Grundgesetzänderungen:Bauchschmerzen, zu Protokoll gegeben

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Friedrich Merz am Dienstag im Bundestag. (Foto: Michael Kappeler/Reuters)

Im Bundestag haben nur drei Abgeordnete von Union, SPD und Grünen gegen das große Schuldenpaket gestimmt. 45 persönliche Erklärungen aus ihren Reihen zeigen jedoch, dass der Unmut in den Fraktionen viel größer war.

Von Robert Roßmann, Berlin

Was ist in den Tagen vor der Abstimmung über das gewaltige Schuldenpaket nicht alles spekuliert worden. Wie viele Nein-Stimmen würde es im Bundestag geben? Würden es Union, SPD und Grüne überhaupt schaffen, die nötige Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderungen zusammenzubringen? Am Ende haben am Dienstag dann aber lediglich drei ihrer Abgeordneten dagegen gestimmt: Ex-CDU-Generalsekretär Mario Czaja, die Grüne Canan Bayram und der Sozialdemokrat Jan Dieren. Dass der Unmut in den Fraktionen aber deutlich größer war, als es dieses Abstimmungsergebnis nahelegt, zeigt ein Blick auf die sogenannten persönlichen Erklärungen, die viele Abgeordnete hinterlassen haben. Denn 45 Parlamentarier von SPD, Grünen und Union haben so eine Erklärung zu Protokoll gegeben.

Michael Grosse-Brömer, bis Dezember 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, hat einmal anschaulich beschrieben, wie Fraktionsführungen versuchen, auf Abgeordnete Einfluss zu nehmen. Es gibt im Bundestag zwar keinen Fraktionszwang, aber es wird „Fraktionsdisziplin“ verlangt. Die Unionsfraktion beispielsweise hat das in ihrer Arbeitsordnung festgelegt. In Paragraf 17 werden die Abgeordneten „verpflichtet, in wichtigen Fragen ihre von der Fraktionsmehrheit abweichende Abstimmungsabsicht dem Vorsitzenden, dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer oder der Fraktionsversammlung bis zum Vortag der Abstimmung, 17.00 Uhr, mitzuteilen“.

Zweifler hatten „erhebliche inhaltliche Bedenken“

Mit Zweiflern treffe er sich in den hinteren Reihen des Bundestags oder in der Cafeteria des Parlaments, erzählte Grosse-Brömer. Zuerst höre er sich die Argumente des Kollegen oder der Kollegin an. Das sei immer ein freundschaftliches Gespräch. Dann weise er vor allem die jüngeren Kollegen darauf hin, dass sie auch nur eine persönliche Erklärung mit ihrer Kritik abgeben könnten, statt mit Nein zu stimmen. Wenn das nicht hilft, empfahl Grosse-Brömer möglichen Abweichlern schon mal, dass sie während der Abstimmung ja auch einen Kaffee trinken gehen könnten.

Wie es Thorsten Frei, der Nachfolger Grosse-Brömers hält, weiß man nicht. Sicher ist aber, dass am Dienstag ungewöhnlich viele Abgeordnete eine persönliche Erklärung abgegeben haben. Den meisten war es vermutlich nur ein großes Bedürfnis, ihre schwierige Entscheidung für jeden nachlesbar zu begründen. Aber einige der 45 haben ihre Nöte in den persönlichen Erklärungen doch sehr deutlich formuliert.

„Meine Zustimmung zur Änderung des Grundgesetzes ist mir wahrlich nicht leichtgefallen – hinter mir liegen Tage des innerlichen Ringens über mein persönliches Verhalten bei der heute durchgeführten Abstimmung“, heißt es etwa in der Erklärung des früheren JU-Bundesvorsitzenden Tilman Kuban. Die geplante Ausweitung der Staatsverschuldung berge „erhebliche Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte in Deutschland und Europa“. Er müsse eine Abwägungsentscheidung treffen: "Ich habe erhebliche inhaltliche Bedenken. Nichtsdestotrotz weiß ich, wenn ich der Grundgesetzänderung nicht zustimme, wird unser Land in eine schwere Staatskrise stürzen."

Es werden „klare und zeitnahe Regelungen zur Tilgung“ der Schulden gefordert

Gitta Connemann, Chefin des CDU-Wirtschaftsflügels, schreibt: „Für und Wider haben mich in den letzten Tagen umgetrieben.“ Denn mit dem geplanten Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur gehe man „den zweiten vor dem ersten Schritt“. Es gebe „aktuell (noch) Spielräume“ in den Haushalten – „noch nie vereinnahmten alle staatlichen Ebenen gemeinsam mehr als jetzt, nämlich fast eine Billion Euro“. Deutschland habe ein Ausgabenproblem. Es wäre deshalb „besser gewesen, zuerst zu priorisieren, um Mittel aus dem Haushalt freizusetzen“.

Der CDU-Abgeordnete Markus Uhl erklärt, dass er "nur schweren Herzens" mit Ja stimmen könne. Und Klaus-Peter Willsch, ebenfalls ein Christdemokrat, beklagt, dass die Formulierung zum Klimaschutz in der Grundgesetzänderung dringend nötige Investitionen verhindere und Klagemöglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen eröffne. Die Formulierung habe deshalb „in einem Verfassungstext nichts verloren“. Katja Leikert, ehemalige stellvertretende Unionsfraktionschefin, moniert „die fehlende Tilgungsregelung im Entwurf der Grundgesetzänderung“. Sie erwarte deshalb, „dass im Rahmen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung klare und zeitnahe Regelungen zur Tilgung getroffen werden“.

Der CSU-Abgeordnete Andreas Lenz fordert zusätzlich „Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“. Das heiße: „niedrigere Energiekosten, niedrigere Belastungen insgesamt, weniger Dokumentationspflichten und weniger bürokratische Lasten, insgesamt ein schlankerer Staat“. Denn es gelte: „All die Schulden werden nichts helfen, wenn hier nicht angesetzt wird.“

Der Sozialdemokrat Erik von Malottki hat ganz andere Probleme. „Die vorgeschlagenen Änderungen zur Anpassung der Schuldenbremse ausschließlich für die Verteidigungsausgaben halte ich auch angesichts der aktuellen geopolitischen Lage für den falschen Weg“, schreibt er. Die „vermeintliche Notwendigkeit von Kriegstüchtigkeit“ suggeriere, dass es lediglich einen einzigen sicherheits- und außenpolitischen Weg gebe. Er befürchte, dass „die weltweite Aufrüstungsspirale in eine Sackgasse führt und auf diesem Pfad auch keine nachhaltige Friedensordnung wiederhergestellt werden kann“.

Und der ehemaligen Berliner Juso-Vorsitzenden Annika Klose gehen die Grundgesetzänderungen nicht weit genug. Ihrer Ansicht nach hätte die Schuldenbremse im Grundgesetz abgeschafft werden müssen. Außerdem wäre eine Steuerreform „zwingend“ nötig, mit der niedrige und mittlere Einkommen stärker entlastet und sehr hohe Einkommen von über 250 000 Euro jährlich deutlich stärker belastet werden. Das Offenbleiben der Frage, wie die aufgenommenen Schulden getilgt werden sollen, lasse „eine weitere Umverteilung auf die Schultern der unteren und mittleren Einkommen befürchten“.

Johannes Wagner von den Grünen wird noch grundsätzlicher, er beklagt das ganze Verfahren. Über die Grundgesetzänderungen stimme noch der Bundestag der 20. Wahlperiode ab, "wenige Tage bevor sich der neue Bundestag konstituiert", schreibt Wagner. "Dieses Verfahren halte ich für falsch." Es  mag verfassungsrechtlich möglich sein. "Politisch sehe ich es allerdings kritisch, so große und weitreichende Änderungen mit den Mehrheiten der auslaufenden Wahlperiode zu beschließen."

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