Athens Reparationsforderungen an Berlin:Schuld und Schulden

Deutsche Soldaten der Wehrmacht in Athen, 1941

Wehrmacht in Athen - 1946 wurde ein Schaden der Besatzung von 7,2 Milliarden Dollar errechnet.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Reparationsforderungen Griechenlands begegnet die Bundesregierung stets mit der Behauptung, das Thema sei abgeschlossen. Doch Differenzen lassen sich nicht einseitig mit dem Recht des Stärkeren "abschließen". Die deutsche Argumentation ist unredlich.

Gastbeitrag von Hagen Fleischer

Man hört ja oft, die Griechen brächten jetzt erst, da sie pleite sind, alte deutsche Kriegsschulden auf den Tisch, um sich mit diesem "Trick" eigener Schulden zu entledigen. Tatsächlich aber trägt Athen diese Ansprüche seit 1945 kontinuierlich vor, scheitert aber stets an deutschen Widerständen.

Die dreieinhalbjährige deutsche Okkupation Griechenlands war brutaler als in allen nichtslawischen Ländern. Die für die Pariser Reparationskonferenz in den Jahren 1945/46 erfolgte Schadensberechnung in Höhe von 7,2 Milliarden Dollar wurde von den Westmächten erst als zutreffend eingeschätzt. Doch unter den Vorzeichen des Kalten Krieges beschlossen die USA, Westdeutschland zu einem Bollwerk gegen den Osten aufzubauen, was die Abkehr von der Reparationspolitik voraussetzte.

Beim haircut der deutschen Auslandsschulden im Londoner Abkommen (LSA) aus dem Jahr 1953 wurde daher die "Prüfung" aller aus dem "Krieg herrührenden Forderungen" gegen Deutschland mit der schwammigen Formulierung: "bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage" zurückgestellt.

Als hypothetische Vorbedingung für eine solche "Regelung" nannten die Westmächte keineswegs einen formellen Friedensvertrag, sondern lediglich eine nicht zu erwartende deutsche Wiedervereinigung oder irgendeine Friedensregelung - also so etwas wie der Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990.

Argumentationshilfe von Genscher

Doch sah sich Bonn Ende der Fünfzigerjahre gezwungen, dem Druck der westeuropäischen Partner nachzugeben und deren von NS-Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsbürgern Wiedergutmachung zu zahlen. Davon erhielt Griechenland 115 Millionen DM. Bonn lehnte es ab, weitergehende Ansprüche zu diskutieren, da deren Regelung laut LSA ja eben nur einem geeinten Deutschland zustehe.

Unter den damaligen Vorzeichen einer permanenten Ost-West-Konfrontation erwartete das Auswärtige Amt der Bundesrepublik (AA), "diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, um die Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen".

Dieser Strategie blieb Bonn treu bis zur Wiedervereinigung 1990, welche die fast 40 Jahre alten Ansprüche reaktivierte. Bereits im Mai schickte der damalige Außenminister Genscher allen betroffenen Botschaften Argumentationshilfe, wie mit Hinweis auf die verflossenen Jahre solche Forderungen abzublocken seien.

Unredlich ist daher die Argumentation des AA, die Opfer bis 1990 auf den Zeitpunkt der deutschen Einigung zu vertrösten und zugleich auf jenen Zeitablauf hinzuarbeiten, auf den man von 1990 an dann achselzuckend verweist.

Im Anschluss an den 50. Jahrestag des Kriegsendes wurde 1995 zunächst eine Sammelklage der griechischen "Märtyrergemeinden" gegen die Bundesrepublik eingereicht; im November desselben Jahres folgte dazu noch eine Verbalnote, in der Premier Andreas Papandreou die Bundesregierung zu Verhandlungen zu ihrem Kriegserbe aufforderte.

Alle griechischen Vorstöße wurden abgeschmettert mit einer oft von Faktenverzerrung und -leugnung geprägten Abwehrstrategie. Deutlichstes Beispiel hierfür ist der Besatzungskredit.

Im März 1942 modifizierten die deutschen (zunächst auch italienischen) Okkupanten ihre Kahlfraß-Strategie. Das geschah nicht, weil der Kollaps der griechischen Währung und Wirtschaft den eigenen Zielen zuwiderlief. Zudem machte die Kollaborationsregierung ihr Verbleiben im Amt von einer spürbaren Reduzierung der "Besatzungskosten" abhängig: Ihr Rücktritt hätte immense Mehraufgaben für die neuen Herren bedeutet.

Daraufhin wurde beschlossen, die von der griechischen Zentralbank allmonatlich aufzubringenden Leistungen aufzuteilen: einerseits in die "gewöhnlichen" Besatzungskosten sowie in die darüber hinausgehenden "außerordentlichen" Forderungen der Wehrmacht.

Gemeint waren damit die horrenden Aufwendungen für die deutsche Kriegsführung im östlichen Mittelmeerraum: So wurden aus Griechenland, das allein im ersten Besatzungswinter etwa 100 000 Hungertote beklagte, Lebensmittel für Rommels Afrikakorps abgezogen.

Aus demselben Etat wurden auch die Wehrmachtsbetriebe finanziert sowie die Befestigungsanlagen etwa auf Kreta, dessen Verbleib in deutscher Hand das Oberkommando der Marine forderte.

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