Schuldenkompromiss im US-RepräsentantenhausShowdown mit der Auferstandenen

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Was für ein Drama: Bis zuletzt sorgten sich US-Politiker, ob das Repräsentantenhaus dem Kompromiss in der Schuldenkrise zustimmen würde. Da betrat Gabrielle Giffords den Plenarsaal - jene Abgeordnete, der ein Verwirrter im Januar in den Kopf geschossen hatte. Szenen einer emotionalen Entscheidung.

Die meisten Augen waren auf die Abstimmungstafel gerichtet, als die Frau im blauen Blazer den Saal betrat. Ihre Ankunft blieb trotzdem nicht lange unbemerkt. Applaus brandete auf. Erst in einer Ecke des Saals, dann in der gesamten Runde. Und viele Beobachter meinten, die Ja-Stimmen nun etwas schneller eingehen zu sehen. Mit 269 zu 161 Stimmen billigte das Repräsentantenhaus letztlich den Kompromiss zur Anhebung der Schuldengrenze. Die Zahlungsunfähigkeit der USA ist damit - vorbehaltlich der als gesichert geltenden Zustimmung im Senat - so gut wie abgewendet.

Amerikas Schulden: Fast 70 Mal haben die USA ihre Schuldengrenze seit 1960 bereits angehoben - klicken Sie auf die Grafik, um die Entwicklung der Schuldengrenze zu sehen und welcher US-Präsident die meisten Kredite aufgenommen hat.
Amerikas Schulden: Fast 70 Mal haben die USA ihre Schuldengrenze seit 1960 bereits angehoben - klicken Sie auf die Grafik, um die Entwicklung der Schuldengrenze zu sehen und welcher US-Präsident die meisten Kredite aufgenommen hat. (Foto: N/A)

Das war in gewissem Maße auch Gabrielle Giffords zu verdanken. Die Abgeordnete aus Arizona war vor sieben Monaten bei einem Attentat lebensbedrohlich verletzt worden. Ein geistig verwirrter Mann hatte ihr in Tucson eine Kugel in den Kopf geschossen. Obwohl die Heilung geradezu sensationell positiv verlief, hat Giffords noch immer Mühe, sich fortzubewegen und zu sprechen.

Dennoch war die 41-Jährige an diesem Tag in den Kongress gekommen. Sie wollte dabei sein, falls ihre Ja-Stimme gebraucht werden würde. Einige Abgeordnete rührte das zu Tränen. "Es war einer der aufregendsten Momente für uns alle, diese Heldin in das Repräsentantenhaus zurückkehren zu sehen", sagte die demokratische Minderheitsführerin Nancy Pelosi.

Der erbitterte Streit der vergangenen Monate und Wochen erschien angesichts Giffords' Schicksal geradezu kleinlich. Als "Schlamassel" bezeichnete US-Präsident Barack Obama dann auch das Hickhack zwischen Demokraten und Republikanern. Sein Sprecher Jay Carney sprach von einem "Zirkus". Beinahe hätte dieses Geschacher in letzter Minute noch eine Einigung verhindert.

Abgeordnete beider Parteien zeigen sich verärgert über den Kompromiss, den Republikaner und Demokraten mühsam miteinander ausgehandelt hatten. Er sieht vor, die Schuldengrenze von derzeit 14,3 Billionen Dollar anzuheben. Der Zwei-Stufen-Plan sieht eine Erhöhung des Kreditlimits um insgesamt mindestens 2,1 Billionen Dollar (knapp 1,5 Billionen Euro) sowie noch höhere Ausgabenkürzungen vor.

Mehreren Anhängern der Tea-Party-Bewegung, dem radikalen rechten Flügel der Republikaner, war eine Einigung mit dem Demokraten ohnehin zuwider - unabhängig von den Inhalten. Zudem ließen Mitglieder des Militärausschusses verlauten, sie könnten den Kompromiss nicht mittragen, weil das Gesetz zu niedrigeren Rüstungsausgaben führe.

"Beide Parteien sind für Schlamassel verantwortlich"

Bei den Republikanern machte sich daraufhin offenbar Nervosität breit. Parlamentssprecher John Boehner hielt eine Pressekonferenz mit eineinhalbstündiger Verzögerung ab - offenbar gab es Redebedarf hinter den Kulissen. "Beide Parteien sind für den Schlamassel verantwortlich, beide müssen zusammenarbeiten, um uns aus dem Schlamassel wiederherauszuholen", mahnte der republikanische Finanzpolitiker Paul Ryan.

Bei Twitter machten Vorhersagen negativer Abstimmungsergebnisse die Runde. Auch bei den Demokraten sah es demnach nicht gut aus. Ihr linker Flügel klagte bitterlich über die geplanten Einschnitte bei den Leistungen für Arme und Senioren, während die Reichen glimpflich davon kämen.

Steuererhöhungen, auf die Obama gedrungen hatte, sind in dem Kompromiss nicht vorgesehen. Dafür reicht der Plan, wie von Obama angestrebt, über den Wahltermin Ende 2012 hinaus. Ein Kongressausschuss soll bis Ende November empfehlen, wo weitere mindestens 1,8 Billionen Dollar (1,25 Billionen Euro) eingespart werden können.

Die demokratische Minderheitsführerin Nancy Pelosi sah sich zu deutlichen Worten gegenüber ihrer Fraktion genötigt: "Bitte denkt daran, was passiert, wenn wir zahlungsunfähig werden." Die Finanzmärkte hatten mit Nervosität auf die befürchtete Staatspleite der USA reagiert, mehrere Ratingagenturen dem Land mit dem Entzug der Bonitätsbestnote gedroht. Zu dem wirtschaftlichen wäre der politische Schaden gekommen: In einer aktuellen Umfrage hatten 72 Prozent der Amerikaner nichts als Spott für den Abstimmungsprozess übrig. Demnach seien Attribute wie "lächerlich", "ekelhaft", "dumm" und "frustrierend" besonders häufig genannt worden.

Die Abstimmung verlief dennoch schleppend. Die Zahl der Ja-Stimmen sei minutenlang unverändert geblieben, notierte die New York Times. Dann betrat Gabrielle Giffords den Raum.

Linktipp: Der Guardian hat die Abstimmung in einem Liveticker begleitet.

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