kann man nicht und das tue ich auch nicht. Aber Politik muss den Infektionsschutz und das Recht der Kinder auf Bildung miteinander in Einklang bringen.
Kleinere Gruppen - das heißt ja nicht automatisch, dass Kinder zu Hause bleiben müssen. Wenn Sie mehr Räume hätten und mehr Lehrpersonal, könnten alle im Unterricht lernen, aber eben mit Abstand.
Wir haben intensiv mit Schulleitungen, Verbänden und Gewerkschaften solche Vorschläge diskutiert, ob wir Kirchen oder Sporthallen zusätzlich anmieten können. Diese wurden von allen als völlig unpraktikabel abgelehnt.
Schulen sind keine Treiber der Pandemie, sagen Sie. Das Gesundheitsministerium in NRW sagt, neun Prozent der nachvollziehbaren Infektionsketten Ende September ließen sich auf Schulen zurückführen. Wie geht das zusammen?
Haupttreiber der Infektionen ist das private Umfeld, das hat auch das RKI am Donnerstag noch einmal bestätigt. Die Zahlen des Gesundheitsministeriums sind nicht trennscharf, sie ordnen Fälle lediglich dem Infektionsumfeld zu und man muss sie in Relation zur gesamten Schülerzahl setzen. Es bleibt dabei, die Schulen sind sichere Orte und keine Hotspots. Das zeigen die Zahlen deutlich: Anfang Oktober, in der letzten Woche vor den Ferien, waren 853 von 2,5 Millionen Schülern infiziert, das sind 0,04 Prozent. 23 000 befanden sich in Quarantäne, das sind 1,2 Prozent.
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Lehrerverbandes, sagt, die Schulen würden "auf Teufel komm raus" offengehalten. Hat er recht?
Nein. Sie werden offen gehalten, weil sie einen Bildungsauftrag haben, der für die Entwicklung der Kinder elementar ist. Es gibt Eltern, die jetzt Ängste und Sorgen haben und diese zum Ausdruck bringen, was ich nachvollziehen kann. Aber es gibt auch viele Eltern, die mir regelmäßig schreiben: Um Gottes Willen, halten Sie den Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrecht.