Schröder nach TV-Duell:"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

Gerhard Schröder glaubt nach seinen gestiegenen Popularitätswerten nicht länger an eine Wechselstimmung in Deutschland: "Es ist wichtig, dass ich das Ruder in der Hand behalte." Im SZ-Interview spricht der Kanzler über die Aussichten einer Neuauflage von Rot-Grün.

SZ: Herr Bundeskanzler, angenommen, Sie behalten Recht und gewinnen die Wahl: Was würden Sie sofort anders machen, um einen so holprigen Start wie 1998 und 2002 zu vermeiden?

Gerhard Schröder glaubt an seine Mehrheit

Glaubt nicht länger an die Wechselstimmung in Deutschland - Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Foto: Foto: AP)

Schröder: Bei den Koalitionsverhandlungen werden wir detailgenau beschreiben, was wir außenwirtschaftlich, außenpolitisch sowie europapolitisch können und wollen. Wir werden zudem klar und präzise definieren, wie der Umbau des Sozialstaates weitergeführt wird, damit soziale Sicherheit auch für unsere Kinder und deren Kinder erhalten bleibt.

SZ: Werden Sie dann auch klar machen, dass die Deutschen noch größere Opfer bringen müssen?

Schröder: Sie tun ja so, als gäbe es Veränderungen allein um ihrer selbst willen. Das ist aber nicht der Fall. Veränderungen müssen sein, die sind aber nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.

SZ: Zu welchem?

Schröder: Um dieses Land zukunftsfähig zu machen. Wir brauchen Ressourcen, um in die zentralen Zukunftsfelder zu investieren. Das sind Bildung und Betreuung, Forschung, Entwickung und Innovation. Dazu dient der Reformprozess. Aber: Es gibt einen Punkt, über den man sich einmal, vielleicht auch in wahlkampffreien Zeiten, unterhalten muss. Nämlich, wie ist das eigentlich mit der Notwendigkeit von Reformen?

Es hat noch nie eine Phase der industriellen Entwicklung gegeben, in der sich die ökonomische Basis so radikal und schnell verändert wie heute. Angesichts der Geschwindigkeit des Strukturwandels und der Schnelligkeit von Produktzyklen besteht für uns die Pflicht, immer wieder zu überprüfen, ob unsere Politik noch den Realitäten der Gesellschaft gerecht wird. Insofern sind wir in einem ständigen Reformprozess...

SZ: ..., der den meisten Bundesbürgern Angst macht.

Schröder: Dass viele Menschen an dem festhalten möchten, was sie haben, kann ich gut verstehen. Aber dies ist nur möglich, wenn man auf diese raschen Veränderungen immer wieder eingeht. Aber die Menschen müssen keine Angst haben. Wir erneuern unser Land, ohne dass wir die Soziale Gerechtigkeit preisgeben. Allmählich werden die ersten Erfolge unserer Reformarbeit sichtbar. Davon profitieren die Menschen ganz konkret.

SZ: Was heißt das?

Schröder: Ich will das an der Steuerpolitik erläutern. Wir haben den Spitzensteuersatz in unserer Regierungszeit von 53 auf 42 Prozent gesenkt und den Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15. Das ist auch im europäischen Durchschnitt gut. Wir haben zudem die Unternehmensteuern reformiert. Deswegen ist die Frage, was wollt Ihr noch machen, eine, die man in einem größeren Zusammenhang von eingeleiteter und anstehender Erneuerung einordnen muss.

SZ: Und was wollen Sie noch machen?

Schröder: Erstens haben wir gesagt, wir wollen den Körperschaftsteuersatz auf 19 Prozent absenken, was wichtig und notwendig ist wegen der Wahrung internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens wollen wir bei der Erbschaftsteuer dafür sorgen, dass denjenigen, die einen Betrieb übernehmen und ihn erhalten, jährlich zehn Prozent ihrer an sich fälligen Erbschaftsteuer erlassen werden, so dass sie nach zehn Jahren des Erhaltens des Betriebes keine Erbschaftsteuer zu zahlen haben.

Wir haben alles in allem ein zu kompliziertes Steuerrecht, an der Vereinfachung zu arbeiten ist richtig und es geschieht ja auch. Unsere ökonomischen Probleme liegen aber woanders.

SZ: Wo denn?

Schröder: Ohne Zweifel bei den hohen Lohnzusatzkosten. Auch hier muss man, bevor man einfach weitere Reformen fordert, berücksichtigen, was schon geleistet ist bei der Rente oder der Gesundheit. Es wird darum gehen, dass man in der nächsten Zeit diese Strukturreformen weiterführt. Wir haben zum Beispiel bei der Gesundheit im Ausgabenbereich unzweifelhaft Erfolge erzielt.

Das bedeutet, dass Beiträge sinken können. Wir müssen uns jetzt um die Einnahmesituation kümmern. Da gibt es zwei konkurrierende Modelle. Unsere Bürgerversicherung auf der einen Seite und die Kopfpauschale der CDU auf der anderen Seite.

Zudem müssen wir bei der Pflegeversicherung die Leistungen verbessern. Dies wird nur gehen, wenn man wie bei der Rentenversicherung eine neue Balance findet zwischen eigener Vorsorge, also Kapitaldeckung, und einer solidarischen Finanzierung, in die alle einbezogen werden.

SZ: Aber alles, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, hat an den entscheidenden Daten nichts verändert: Die Zahl der Arbeitslosen ist gestiegen, und es gab praktisch kein Wachstum.

Schröder: Das stimmt nicht. Ohne unsere Reformen stünde Deutschland auch aus der Sicht internationaler Beobachter weit schlechter da. Unser Problem ist ja, dass viele uns im Inland negativer bewerten, als Beobachter von außen das tun.

Wichtige Wirtschaftszeitungen wie der Economist, das Wall Street Journal oder die Financial Times erkennen ja, dass wir mit den Strukturreformen der Agenda 2010 weitergekommen sind. Nur im Inneren leisten wir uns eine Auseinandersetzung, die so tut, als seien wir nach wie vor der kranke Mann Europas und der Welt. Dieses Bild stimmt nicht mehr.

SZ: Sie zitieren immer nur den ersten Teil des Economist-Artikels. Im zweiten steht, dass jetzt die Union ran muss.

Schröder: Das ist eine Bewertung, die auf Unkenntnis der gesellschaftlichen Situation in Deutschland beruht. Dass ich da anderer Auffassung bin, können Sie mir gerne unterstellen.

"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

SZ: Warum aber sollen die Menschen Sie wieder wählen, wenn Sie Ihr wichtigstes Ziel, das Sie sich 1998 gesetzt haben, nämlich die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken, nach sieben Jahren nicht erreicht haben.

Schröder lacht sich mit Müntefering ins Fäustchen

"Er macht in einem Maße Wahlkampf, wie es physisch kaum zumutbar ist", Gerhard Schröder über SPD-Chef Franz Müntefering.

(Foto: Foto: dpa)

Schröder: Das lässt sich erklären. Bisher hat keine Regierung in ihrer Amtszeit mit solchen Problemen fertig werden müssen: Platzen der Internet-Blase vor fünf Jahren, den Folgen des 11. September, ein Ölpreis, der von 15 Dollar pro Barrel auf 70 Dollar gestiegen ist.

Da sind externe Schocks wirksam geworden, die erklären, warum wir das Ziel nicht erreichen konnten. Dennoch: Wir haben die Weichen richtig gestellt. Auch auf dem Arbeitsmarkt werden erste Erfolge sichtbar. Seit April entstehen pro Tag 1500 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

SZ: Die anderen großen Industriestaaten bekamen diese Schocks auch zu spüren, doch denen geht es deutlich besser.

Schröder: Sie übersehen dabei immer eines: Kein anderes Land der Welt muss vier Prozent seines Bruttoinlandsproduktes jedes Jahr aufbringen für Transfers in einer Größenordnung von mehr als 80 Milliarden Euro pro Jahr von West nach Ost. Wir tun das, und wir tun das gerne, weil die Entwicklung des Ostens Deutschlands im gesamtstaatlichen Interesse ist.

SZ: Täuscht denn der Eindruck, dass Ihnen die SPD bei der Reformpolitik nur halbherzig gefolgt ist? Haben Sie sich in Ihrer Zeit als Kanzler zu weit entfernt von den Grundwerten der SPD?

Schröder: Ich stehe uneingeschränkt zu den Grundwerten der SPD. Etwa zum Grundwert der Solidarität in unserer Gesellschaft, der sozialen Zusammenhalt sichert. Das ist übrigens auch ein ökonomischer Wert. Oder der Grundwert der Freiheit, ein alter sozialdemokratischer Grundsatz. Dabei ist wichtig: Man muss den Rahmen dafür schaffen, dass ihn auch jeder leben kann.

SZ: Aber jetzt gibt es eine neue Linkspartei, die der SPD diese Grundwerte streitig macht.

Schröder: Es gibt eine prinzipielle Schwierigkeit für Reformpolitik in wohlhabenden Gesellschaften. Das ist die Kluft zwischen abstraktem Veränderungswillen und der konkreten Veränderungsbereitschaft, von der jeder Einzelne selber betroffen ist. Diese Kluft ist noch nicht geschlossen. Die erweiterte PDS nutzt diese Kluft populistisch und verkauft den Menschen Illusionen.

SZ: Diese heterogene Partei hat auf dem Wahlparteitag Ihren Auftritt frenetisch gefeiert. Viele Genossen haben gesagt: Mensch, hätte er doch schon früher so geredet. Hat sich bei den Zuhörern was verändert oder haben Sie sich verändert?

Schröder: Natürlich sind Parteitage situationsgebunden, aber ich glaube nicht, dass sich bei mir etwas grundlegend verändert hat. Wer sich die Mühe macht, meine Parteitags- und Wahlkampfreden inhaltlich auszuwerten, würde sehen, dass ich das, was ich an Reformen durchzusetzen hatte, immer verteidigt habe. Insofern hat sich die Wahrnehmung in der SPD verändert. Die Partei unterstützt den Reformprozess. Sie spürt, dass er notwendig war und es auch bleiben wird. Ich glaube, das ist es, was den Unterschied ausgemacht hat.

"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

SZ: Ist die SPD denn programmatisch auf der Höhe der Zeit?

Schröder: Ich bin überzeugt, dass wir das sind. Und vor allen Dingen sind wir es in der konkreten Regierungsarbeit. Denn wir haben doch aufarbeiten müssen, was in den neunziger Jahren unterlassen worden ist, als es längst in Skandinavien, in Holland gemacht worden ist. Wir Sozialdemokraten haben diese notwendigen Reformen angepackt. Das muss man sich doch fair vor Augen führen lassen.

SZ: Tony Blair hat seinen Weg anders bestritten als Sie. Als Labour-Chef hat er erst die Partei reformiert und dann als britischer Regierungschef das Land. Jetzt ist er souverän wiedergewählt worden. War diese Abfolge nicht geschickter?

Schröder: Ich will Tony Blairs historische Leistung überhaupt nicht schmälern, aber der hatte auch aufgrund eines Mehrheitswahlrechts eine in der Tat solide und für ihn schöne Mehrheit. Also ganz vergleichbar ist es nicht.

SZ: Wir finden schon.

Schröder: Die Labour-Regierung hatte einen großen Vorteil: Eine ganze Reihe der wichtigen ökonomischen Veränderungen, die notwendig waren, mussten nicht von ihr durchgesetzt werden, sondern waren vollbracht. New Labour war in der für sie selbst konfortablen Situation, die Auswüchse einer sehr brutalen Reformpolitik von Frau Thatcher korrigieren zu können. Ich bin in der Situation, aufarbeiten zu müssen, was in den 90er Jahren von Helmut Kohl in Deutschland verschlafen worden ist. Das ist der wirkliche Unterschied.

SZ: Wer den Wahlkampf verfolgt, hat den Eindruck, dass nur einer in der SPD so richtig begeistert Wahlkampf führt, das sind Sie. Die Union tritt als Team auf, Sie machen alles allein.

Schröder: Das stimmt so nicht. Alle in der Partei kämpfen, allen voran der Parteivorsitzende.

SZ: ...Franz Müntefering...

Schröder: Er macht in einem Maße Wahlkampf, wie es physisch kaum zumutbar ist. Das gilt auch für mich. Bei mir geht das deswegen, weil ich die Gene meiner 92-jährigen Mutter geerbt habe. Das ist hilfreich in solchen Situationen. Aber auch die SPD glaubt an sich selbst und an die Möglichkeit zu gewinnen. Ich spüre, durch die SPD ist ein gewaltiger Ruck gegangen.

SZ: Die SPD hat lange gebraucht, um ein polarisierendes Thema im Wahlkampf zu finden. Seit der Berufung von Paul Kirchhof als Schatten-Finanzminister ins Kompetenzteam der Union hat sie es gefunden. Da könnten Sie doch Frau Merkel dankbar sein.

"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

Schröder: Ich bin ja auch nicht undankbar. Niemand glaubt daran, dass das sinnvoll ist, was dieser Professor aus Heidelberg auf den Markt wirft. Eine der für mich merkwürdigsten Pläne, die in der CDU von Herrn Kirchhof entwickelt worden sind, ist folgende Feststellung: Im ersten Jahr mache ich ein Steuergesetz für hundert Jahre, im zweiten Jahr mache ich ein Rentengesetz für hundert Jahre - oder umgekehrt.

Das zeigt, dass dieser Mann von Realitäten wenig Ahnung hat. Und sich wenig darum kümmert. Auch das Allgemeine Preußische Landrecht gilt nicht mehr, weil die gesellschaftlichen Grundlagen dafür nicht mehr vorhanden sind.

SZ: Tun Sie Herrn Kirchhof nicht Unrecht? Die von ihm propagierte Einheitssteuer wird in vielen Ländern Osteuropas längst praktiziert. Auch Ihr Freund Wladimir Putin hat sie in Russland eingeführt.

Schröder: Ich will diplomatisch bleiben. Aber Sie dürfen nicht immer nur auf Steuersätze gucken, sondern müssen auch bewerten, was unterhalb dieser Sätze eigentlich passiert. Auch Präsident Putin kritisiert die Korruption in seinem Land, die er bekämpft. Ich bin sehr dafür, dass man das Steuerrecht vereinfacht.

Aber das Prinzip, nach Leistungsfähigkeit zu besteuern, will ich nicht aufgeben. Ob das in Osteuropa nun Modelle sind, denen wir nacheifern sollten, bezweifele ich. Dies allein schon deshalb, weil man ein reifes Industrieland mit einem modernen Sozialsystem wie Deutschland - auch in steuerlicher Sicht - in keiner Weise mit den noch jungen Marktwirtschaften in Osteuropa vergleichen kann.

SZ: Die andere Steuer, über die im Wahlkampf diskutiert wird, ist die Mehrwertsteuer. Die SPD lehnt eine Erhöhung ab. Ist dies angesichts der desaströsen Haushaltslage nicht scheinheilig?

Schröder: Nein, wir wollen das nicht, weil das verheerende binnenwirtschaftliche Folgen hätte. Im Übrigen halte ich auch nichts davon, jetzt Tartarenmeldungen über irgendwelche Milliardenlöcher in Umlauf zu bringen. Wir erleben gerade, dass die Gewerbesteuer den Kommunen zum ersten Mal wieder richtig Geld bringt.

Wir erleben ein Anziehen der Binnennachfrage und einen Zuwachs bei den Ausrüstungsinvestitionen. Deswegen glaube ich, dass der Haushalt mit weiteren Konsolidierungsanstrengungen ausgeglichen werden kann. Und es wird gelingen, ohne dass wir auf die Mehrwertsteuer zurückgreifen.

SZ: Und wie soll es gelingen?

Schröder: Es gibt bereits 70 Schlupflöcher, die wir geschlossen haben. Darüber hinaus wollen wir die Mindeststeuer für Unternehmen, das heißt die Begrenzung der Verlustverrechnung, verschärfen.

SZ: Wenn die Lage so gut ist und die Welt so schön, wie Sie sie uns schildern, wo sind dann Ihre Wähler? Sie haben noch genau neun Tage bis zur Wahl, um die Leute davon zu überzeugen.

Schröder: Genau die müssen und werden ausreichen, mehr Zeit habe ich ja nicht. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass die angebliche Wechselstimmung gar nicht mehr existiert. Ich bestreite überhaupt nicht, dass das andere Lager in Umfragen noch vorne liegt.

Aber die Dinge verändern sich. Wenn gefragt wird, wen möchtet Ihr lieber als Kanzler behalten, gibt es eine deutliche Mehrheit - nämlich für mich. Und auch die SPD holt immer weiter auf. Da ist viel Bewegung und noch alles möglich.

"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

SZ: Die Frage ist nur, mit wem Sie denn regieren wollen. Nach der NRW-Wahl haben Sie Rot-Grün aufgelöst. Jetzt treten Sie aber wieder für Rot-Grün an. Ist das überzeugend?

Schröder: Nichts habe ich aufgelöst, und schon gar nicht die gute Zusammenarbeit zwischen Joschka Fischer und mir. Aber für mich war klar, dass wir, um die Reformpolitik durchhalten zu können, eine neue Legitimation für eben diese Politik brauchten.

Es gab den Unterschied zwischen Joschka Fischer und mir, ob das Einholen dieser Legitimation jetzt notwendig war oder nicht. Er war da zurückhaltender, und das ist kein Geheimnis. Wenn die Wählerinnen und Wähler es so wollen, werden wir miteinander weitermachen.

SZ: Durch die Unions-Mehrheit im Bundesrat hat es bereits in den letzten Jahren faktisch eine große Koalition gegeben. Warum treten Sie nicht an und sagen: Ich bin der Kanzler, ich will am Ruder bleiben, notfalls mit einer großen Koalition?

Schröder: Dem ersten Teil ihrer Frage stimme ich ohne Einschränkungen zu: Es ist weiterhin wichtig, dass ich das Ruder in der Hand behalte. So würde ich mir, das ist jetzt Ironie, einen Leitartikel wünschen. In dieser Situation über Koalitionen zu diskutieren, wäre jedoch ganz verkehrt.

SZ: Sie haben auf der Basis verbesserter Umfragewerte jetzt 38 Prozent als Wahlziel der SPD ausgeben. Bei vier Prozent drauf und vier Prozent bei der Union runter werde es für die SPD klappen wie 2002. Der Unterschied ist doch aber, dass damals vier Fraktionen in den Bundestag kamen, diesmal mit einiger Sicherheit fünf. Mit wem wollen Sie dann regieren?

Schröder: Das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Mein Ziel ist es, die SPD zur stärksten Partei zu machen. Ich will meine Arbeit in der jetzigen Koalition fortsetzen, weil ich will, dass wir unseren Kurs der Modernisierung Deutschlands nach innen und die Positionierung als Friedensmacht nach außen fortsetzen.

SZ: Als SPD-Kanzler haben Sie viel für die Unternehmen getan. Sie galten zeitweise als Kanzler der Bosse. Vorstandschefs sind immer begeistert, wenn sie mit Ihnen auf Reisen sind, weil Sie Deutschland gut vertreten nach außen. Hatten Sie von den Unternehmen mehr Gegenleistungen erwartet?

Schröder: Ich habe nie Gegenleistungen erwartet. Weil ich es für die Pflicht eines jeden Bundeskanzlers halte, dafür zu sorgen, dass in einer globalisierten Welt, in der die Auseinandersetzungen auf den internationalen Märkten immer härter werden, klar ist, für wen ich stehe. Bei all denen, mit denen ich gereist bin, ging es mir immer um die Stärkung der deutschen Wirtschaft und damit um Arbeitsplätze in Deutschland.

SZ: Und einer von denen, der oft mit Ihnen unterwegs war, der Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer, tritt drei Wochen vor der Wahl in Angela Merkels Beraterteam ein.

Schröder: Von dem wusste ich doch, dass er parteipolitisch woanders verortet war. Heinrich von Pierer war Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses. Er kennt die asiatischen Länder besonders gut, so dass sich zwischen ihm und mir eine ganz normale Zusammenarbeit ergab. Im Übrigen: Ich habe nie erwartet, dass das CSU-Mitglied Heinrich von Pierer zur SPD konvertiert.

"Es gibt eine Mehrheit - für mich"

SZ: Trotzdem: Ist dies nicht drei Wochen vor der Wahl auch eine Stilfrage?

Schröder: Das kann man so und so sehen. Da haben Sie Recht.

SZ: Rechtzeitig vor der Wahl schlagen sich viele Unternehmer und alle Wirtschaftsverbände ins Lager der Union. Sind Sie darüber enttäuscht?

Schröder: Nein, denn so ist es doch bei jeder Bundestagswahl. Das war 2002 so, ich habe mir da überhaupt keine Illusionen gemacht. Es gibt nun mal, gerade bei diesen Verbänden, einen gewissen Hang zur Parteilichkeit. So ist es nun mal.

SZ: Warum haben Sie als Kanzler und SPD-Chef es nicht geschafft, gerade diese Leistungselite, auf die es auch ankommt, so an sich zu binden? Warum steht die SPD nicht für den Fortschritt, den sie ja immer auf ihre Fahnen geschrieben haben?

Schröder: Ich glaube nicht, dass man das so sehen kann. Wer glaubt, politische Entscheidungen zugunsten der einen oder anderen Partei fallen nur entlang von Sacharbeit und Sympathie, der irrt.

SZ: Das Gegenlager hat sich nicht solidarisiert, die Gewerkschaften halten diesmal eine Äquidistanz.

Schröder: Man muss genau hinsehen. Ich habe keinen Grund, mich über mangelnde Unterstützung durch die wichtigsten Betriebsräte der großen Unternehmen zu beklagen. Es gibt viele Gewerkschafter, die klarmachen und dies auch offen sagen, dass sie für unsere Politik und für mich als Person stehen.

Dass es den einen oder anderen Funktionär in den Gewerkschaften gibt, der da anders denkt, hat mich nicht überrascht.

Dass diese Politik des Umbaus der sozialen Sicherungssysteme nicht nur auf Gegenliebe der Gewerkschaften gestoßen ist, das wissen wir doch alle miteinander. Aber die Gewerkschaften wissen genauso, wer auf ihrer Seite steht, wenn es hart auf hart kommt.

Interview: Hans Werner Kilz, Ulrich Schäfer und Christoph Schwennicke

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