Schulen:Wie das neue Infektionsschutzgesetz Kinder und Jugendliche benachteiligt

Schulen: Das Coronavirus hat den Schulalltag erheblich durcheinandergewirbelt. Die Pläne des Gesundheitsministeriums sehen nun neue Maßnahmen vor.

Das Coronavirus hat den Schulalltag erheblich durcheinandergewirbelt. Die Pläne des Gesundheitsministeriums sehen nun neue Maßnahmen vor.

(Foto: Matthias Bein/dpa)

Schüler sollen sich von Oktober an nach einer Corona-Infektion und selbst bei einem Verdacht freitesten müssen - anders als alle anderen. Aus den Ländern gibt es Widerstand gegen den Entwurf des Gesundheitsministers.

Von Paul Munzinger

Dass Karin Prien, die Kultusministerin von Schleswig-Holstein, sehr wenig vom geplanten neuen Infektionsschutzgesetz hält, hat sie Anfang der Woche in drastischen Worten kundgetan. Der Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sei eine "Katastrophe für Schülerinnen und Schüler", schimpfte die CDU-Politikerin, die in diesem Jahr auch Präsidentin der Kultusministerkonferenz ist, in der Bild-Zeitung. Es sei "ein Rückfall in die Anfangszeiten der Pandemie, als es noch keine Impfungen und Immunisierung gab". Priens Chef, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, ebenfalls CDU, kündigte an, dem Gesetzentwurf an diesem Freitag im Bundesrat nicht zuzustimmen. Weitere Länder könnten sich anschließen.

Worum geht es? Das Infektionsschutzgesetz listet in seiner bisherigen Fassung eine Reihe ansteckender Krankheiten auf, die dringend aus Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen herausgehalten werden sollen. Die Cholera gehört ebenso dazu wie Keuchhusten, Windpocken, Masern oder die Pest. Wer an einer dieser Krankheiten leidet oder im Verdacht steht, an einer dieser Krankheiten zu leiden, darf Kita oder Schule nicht mehr betreten. Das gilt für Lehrerinnen und Erzieher ebenso wie für Kinder und Jugendliche.

Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag vergangene Woche mit den Stimmen der Ampelkoalition verabschiedete und die vom 1. Oktober an gelten soll, sieht nun vor, Covid-19 dieser Liste hinzuzufügen. Für Schülerinnen und Schüler könnte das Folgen haben. Denn es bedeutet, dass sie sich sowohl im Fall einer Infektion als auch im Fall eines Verdachts freitesten müssten. Dem Bundesgesundheitsministerium zufolge ist bei einem Corona-Verdacht ein negativer Selbsttest nötig, um wieder am Unterricht teilnehmen zu können. Nach einer Infektion braucht es einen "bestätigten negativen Test", den Kita-Kinder und Schüler zum Beispiel in einer Teststelle oder auch "unter Aufsicht" in der Schule ablegen könnten.

Diese geplante Änderung wirft mehrere Fragen auf. Zunächst: Was ist ein Verdacht - und wer definiert das? Führt jeder kleine Schnupfen, wie in der Landesregierung Schleswig-Holsteins geargwöhnt wird, ab Oktober zu einem Schulausschluss? Dazu kommt: Was genau bedeutet "unter Aufsicht" bei einem möglichen Freitesten in der Schule? Durch die Lehrkräfte? Wären sie dafür im Sinne des Gesetzes überhaupt qualifiziert? In Schleswig-Holstein ebenso wie etwa in Bayern ist nach derzeitiger Planung zudem gar nicht vorgesehen, dass die Schulen Tests anbieten. Warum auch? "Eine Freitestung ist zur Beendigung der Isolation nicht erforderlich", heißt es in den aktuellen bayerischen Hygieneempfehlungen; "die Schule kann somit spätestens nach 10 Tagen wieder besucht werden." Wenn statt in der Schule im Testzentrum getestet wird, stellt sich ebenfalls eine Frage: Wer zahlt, wenn der Test kostet? Die Familien selbst?

Ein Kompromiss ist denkbar. Bremen will den Spielraum des Gesetzes nutzen

Schwerer noch als die praktischen Probleme wiegt eine andere Frage: Ist es gerechtfertigt, Schülerinnen und Schülern erneut strengere Corona-Regeln aufzuerlegen als dem Rest der Bevölkerung - nach zweieinhalb Jahren Pandemie, in denen Kindern und Jugendlichen nach Ansicht vieler Experten viel, womöglich zu viel zugemutet wurde? Menschen, die nach einer Corona-Infektion zurück in die Arbeit kommen, müssen sich schließlich nicht freitesten.

Hört man sich bei den Kultusministerien um, dann stößt der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums dort auf einhellige Ablehnung - selbst in Ländern, wo SPD oder Grüne das Ministerium anführen. Von einem Gesetz, das die Schulen "entvölkern" werde, ist hinter vorgehaltener Hand die Rede. Ob sich diese Ablehnung am Freitag auch in der Abstimmung im Bundesrat bemerkbar machen wird, ist allerdings völlig offen - dort stimmen schließlich die Regierungschefs ab und nicht die Kultusminister. Bislang haben nur Schleswig-Holstein und Thüringen offen angedroht, ihre Zustimmung zum Gesetz zu verweigern. Anlass für den Widerstand ist im Fall Thüringens allerdings nicht die Schule, sondern die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitswesen.

Denkbar ist, dass die Gegner des Infektionsschutzgesetzes in seiner jetzigen Form sich auf einen Kompromiss einlassen: Sie winken den Entwurf durch, bestehen aber auf einer Protokollnotiz, die eine Änderung der strittigen Passagen in Aussicht stellt. Sollte auch das nicht klappen, haben die Länder zumindest noch eine Möglichkeit: den Spielraum nutzen, den der Wortlaut des Gesetzes ihnen lässt. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) kündigte an, den nicht näher definierten Corona-Verdachtsfall "eng auslegen" zu wollen - so eng, dass "dieser nur bei einem positiven Corona-Test vorliegt".

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