Proteste in Ungarn:Zorn über vermeintliche Einflussnahme aus Deutschland

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BMW lässt künftig auch im ungarischen Debrecen produzieren. (Foto: dpa)
  • Ungarn ist als Standort bei deutschen Unternehmen beliebt - ungeachtet der innenpolitischen Entwicklungen.
  • Nun behaupten ungarische Oppositionspolitiker, das neue Überstundengesetz gehe auf einen geheimen Pakt mit deutschen Autobauern zurück - BMW dementiert.

Von Tobias Zick

Vor zwei Monaten sah es noch so aus, als wäre die Feierstimmung durch nichts zu trüben. BMW, die ungarische Regierung und die Gemeinde Debrecen im Osten des Landes unterschrieben am 12. Oktober eine Reihe von Verträgen, die diese strukturschwache Region nahe der rumänischen Grenze in ein neues Zeitalter katapultieren sollen: Der Autohersteller wird in Debrecen kommendes Jahr ein neues Werk bauen, für rund eine Milliarde Euro. Etwa 1000 Mitarbeiter sollen jedes Jahr 150 000 Fahrzeuge produzieren. Debrecen sei dafür der "ideale Standort", schwärmt BMW. "Ein Beweis für den Erfolg der ungarischen Wirtschaftspolitik", schwärmt Außen- und Handelsminister Péter Szijjárto. Jetzt aber wird ihre Wirtschaftspolitik zum Problem für Ungarns Regierung.

Während er die Zivilgesellschaft immer mehr unter Druck setzt, Stimmung gegen Flüchtlinge macht, Medien und Gerichte unter seine Kontrolle bringt und sich immer aggressiver und nationalistischer gegen die EU und ihre Grundwerte auflehnt, sonnt sich Premierminister Viktor Orbán in ansehnlichem Wirtschaftswachstum. Investoren aus dem Ausland lockt er mit herausragend niedrigen Steuersätzen und Sozialabgaben, bei deutschen Unternehmen ist das Land als Standort beliebt, ungeachtet der innenpolitischen Entwicklungen.

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Zum ersten Mal in der Amtszeit Viktor Orbáns vereinen sich alle Oppositionsparteien gegen die Regierung. Für den Premier könnte das eine Gefahr werden, wenn er nicht aufpasst.

Demokratieabbau, nationalistische Rhetorik, Wirtschaftswachstum: Bislang schien dieser Dreiklang bei einem Großteil der Wähler gut anzukommen. Doch jetzt hat ein neues Gesetz, das Arbeitnehmer zu mehr Flexibilität drängt, plötzlich den Volkszorn entfacht. Statt 250 sollen Angestellte im Jahr bis zu 400 Überstunden leisten, wenn es der Arbeitgeber wünscht - was aufs Jahr umgerechnet etwa einer ständigen Sechstagewoche gleichkommt. Und für die Auszahlung der Ansprüche daraus dürfen sich die Firmen künftig drei Jahre Zeit lassen. "Sklavengesetz", wettert die Opposition. Zwar steht darin auch, dass die Überstunden auf "freiwilliger" Basis geleistet werden sollen - doch viele Angestellte dürften es sich dreimal überlegen, ob sie ihren Vorgesetzten eine solche Freiwilligkeit auf Dauer verweigern. Zudem befürchten Kritiker, dass Arbeitnehmer leer ausgehen könnten, wenn ihre Firma vor Ablauf der Frist pleitegeht.

Das Grundvertrauen vieler Bürger, dass ihnen im Streitfall die Justiz zu ihrem Recht verhilft, hat das Parlament zudem gerade aufs Neue erschüttert. Am selben Tag wie das Überstundengesetz beschloss es die Schaffung einer neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die von der Regierung kontrolliert wird - aus Sicht der Opposition ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz.

Während die Demonstranten in Budapest in den vergangenen Tagen Parolen gegen Orbán skandierten und am Sonntag den staatlichen Fernsehsender belagerten, richtete sich der Zorn plötzlich auch gegen deutsche Unternehmen. Offenkundig habe die Regierung bei dem Überstundengesetz einen "geheimen Pakt" mit deutschen Autobauern und anderen ausländischen Firmen geschlossen, wetterte der Chef der Sozialistischen Partei, Berthalan Tóth. Der frühere Premierminister Ferenc Gyurcsány schlug in dieselbe Kerbe, ebenso der grüne Abgeordnete Tordai Bence: Es handle sich um ein "Gesetz, das von deutschen Lobbyisten diktiert wurde, gegen die Interessen des ungarischen Volkes". Dabei berufen sie sich auf eine Aussage, die Außen- und Handelsminister Szijjárto am 26. November bei einem Besuch in Düsseldorf machte. Angesichts der "Herausforderungen, welche die extrem niedrige Arbeitslosenquote mit sich bringt", sagte der Minister vor Journalisten, "haben Unternehmen von hier uns seit Langem darum gebeten sicherzustellen, dass die Arbeitskräfte, die für ihre gesteigerten Investitionen nötig sind, auch zur Verfügung stehen".

Der Zorn der Demonstranten über die vermeintliche Einflussnahme aus Deutschland schlug so hohe Wellen, das sich die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer genötigt sah, die Vorwürfe zu entkräften: Deutsche Firmen hätten "sicher nicht in dieser Form" um eine Änderung der Überstundenregelung gebeten, sagte deren Sprecher Dirk Wölfer der Zeitung Népszava, und sie hätten auch kein Interesse daran, "die Angestellten als Sklaven zu halten" - dann könnten diese in ein anderes Unternehmen wechseln, was angesichts des Arbeitskräftemangels in Ungarn zusätzliche Probleme verursachen würde.

Die ungarische Regierung verteidigt auf Anfrage der SZ das neue Gesetz: Dieses ermögliche es "jenen, die mehr arbeiten und damit auch verdienen wollen, dies zu tun". Bisher hätten "törichte bürokratische Hürden" dies verhindert. Und die Regierung gibt sich überzeugt, dass Regeln, die den "ungarischen Jobmarkt wettbewerbsfähiger machen", dazu beitragen, "die Bereitschaft deutscher Firmen, in Ungarn zu investieren, erhalten werden".

BMW jedenfalls erklärt, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun: Als man sich für den Standort Debrecen entschied, habe man "keine Kenntnis von Plänen für eine solche Überstundenregelung gehabt".

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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