Schuldenkrise:Griechenland braucht seine eigene Währung

Negotiations between Greek government and its lenders continue in

Griechenland ist tief in der Krise. Eine Lösung ist derzeit nicht in Sicht.

(Foto: dpa)

Selbst wenn ein Überbrückungs-Kompromiss gefunden wird: Griechenland braucht ein geordnetes Verfahren hin zu einem Schuldenerlass - und neues, eigenes Geld.

Kommentar von Stefan Kornelius

Griechenlands Schicksal ist ein Lehrstück über die Geschichte der Europäischen Union. An kaum einem anderen Land lässt sich so messerscharf ablesen, welche Kräfte auf die Mitglieder der Gemeinschaft wirken - und was die Menschen aushalten. Deswegen ist die Union auch an keinem Land so sehr verzweifelt wie an Griechenland.

Nun gehört Verzweiflung nicht zu den politischen Vermessungskategorien. Die EU ist eigentlich eine Verbesserungsgemeinschaft, eine Union zum Wohle aller, nicht zum Schaden Einzelner. Als die EU 2007 ihr Jubiläum feierte, tat sie das mit dem vielsinnigen Satz: Wir sind zu unserem Glück vereint. Man hätte auch weniger emphatisch sagen können: Wenn wir glücklich bleiben wollen, sind wir zur Gemeinschaft verdammt.

Bei all dem Druck, der derzeit auf der Union lastet, ist es bemerkenswert, wie viel Gemeinschaft immer noch bleibt. Und dennoch hat besonders Griechenland den Gemeinschaftsgedanken strapaziert - so wie die Staaten der Euro-Gruppe nun ihrerseits Griechenland mit großer Härte und Geschlossenheit unter Druck setzen. Das hat dort in den nun schon langen Krisenjahren tiefe Spuren hinterlassen. Angetreten sind erst eine Mitte-links-Regierung, dann eine Mitte-rechts-Regierung und nun eine Regierung der politischen Extreme. Nach und nach sind sie gescheitert, weil sich ihre Vorstellung von Gemeinschaft nicht vereinbaren ließ mit der Vorstellung der Mehrheit der anderen Euro-Staaten. Darf eine Gemeinschaft so unerbittlich mit einem Mitglied umgehen? Verrät sie damit nicht ihren Wesenskern?

Die griechischen Vorstellungen passen nicht zum Konzept der übrigen Union

Der Fall Griechenland zeigt, wie die EU auch im Jahre sieben der Krise noch immer um ihren Wesenskern ringt. Opfer dieser Auseinandersetzung ist zunächst die griechische Bevölkerung, aber auch der Rest der Union nimmt Schaden an der erbitterten Auseinandersetzung um den politischen Charakter der EU. Nach den sechs Monaten mit der dritten Krisenregierung in Athen ist sicher: Die von der Mehrheit in Griechenland getragene Vorstellung von Gemeinschaft, Staat und Währung passen nicht zum Konzept der übrigen Union. Die Regierung Tsipras will am Ende eine politische Union als Haftungsgemeinschaft, als Solidargemeinschaft und als Wohlstands-Verteilungs-Gemeinschaft. Die Mehrheit der Euro-Zone lehnt das ab.

Als die Euro-Krise ihre böse Fratze zum ersten Mal zeigte, war genau dies die Alternative: Sollte der wohlhabende Teil des Kontinents die Schulden der anderen auf sich laden und die Währungsunion in eine Haftungsgemeinschaft umwandeln? Die Antwort - nicht nur aus Deutschland - fiel eindeutig aus: Nein, das würde die EU überfordern. Der Kern der Nationalstaaten ist alles andere als miteinander verschmolzen. Diese Nationalstaaten hätten eine Systemrevolution unter dem Druck einer kollabierenden Währung nicht ausgehalten. Europa hätte sich radikalisiert.

Griechenland ist nicht gelungen, was Irland, Portugal und Spanien geschafft haben

In der Krise hat sich die Union deshalb auf eine andere disziplinierende Kraft geeinigt, der sich viele Staaten gebeugt haben: Irland, Portugal, Spanien haben die strukturellen Defizite ihrer Volkswirtschaften erkannt und reformiert. Sie haben sich einer Reformlogik gebeugt, die viele zwar als hart und fremdbestimmt empfanden, die aber den volkswirtschaftlichen Auslöser der Krise behob: die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und das Missverhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen in ihren Staatskassen.

Griechenland ist in all den Jahren diese Reform nicht gelungen. Nun war und ist das Land viel stärker als die anderen Krisennationen gebeutelt von einer Jahrzehnte währenden Misswirtschaft. Aber Griechenland wurde auch eine besondere Aufmerksamkeit - siehe Schuldenschnitt 2012 - zuteil. Die Verlockungen des billigen Geldes, gepaart mit einigen sehr länderspezifischen Strukturfehlern haben Wunden geschlagen, die nicht so schnell verheilen können. Die Krise geht tiefer, weil sie an das politische System rührt, weil sie Parteien und Machtgefüge, Klientelwesen und gewachsene Hierarchien infrage stellt. Dazu kommt ein miserabel entwickelter Staatsapparat, ein destruktives Verwaltungs-Chaos, das sich in den Verhandlungen der letzten Wochen geradezu selbstzerstörerisch auswirkte.

Zu einer Trennung wird es kommen müssen

Die Lehre nach all den Monaten: Die Euro-Zone wird sich dieses Griechenland nicht nach ihrem Willen formen können, genauso wenig wie Griechenland die Euro-Zone revolutionieren wird. Dieser Erkenntnisprozess war schmerzhaft. Er setzte nicht erst mit der Regierung Tsipras ein, aber die jetzige politische Konstellation hat die Unversöhnlichkeit klar erkennbar werden lassen. Dass im Laufe dieser quälenden Verhandlungen so viel Radikalität entstanden ist, dass diese Monate viel Geld und guten Willen verbraucht haben, gehört zur bitteren Kostenrechnung des Trennungsprozesses.

Selbst wenn nun doch noch ein Kompromiss gefunden wird: Zu einer Trennung wird es kommen müssen. Griechenlands Schuldenlast erzwingt einen neuen Schuldenschnitt, den die Gläubiger nur akzeptieren werden, wenn das Land aus der gemeinsamen Währung ausscheidet. Geld und Neustart - aber mit einer eigenen Währung. Wer diese komplizierte Formel ausrechnen will, der braucht vor allem Zeit und weniger politische Erregung.

Ideal wäre also ein geordnetes Verfahren hin zu einem Schuldenerlass und einem Währungswechsel. Griechenland braucht seine eigene Währung, über deren Wert die Wirtschaftsleistung des Landes an die der europäischen Nachbarn angeglichen werden kann. Die Regulatoren der Gemeinschaftswährung - Löhne und Preise - lassen sich in Athen politisch offenbar nicht steuern. Das ist die Lehre aus der Verhandlungskatastrophe der letzten Wochen.

Es ist das gute Recht der Gläubiger, den Zeitpunkt und das Regelwerk für diese Operation zu bestimmen. Ein neuer Schuldenschnitt darf die Euro-Zone und ihren mühsam erarbeiteten Konsens über die Stellschrauben der Wirtschafts- und Währungsunion nicht weiter beschädigen. Ein kontrollierter Austritt wird - mit etwas Abstand betrachtet - weder Griechenland schaden, noch die Europäische Union und ihre Währung zerstören.

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