Schüler:Eine der leichtesten Übungen

In Japan erledigen Agenturen die Hausaufgaben.

Von Thomas Hahn

Japans Hausaufgaben-Industrie war sich immer sicher, nichts Unrechtes zu tun. Seit über fünf Jahren übernehmen Firmen wie Genius Assist oder Kagemusha die Schularbeiten gestresster Jugendlicher. Mit Skrupeln ginge das nicht.

Trotzdem werden die Betreiber froh gewesen sein, als der Rechtsanwalt Makoto Okubo aus Sapporo neulich auf der Anwaltsplattform bengoshi.com rechtliche Bedenken gegen ihre Tätigkeit zerstreute: Ein Aufsatz oder eine Schreibübung seien keine Dokumente, die für irgendetwas qualifizieren. Für Okubo greift der Vorwurf der Fälschung deshalb so wenig wie der des Betrugs. Den Schulen entstehe kein Nachteil. Und die Eltern würden schon gar nicht getäuscht - die buchen die Hausaufgaben-Profis für ihre Kinder schließlich. Alles sauber also.

Im Dienstleistungsparadies Japan trifft der interessierte Ausländer immer wieder auf ungewohnte Angebote. Es gibt Agenturen, bei denen verlassene Mütter Väter für ihre Kinder mieten können oder Single-Männer dekorative Ehefrauen. Beliebt ist auch der Fahrservice für feucht-fröhliche Abende: Wer nicht mehr selbst ans Steuer kann, bestellt nicht nur ein Taxi, sondern einen Fahrer, der das eigene Auto in die heimische Garage bringt.

Die Hausaufgaben-Agenturen stehen in der Tradition dieser Vertreterdienste, durch welche die Menschen in Japan so gut wie jedes private Problem outsourcen können. Mit Firmen wie Genius Assist oder Kagemusha reagierten smarte Bildungsbeobachter einst auf den Umstand, dass viele Schulen die Jugendlichen tatsächlich mit sehr vielen Hausaufgaben in die Ferien schicken. Sie stellten Studierende als Problemlöser an und entwickelten Preislisten für jede Not. Ein Grundschüler bekommt heute zum Beispiel gelöste Aufgaben in Japanisch, Mathe oder Sachkunde zum Stückpreis von 100 Yen (0,80 Euro). Textanalysen gibt es für 3000 Yen pro 400 Zeichen - inklusive Handschriftimitation, damit nicht auffällt, dass der Text nicht von einem Zehnjährigen stammt, sondern von einem bezahlten Hausaufgaben-Macher.

Die Debatte um Moral und Sinn gekaufter Hausaufgaben lebte wegen der Pandemie wieder auf. Die Sommerferien waren kürzer als sonst, um Unterrichtsausfall wettzumachen. Der Stress stieg. Der Sender TBS berichtete und ließ die Kundin einer Hausaufgaben-Agentur zu Wort kommen. "Meine Tochter ist in den Sommerferien mit Gesangsunterricht beschäftigt." Sie habe ihr die Hausaufgaben spendiert, damit das Kind sich besser konzentrieren könne. Ein klassischer Fall.

Das Bildungsministerium in Tokio ist nicht begeistert. Längst hat es den Schulterschluss mit Bestellplattformen gesucht, über die man online die Hausaufgaben-Agenturen buchen konnte. Diese machten mit und strichen die Angebote. Die Regierung selbst gelobte, darüber zu informieren, "wie wichtig es ist, die Hausaufgaben selber zu machen".

Ist es wirklich so wichtig? Die Meinungen gehen auseinander. Vor allem Schreibübungen stehen in der Kritik, bei denen die Schülerinnen und Schüler über viele Seiten hinweg immer das gleiche Schriftzeichen zeichnen müssen. Und klar ist auch: Weniger Hausaufgaben würden helfen im Kampf gegen das kommerzielle Schulaufsatzschreiben.

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