Süddeutsche Zeitung

Gerhard Schröder:Die ungebremste Freude an der Stichelei

Gerhard Schröder wird 75 - und polarisiert wie kein Ex-Kanzler zuvor. Bissige Kommentare kann er sich manchmal nicht verkneifen, zum Leidwesen seiner SPD.

Von Nico Fried

Schon wieder ein besonderer Geburtstag. Ist Gerhard Schröder nicht gerade erst 70 geworden? War viel los 2014, hier ein Empfang, da eine Ehrung, dort ein Fest zu Ehren des Ex-Kanzlers. Für manche Feierlichkeit fand sich damals erst ein Termin, als der Jubilar schon auf die 71 zuging. Und wie so oft bei Schröder bot sich Anlass für Kontroversen.

Vor allem ein Fest in Sankt Petersburg erregte Anstoß, ausgerichtet von der Nord Stream AG, Ehrengast Wladimir Putin. Der ehemalige Kanzler und der amtierende russische Präsident, fotografiert in trauter Umarmung, während in der Ukraine Vertreter der OSZE, unter ihnen Soldaten der Bundeswehr, von russischen Separatisten festgehalten wurden. Fast zehn Jahre nach seinem Abschied füllte Schröder wieder einmal die Kommentarspalten. Und es war nicht das letzte Mal.

Gerhard Schröder ist mittlerweile seit bald 14 Jahren kein aktiver Politiker mehr - eine Reizfigur aber ist er geblieben, daran hat sich auch in den vergangenen fünf Jahren nichts geändert. Schröder, der an diesem Sonntag 75 wird, regt Leute auf, manche verachten ihn. Andere schätzen ihn, nicht wenige mit sentimentalem Blick auf den für lange Zeit letzten Sozialdemokraten, der in der Lage war, das Kanzleramt zu erobern. Und einige sind einfach hin- und hergerissen. Seine Nachfolgerin gehört inzwischen wohl zu dieser Gruppe.

Kein ehemaliger Kanzler hat auch in der Zeit nach dem Amt so polarisiert wie der Mann aus Hannover. Willy Brandt und Helmut Schmidt wurden überparteilich geachtet, selbst bei Helmut Kohl überwog am Ende der Respekt für den Kanzler der Einheit bei Weitem die Kritik an der nie ganz aufgeklärten Spendenaffäre. Sie alle, die als Aktive ordentlich auszuteilen wussten, aber auch auszuhalten hatten, standen danach für die Fähigkeit der Demokratie zu Versöhnlichkeit. Schröder nicht. Oder doch wenigstens ein bisschen?

Das öffentliche Bild Schröders bleibt ambivalent. Das beginnt schon in seiner eigenen Partei, der SPD, der er 1963 beitrat. Da war Olaf Scholz fünf und Andrea Nahles noch nicht geboren. Ungebrochen ist die Dankbarkeit in der SPD - und weit darüber hinaus - für Schröders Nein zum Irakkrieg und den damit verbundenen Bruch mit George W. Bush. Dafür vermisst Schröder selbst heute in der SPD - und darüber hinaus - ein härteres Auftreten gegen die US-Regierung von Donald Trump und vor allem gegen deren Versuche, Deutschland in außenpolitischen und wirtschaftlichen Fragen zu bevormunden.

Auf bissige Kommentare kann er manchmal nicht verzichten

Die Deutung, Schröders Reformpolitik sei Ausgangspunkt des Niedergangs der Sozialdemokratie, ist mittlerweile Mehrheitsmeinung, zumindest unter den Funktionären. Schröder selbst vertritt die Position, die SPD habe sich nicht durch die Politik der Agenda 2010 für viele Wähler unattraktiv gemacht, sondern weil sie hinterher nicht dazu gestanden habe. Immer mal wieder weist er darauf hin, dass das Ergebnis bei seiner Abwahl 2005 immer noch deutlich besser war als alle Resultate von SPD-Kanzlerkandidaten seither. So etwas sagt er gerne in Sätzen, die er mit "übrigens" beginnt, was nebensächlich klingen soll, tatsächlich aber der besonderen Betonung dient.

Schröder tut gerne so, als ginge ihn das alles nichts mehr an, kann aber auf bissige Kommentare manchmal nicht verzichten. Eine Zeit lang lobte er mit gönnerhaftem Gestus die politische Entwicklung von Andrea Nahles, hielt der SPD-Vorsitzenden jüngst aber Amateurfehler vor und sprach ihr Wirtschaftskompetenz ab, was gleichbedeutend war mit dem gesenkten Daumen für eine etwaige Kanzlerkandidatur. Für diese Aufgabe nannte er die Namen Olaf Scholz und Stephan Weil, wobei er auch die Hoffnung auf Sigmar Gabriel noch nicht aufgegeben zu haben scheint. Damit steht er in der Partei wieder mal da, wo es ihn häufig hin verschlägt: in der Minderheit.

Vor einigen Monaten sprach Schröder dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet die Kanzlertauglichkeit zu. Der gehört allerdings der CDU an. Dass Schröder sich damit sogar in die Personalpolitik der Konkurrenzpartei einmischte, passt zu seiner ungebremsten Freude an der Stichelei. Es könnte aber auch damit zu tun gehabt haben, dass Soyeon Schröder-Kim für eine landeseigene Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Nordrhein-Westfalen arbeitet. Laschet nannte Schröder-Kim mal "unsere Botschafterin in Südkorea". Sie ist aber auch Schröders fünfte Ehefrau. Und so steckt eine gewisse Logik darin, dass Laschet nun Schröders Bester in der CDU sein darf.

Der Ex-Kanzler und seine Freunde. Schröders Verhältnis zu Putin ist Gegenstand der Kritik, seit der eben erst aus dem Amt geschiedene Kanzler im Dezember 2005 Aufsichtsrat des Nordstream-Konsortiums wurde, an dem der russische Gazprom-Konzern die Mehrheit hält. Noch zwölf Jahre später taugten Schröders Geschäftsbeziehungen dazu, der SPD den Wahlkampf zu stören. Auf Bitten des Kanzlerkandidaten Martin Schulz war Schröder noch im Frühjahr 2017 auf dem Dortmunder Parteitag aufgetreten. Seine Rede wurde von Delegierten nicht enthusiastisch gefeiert, aber wohlwollend begleitet. Einige Wochen später wurde Schröder Aufsichtsrat des Öl-Konzerns Rosneft. Groß war die Aufregung, schweigsam der Kanzlerkandidat. Erst nach Tagen knurrte Schulz öffentlich: "Ich würde das nicht machen." An Schulz hat Schröder sich später einmal mit einem Wilhelm-Busch-Zitat gerächt, mit dem er Aufstieg und Fall des Kandidaten auf die Schippe nahm: "Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der."

Wenn er an Putins Politik etwas auszusetzen habe, teile er das dem Präsidenten persönlich mit, sagt Schröder immer wieder. Dass er 2014 seinen Einfluss auf Putin für die Freilassung der OSZE-Vertreter geltend machte, ist wahrscheinlich, aber nie bestätigt worden. Nur der damalige Außenminister Sigmar Gabriel gab einmal einen Hinweis: Wenn es darum gehe, für die Freilassung deutscher Soldaten in der Ukraine zu vermitteln, sei Schröder gefragt, sagte Gabriel, für sein Engagement bei Rosneft aber werde er kritisiert.

Sicher ist, dass der Ex-Kanzler sich bei einem anderen autoritären Präsidenten maßgeblich für die Freilassung deutscher Staatsbürger einsetzte: Seit Herbst 2017 sprach Schröder wiederholt mit dem türkischen Staatschef Erdoğan, bewirkte die Freilassung Peter Steudtners und dürfte auch am Ende der Haft des Journalisten Deniz Yücel beteiligt gewesen sein.

Es scheint, mit Angela Merkel verbindet ihn inzwischen ein gegenseitiger Respekt

Schröder tut gerne so, als lasse ihn die Kritik an seinem Gebaren kalt. "Die Öffentlichkeit muss begreifen: Das ist mein Leben, nicht eures", sagte er erst jüngst dem Spiegel in einem Interview. Im Falle der Deutschen in türkischer Haft mag es ihm gleichwohl nicht unwillkommen gewesen sein, seine alten Beziehungen mal für alle sichtbar nicht für sich, sondern für andere eingesetzt zu haben.

Der Besuch bei Erdoğan erfolgte zudem im Einvernehmen mit Angela Merkel. Die Geschichte über das Verhältnis von Ex-Kanzler und Nachfolgerin ist vielleicht das prominenteste Beispiel für den ambivalenten Blick auf Schröder. Merkel hatte ihn früher vor allem für seine Qualitäten als Wahlkämpfer stets bewundert, zugleich aber seine Skrupellosigkeit gefürchtet. Als Kanzlerin nahm sie sich Schröder gelegentlich zum Vorbild, zum Beispiel bei der Entlassung von Umweltminister Norbert Röttgen, vor der sie sich genauestens darüber informierte, wie Schröder es mit seinem ersten Verteidigungsminister Rudolf Scharping gemacht hatte. Und auch wenn dieser Tage gelegentlich darüber nachgedacht wird, welche Möglichkeiten es für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt in Verbindung mit einer Vertrauensfrage geben könnte, heißt es unter Merkels Leuten mit scherzhaftem Unterton: Schlag nach bei Schröder 2005.

Im Falle der Deutschen in türkischer Haft empfing Merkel den Vorgänger im September 2017 zweimal im Kanzleramt, quasi in seinem früheren Büro. Der zweite Besuch fand kurz nach der Bundestagswahl statt, und Schröder soll Merkel angesichts des Ergebnisses süffisant und in weiser Voraussicht viel Spaß bei der Regierungsbildung gewünscht haben. Öffentlich aber beharkten sich die beiden in dieser Zeit besonders ungeniert: Schröder kritisierte das Verhalten der Kanzlerin in der Diesel-Krise, sie kritisierte ihn für seinen Posten bei Rosneft. Es spricht viel dafür, dass Merkel und Schröder trotzdem gegenseitiger Respekt verbindet, der sich aus der exklusiven Kenntnis speist, was das Amt des Kanzlers wirklich bedeutet.

Seinen Geburtstag verbringt Schröder mit seiner Frau an diesem Sonntag in der Nähe von Weimar, wo das Ehepaar Urlaub macht. Am 24. April richtet die Stadt Hannover für ihren Ehrenbürger eine Feierstunde aus. Ansonsten lässt er es jetzt mal ruhiger angehen. Zumindest an seinem Geburtstag.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2019
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