Die Niederlande sind eines der reichsten Länder Europas. Armut gibt es trotzdem: Menschen, die zu wenig Geld haben, um sich gutes Essen zu kaufen, Miete und Krankenversicherung zu finanzieren oder sich Bildung zu leisten. Viele haben Geld geliehen und schaffen es nicht, die Kredite zurückzuzahlen. Sie stecken in der Schuldenfalle. 2023 kämpften laut Statistikamt CBS 726 000 Haushalte mit "problematischen Schulden", zwei Jahre zuvor waren es 600 000.
Die Kommunen gehen jetzt neue Wege, um Menschen aus dieser Falle herauszuholen. Arnheim verkündete Ende April, man wolle "40 bis 60" Haushalten die Schulden abnehmen. Komplett, ohne Gegenleistung. Familien mit Kindern haben Vorrang. Auf Wunsch erhalten die Begünstigten eine Begleitung, die einen Plan mit ihnen erarbeitet. Ohne die Schulden, so die Idee, lassen sich auch sonstige Probleme besser angehen: Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt, Verwahrlosung, Suchtgefahren, Kriminalität. Das Ganze ist als Experiment gedacht, das zwei Jahre dauern und danach ausgewertet werden soll.
Schulden hätten eine "zerstörerische Wirkung" auf Menschen, so die Stadtregierung. Durch Stress würden die Probleme oft größer. "Schulden führen zu noch mehr Schulden", erklärte der für Existenzsicherung zuständige sozialdemokratische Stadtrat Mark Lauriks. "Sie stanzen ein Loch in den Geldbeutel und in deine Zukunft. Und nehmen so viel Raum ein im Kopf, dass das Nachdenken über Entscheidungen fast unmöglich wird." Ein Zustand, an dem noch dazu die "Inkasso-Industrie" kräftig verdiene.
Die Folgekosten von Schulden seien höher als die Schulden selbst
Deshalb sei es Zeit für ein "radikales" Vorgehen. Das auch viel günstiger sei. Denn den problematischen Schulden im Gesamtwert von landesweit 3,5 Milliarden Euro stünden 17 Milliarden an Kosten für die Lösung dieser Schuldenprobleme gegenüber. Stadtangestellte zogen also los in den Osten von Arnheim, nach Immerloo, der gemäß Haushaltseinkommen ärmsten Ecke des Landes, wo statt der üblichen Klinker-Einfamilienhäuser Hochhausriegel dominieren. Die Angesprochenen hätten zunächst gezögert, berichtete Lauriks, sich aber schnell für das Ansinnen erwärmen können. Fast 60 Prozent der Bewohner sind migrantischer Herkunft, viele nicht erreichbar für Schuldnerhilfe oder ähnliche Angebote. Die 700 000 Euro, die zur Verfügung stehen, stammen nicht aus dem Steuersäckel, sondern von Stiftungen.
Ähnliche Projekte gibt es schon in anderen Städten, Arnheim wagt das bisher größte. Die Ankündigung fand weithin Beachtung. Es gab Kritik von mehreren Seiten. Die von der Stadt genannten Zahlen zu den Kosten problematischer Schulden seien "fiktiv", bemängelten öffentlich-rechtliche Faktenchecker. Eine Wissenschaftlerin warnte vor "moral hazard", der Gefahr, durch den Erlass zu weiterem Schuldenmachen ermuntert zu werden. Andere halten mehr Sozialhilfe oder einen höheren Mindestlohn für sinnvoller. Doch insgesamt ist das Echo positiv.
Das Umdenken in den Niederlanden mag auch mit dem Skandal um Kinderbetreuungszuschläge zusammenhängen. Dabei hatte der Staat Zehntausende unbescholtene Familien durch die Rückforderung von Beihilfen in den Ruin getrieben. Viele mussten sich hoch verschulden.