Süddeutsche Zeitung

Schröder zur Stammzellforschung:"Wir müssen der Chance eine Chance geben"

Der Bundeskanzler hat sich für eine Lockerung der Gesetze zur embryonalen Stammzellenforschung stark gemacht: "Wir dürfen uns in der Bio- und Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln." Grünen-Politiker Beck warnte dagegen vor "forschungspolitisch verbrämtem Kannibalismus".

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich vehement für eine Lockerung der Gesetze zur embryonalen Stammzellenforschung eingesetzt.

"Wir dürfen uns in der Bio- und Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln", sagte Schröder bei einer Rede zum Empfang der Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen.

Besonders im Lichte neuer Erkenntnisse könne sich die Bundesrepublik "der Tendenz zu einer Liberalisierung der Forschung mit embryonalen Stammzellen auf Dauer nicht entziehen", forderte der Kanzler bei einem Festakt anlässlich der Neubau-Eröffnung des Göttinger Zentrums für Molekulare Biowissenschaften (GZMB).

Nur dann, so die etwas überraschende Schlussfolgerung des Kanzlers, könne Deutschland auch ethische Überlegungen in die weltweite Diskussion einbringen.

Zwar gebe es auch Risiken dieser neuen Technologie, Deutschland dürfe sich den Chancen aber nicht verschließen. "Wir müssen der Chance eine Chance geben." Schröder forderte "eine Kultur der Freiheit. Eine Kultur der Forschung ohne Fesseln, aber nicht ohne Grenzen".

Der Kanzler betonte "das enorme Potenzial der Biotechnologie" etwa zur Entwicklung neuartiger Medikamente und verbesserten Saatguts. Gerade die Forschung mit Stammzellen wecke Erwartungen, von denen nicht sicher sei, ob sie erfüllt würden.

"Aber es handelt sich um eine Forschung, von der wir uns durchaus erhoffen dürfen, dass sie neue Medikamente und Heilverfahren bei bislang unheilbaren Erkrankungen hervorbringen kann." Wer dazu Nein sage, müsse sich später fragen lassen, ob er auch den Import solcher Medikamente verbieten wolle.

Moralische Integrität der Stammzellforscher

Den Stammzellen-Forschern bescheinigte der Kanzler moralische Integrität: Es sei anmaßend, die Motive dieser Biologen und Mediziner in Zweifel zu ziehen. Die Diffamierung von Wissenschaftlern als gewissenlos und geltungssüchtig sei inakzeptabel.

Mit dem Stammzellengesetz aus dem Jahr 2002 habe sich Deutschland im internationalen Vergleich auf die Seite der restriktiven Länder gestellt. Es liege jedoch "in der Natur der Sache", dass die Gesetze angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse "überprüft und bei Bedarf auch angepasst werden müssen", erklärte der Bundeskanzler.

Anlass der erneuten Diskussion waren wissenschaftliche Erfolge beim Klonen von Menschen in Großbritannien und Südkorea. Das so genannte therapeutische Klonen ist in Deutschland im Stammzellgesetz untersagt. Erlaubt ist lediglich die Forschung an Stammzellen, die vor dem 1. Januar 2002 importiert wurden. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken ist grundsätzlich verboten.

Heftige Kritik an Schröder

Der Grünen-Politiker Volker Beck widersprach Schröder und warnte eindringlich vor Lockerungen: "Die Grenzen in der Bioethik darf man nicht leichtfertig den Heilsversprechen der Medizin und den ökonomischen Interessen der Pharmaindustrie opfern", erklärte er in Berlin. "Das menschliche Leben verdient Schutz um seiner selbst. Dies verlangt unsere Verfassung im Namen der Menschenwürde."

"Die Vernutzung von Embryos zur Ausschlachtung für embryonale Stammzellen ins forschungspolitisch verbrämter Kannibalismus. Sie muss verboten bleiben." Bei diesen ethischen Grundsatzfragen seien die Grünen "zuverlässiger Partner der Kirchen für eine ethische Ausrichtung der Forschung und Anwendung der Medizin und Biologie am Menschen".

Auch Ärztevertreter und Malteser Hilfsdienst reagierten mit Kritik. "Die wirtschaftliche Ausbeutung menschlichen Lebens in Deutschland ist sittenwidrig und muss es auch bleiben", sagte der Vorsitzende der Krankenhausärzte- Vereinigung Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery. Politik und Öffentlichkeit dürften nicht den Wunderversprechen einzelner Forscher verfallen.

Embryonen nicht als menschliche Wesen anzusehen, sondern als etwas Abstraktes, sei "das traurige Zeugnis eines ad absurdum geführten Materialismus", sagte der geschäftsführende Präsident des Malteser Hilfsdienstes, Johannes Freiherr Heeremann.

Für die Union wies Fraktionsvize Maria Böhmer die Forderung nach einer Liberalisierung scharf zurück. Die Regierung schrecke nicht davor zurück, ihre ethischen Grundsätze über Bord zu werfen, "um sich einen forschungsfreundlichen Anschein zu geben", sagte Böhmer. Weder in der Koalition noch im Bundestag habe Schröder dafür eine Mehrheit. Seiner Ankündigung von Gesetzesänderungen würden keine Taten folgen.

Auch der Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Enquete- Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", Thomas Rachel, sagte, die ethische Bewertung der Embryonal-Forschung dürfe "nicht von wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolgen abhängig gemacht werden". Das Gesetz sollte nicht in Frage gestellt werden.

"Die Menschenwürde des Embryos und sein Recht auf Leben werden von uns nicht nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern auch in Zukunft zu achten sein, falls embryonale Stammzellenforschung zu einem wissenschaftlich und wirtschaftlich Erfolg versprechenden Verfahren werden würde, was vollkommen offen ist."

Unterstützung bekam der Kanzler dagegen aus der FDP. So forderte der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin Schröder auf, bald einen Gesetzentwurf zur Änderung des Stammzellgesetzes vorzulegen.

"Der Bundeskanzler muss seinen ständigen Ankündigungen endlich Taten folgen lassen", sagte Mertin in Mainz. Er kritisierte die Grünen, die Schröders Vorstoß zurückgewiesen hatten: Damit missachteten sie die Hoffnungen vieler kranker Menschen. Der Justizminister forderte erneut, die Forschung an embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen zuzulassen.

Der Kanzler hatte bereits in der Vergangenheit für eine Lockerung der gesetzlichen Regelungen in Deutschland plädiert, zugleich aber betont, dass er an den strengen gesetzlichen Grenzen für die Biotechnologie in Deutschland festhalte. Regierungssprecher Béla Anda hatte im Mai erklärt, dass eine Überprüfung der Gesetze erst in zwei Jahren stattfinden solle.

Vor seiner Rede zeichnete die Universität Göttingen ihren früheren Jura-Studenten Schröder mit der Ehrendoktorwürde aus.

Damit würdige die Universität seine "Verdienste um die biologisch orientierten Naturwissenschaften" sowie die "Förderung des Dialogs um die Bioethik", sagte der Dekan der Biologischen Fakultät, Professor Gerhard Braus.

So sei Schröder maßgeblich an der Gründung des Nationalen Ethikrats im Jahr 2001 beteiligt gewesen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.895919
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AP/AFP/dpa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.