Disziplinlosigkeit und Gewalt in der Schule sind ein wachsendes Problem moderner Gesellschaften. Dort, wo es belastbare Daten gibt, gehen die Zahlen nach oben, und die Diskussion darüber prägt zunehmend den Alltag von Pädagogen, Schülerinnen und Schülern und Eltern. In Deutschland machen vor allem Meldungen aus Berlin die Runde, aber auch in vielen anderen Städten klagen Lehrerinnen und Lehrer über wachsende Probleme. In Italien ist das nicht anders – nur dass dort die Regierung jetzt entschieden hat, dem Problem per Gesetz beikommen zu wollen.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni regiert seit zwei Jahren eine Koalition aus drei rechten Parteien, die traditionell viel von Recht und Ordnung halten. Ihren Ankündigungen im Wahlkampf lassen sie jetzt Taten folgen. Das Gesicht dafür ist Giuseppe Valditara, seit zwei Jahren Minister für Bildung und Verdienst („Ministro dell’Istruzione e del Merito“); das Amt in einem wuchtigen Bau im Stadtteil Trastevere hat wie andere Ministerien in der Ära Meloni einen programmatischen Zusatz verpasst bekommen. „Verdienst“ soll signalisieren, dass in Zukunft wieder ein stärkerer Fokus auf Leistung liegen soll.
Schon seit Juli sind Handys im Unterricht verboten
Der 63-jährige Jura-Professor Valditara, geboren in Mailand und humanistisch gebildet, ist seit vielen Jahren im Gefolge des rechtspopulistischen Lega-Chefs Matteo Salvini politisch tätig. Bereits im Juli hat er die Benutzung von Handys vor allem in unteren Klassen im Unterricht verboten und sozusagen die Rückkehr ins Papierzeitalter verordnet – ausgerechnet in Italien, dem Land, in dem jede und jeder von jung auf am Handy hängt.
Jetzt, nach der parlamentarischen Sommerpause, hat das Parlament mit der Mehrheit der rechten Parteien die Einführung von versetzungsrelevanten Verhaltensnoten in den Mittel- und Oberschulen beschlossen. Danach wird das Verhalten künftig auf einer Notenskala von Null bis Zehn bewertet, bis Fünf ist man durchgefallen, egal wie gut man auch in den Einzelfächern sein mag. Bei Note Sechs ist ein Aufsatz über die aktive und produktive Rolle des Staatsbürgers angesagt, erst ab sieben Punkten sind die Schülerinnen und Schüler auf der sicheren Seite.
Ferner sind Geldstrafen von 500 bis 10 000 Euro für tätliche Angriffe von Schülern auf Lehrer und anderes Personal vorgesehen – zusätzlich zu einem etwaigen Schadenersatz, der eventuell in einem Prozess festgelegt wird. Werden Schüler vom Unterricht suspendiert, müssen sie dafür an sozialen Veranstaltungen teilnehmen und darüber anschließend einen Aufsatz verfassen.
Die Opposition spricht von „Autoritarismus“
Die Einwände der Oppositionsabgeordneten gegen den „Autoritarismus“ der neuen Vorschriften ließ die Regierung an sich abperlen. Vielmehr begründete Valditara die neuen Bestimmungen damit, dass „der Respekt vor Menschen und öffentlichen Gütern wieder in den Mittelpunkt gerückt und die Autorität der Lehrer wiederhergestellt“ werden müsse. Regeln müssten in einer Gesellschaft eingehalten werden, und wenn jemand Mobbing betreibt, sei es „nur recht und billig, dass er zur Rechenschaft gezogen wird“. Der Minister behauptet eine starke Unterstützung der Bevölkerung für das Gesetz, es genieße „eine 80-prozentige Zustimmungsrate“.
Allerdings ist es im Alltag schwer, Lehrer zu finden, die viel von dem neuen Gesetz erwarten. Niemand bestreitet, dass die Situation an den Schulen in den vergangenen Jahren zunehmend schwieriger geworden ist. Valditara selbst spricht von einer Zunahme der Gewalt um 110 Prozent im vergangenen Jahr, ähnliche Zahlen werden aus Deutschland berichtet. In Italien ist die Bildungssituation im strukturschwachen Süden offensichtlich schwieriger als im wohlhabenderen Norden. Dort ist das Schulsystem häufig schwächer, es gibt wesentlich mehr Schulabbrecher als im Norden – und die soziale Situation wird allgemein als schwieriger beschrieben.
Lehrerinnen und Lehrer weisen allerdings darauf hin, dass das Problem vielschichtig sei. Genannt werden die Rolle des Internets, die nachlassende Bindungswirkung der Familien und wachsende soziale Spannungen in der Gesellschaft, aber auch der Anspruch mancher Eltern, in die Schule hineinregieren zu wollen. Eine Rolle spielen auch der Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal und generell die schlechte Ausstattung vieler Schulen in Italien.
Selbst aus der eigenen Partei kommt Kritik
Dort müsse man ansetzen, nicht bei Disziplinarmaßnahmen, sagt etwa die unabhängige Bildungsorganisation Defence for Children Italia, in der auch Schülerinnen und Schüler mitarbeiten. Vor allem die Kombination von Verhaltensnoten und Versetzung wird als Irrweg gesehen. Stattdessen müsste insgesamt mehr in Schulen und Schulpersonal investiert werden.
Eine interessante Reaktion gab es in der norditalienischen Region Trentino, wo die gleiche Parteienkonstellation regiert wie im Gesamtstaat. Trotzdem sprach sich Bildungsstadträtin Francesca Gerosa im Corriere della Sera gegen eine „Sanktionsschule“ aus.
Als Mitglied der Meloni-Partei Fratelli d’Italia lobte sie zwar den Koalitionspartner im Allgemeinen und den Minister im Besonderen, äußerte aber Zweifel daran, ob das System der Kopfnoten funktioniere: „Wir wollen doch eine Generation heranziehen, die Respekt für Regeln und Menschen hat.“ Die Drohung, mit einer schlechten Betragensnote durchzufallen, helfe da nicht. „Wir hier im Trentino bewerten die Beziehungsfähigkeit, die ein viel breiteres Konzept als das Verhalten ist. Die eigentliche Frage ist, wie man die Kinder einfangen kann. Sie durchfallen zu lassen, ist sinnlos.“
Das Trentino hat als eine der autonomen Regionen Italiens mehr eigene Kompetenzen als andere Regionen, und ist nicht verpflichtet, die Schulgesetze aus Rom umzusetzen. Womöglich wird man deshalb in einigen Jahren sehen können, welche Maßnahmen besser funktionieren.