Süddeutsche Zeitung

Schuldenbremse:Eine Bremse aus Papier

Die Schuldengrenze im Grundgesetz ist bestenfalls ein Appell an kommende Politiker-Generationen. Die heutigen Entscheider zeigen zudem wenig Lust, das Volk über schmerzhafte Nebenwirkungen aufzuklären.

Susanne Höll

Daniel Düsentrieb, der zerstreute Hühnervogel aus der Comic-Stadt Entenhausen, hat wunderbare Dinge erfunden. Das Brotschmierinstrument gehört dazu und auch das Dunkellicht.

Ihm würde man zutrauen, auch eine Schuldenbremse zu bauen. Das wäre eine zierliche stählerne Apparatur, die jeden deutschen Politiker automatisch, geräuschvoll und äußerst schmerzhaft zwickt, wenn er wieder einmal neue Kredite für fragwürdige Projekte aufnehmen möchte. Und natürlich auch dann, wenn er staatliche Schulden nicht zurückzahlt, obgleich er es sich leisten kann.

Im Grundgesetz gibt es bereits eine Schuldenregel

Das Gerät aber gibt es leider nicht. Die Schuldenbremse existiert nur auf dem Papier und ist alles andere als zierlich.

Wenn der Bundesrat im Juni zustimmt und die Verfassungsrichter keine Einwände haben, wird im Grundgesetz alsbald ein Wortungetüm stehen, das regelt, wie und wann Bund und Länder künftig Schulden machen dürfen.

Dass die papierne Bremse tatsächlich auch im richtigen Moment zupackt, kann getrost bezweifelt werden. Denn im Grundgesetz gibt es längst eine Schuldenregel.

Die besagt in einfachen Worten, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf, als er investiert, es sei denn, die gesamte Wirtschaft gerät aus dem Gleichgewicht.

Wie ernst die Politiker aller Parteien im Bund, den Ländern, den Städten und den Gemeinden diesen Artikel nehmen, zeigt der Rekordstand der Neuverschuldung.

Im Nachtragshaushalt, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, sind 47,6 Milliarden Euro frische Kredite vorgesehen. Insgesamt dürfte der Bund in diesem Jahr neue Schulden von 80 Milliarden Euro machen, vielleicht sogar noch mehr.

Ein Großteil dieser Schulden dient einem richtigen und wichtigen Zweck, dem Kampf gegen die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise.

Notschulden dieser Art sind auch in Zukunft erlaubt. Befürworter und Kritiker der Neuregelung behaupten, die Verhältnisse in Deutschland würden sich mit der Bremse grundlegend ändern.

Die Befürworter hoffen, dass der exzessive Hang zum Leben auf Pump aufhört, die Gegner fürchten, dass eine Schuldenbremse den Staat knebelt.

Beides wird wohl nicht der Fall sein. Die Erfahrung lehrt, dass Regierungen immer neue Wege finden, Schulden zu machen.

Die Liste der Ausreden, warum man nicht sparen, geschweige denn Kredite tilgen kann, wird in den nächsten Jahren einfach länger werden.

Verunzierte Verfassung

Die Schuldengrenze ist also im besten Fall ein Appell an künftige Politiker-Generationen, mit Steuergeld sorgsamer umzugehen als ihre Vorgänger. Im schlechtesten Fall verunziert sie allein die Verfassung.

Ihre Erfinder zeigen übrigens wenig Lust, die Bürger über die Konsequenzen der Bremse aufzuklären.

Dann müssten sie sagen, dass die vielen neuen Schulden alsbald und nur auf zwei Wegen zu begleichen sind: entweder mit drastischen Steuererhöhungen oder mit tiefgreifenden Einschnitten bei staatlichen Leistungen.

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Quelle:
SZ vom 30./31. Mai/ 1. Juni 2009/odg
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