Schottland:Absturz eines Vorkämpfers

Schottland: Der frühere schottische Regierungschef Alexander Salmond ist wegen Belästigungsvorwürfen festgenommen worden. Die Anschuldigungen seien „offenkundig lächerlich“, sagt er.

Der frühere schottische Regierungschef Alexander Salmond ist wegen Belästigungsvorwürfen festgenommen worden. Die Anschuldigungen seien „offenkundig lächerlich“, sagt er.

(Foto: Andy Buchanan/AFP)

Der frühere schottische Premierminister Alexander Salmond muss nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung vor Gericht erscheinen. Sein Fall hatte zu einer Regierungskrise geführt.

Von Cathrin Kahlweit, London

Zu Beginn der Fragestunde der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon sprach der Parlamentsvorsitzende am Donnerstag eine Warnung aus: Es sei hoffentlich allen Mitgliedern des Holyrood, des schottischen Parlaments, bewusst, dass vor wenigen Stunden Alexander Salmond festgenommen worden sei? Und dass daher entsprechend den Regeln des Hauses keine Informationen zu einer laufenden Ermittlung diskutiert werden könnten?

Niemand im Hohen Haus hätte diese Warnung gebraucht, nachdem das Verfahren gegen Salmond zuletzt zu einer schweren Regierungskrise geführt hatte. Salmond ist Sturgeons Vorgänger und war von 2007 bis 2014 First Minister Schottlands, also eine Art Ministerpräsident gewesen; zudem hatte er zwei Jahrzehnte lang die Schottische Nationalpartei (SNP) geführt.

Sturgeon nannte die Nachricht von Salmonds Festnahme in einer ersten Reaktion "schockierend".

Im vergangenen Sommer waren Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens von zwei Mitarbeiterinnen aus Salmonds Stab in seiner Zeit als First Minister bekannt geworden. Ihre Beschwerden waren Ergebnis einer in der Folge des "Me Too"-Skandals eingeleiteten Untersuchung zu Belästigungen im Regierungsapparat. Als die Vorwürfe öffentlich wurden, zog sich Salmond aus der SNP zurück, um, wie er sagte, der Partei nicht zu schaden; er betonte aber stets seine Unschuld. Bevor die Vorwürfe publik wurden, hatte die Regierung versucht, die Anwürfe intern zu untersuchen.

Nun, ein halbes Jahr später, ist Salmond offenbar in der Nacht zum Donnerstag festgenommen worden; er wurde am Nachmittag vor Gericht angehört. Medienberichten zufolge wird ihm mittlerweile zweifache versuchte Vergewaltigung sowie sexuelle Belästigung in neun Fällen vorgeworfen. Beim Verlassen des Gerichts beteuerte Salmond, der nach Zahlung einer Kaution entlassen worden war, einmal mehr seine Unschuld; er könne aber derzeit aus Respekt vor dem Verfahren nichts weiter zu den Ermittlungsergebnissen sagen.

Die Causa hat weitreichende Folgen für die schottische Regierung und First Minister Sturgeon sowie die SNP. Denn Salmond hatte vor Kurzem einen Rechtsstreit gegen die eigene Regierung gewonnen. Er warf ihr allgemein Indiskretion und einer hohen Beamtin konkret vor, Kontakt zu zwei Beschwerdeführerinnen gehabt und diese sogar beraten zu haben. Gegen Sturgeon persönlich brachte er nichts vor, allerdings wurden während des Zivil-Prozesses Vorwürfe laut, sie habe Kollegen nicht mitgeteilt, dass Salmond in eigener Sache den Kontakt zu ihr gesucht hatte. Sturgeon forderte eine Untersuchungskommission, die nach dem Urteil ins Leben gerufen wurde, dazu auf, ihr Verhalten zu prüfen.

Das Gericht hatte Anfang Januar festgestellt, dass die regierungsinterne Untersuchung der Vorwürfe gegen Salmond "unfair und voreingenommen" gewesen sei. Salmond hatte für das Verfahren eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und innerhalb von drei Tagen 100 000 Pfund eingenommen. Das Ergebnis des Rechtsstreits um das Vorgehen der Regierung hat nichts mit den Ermittlungen der Polizei zu tun. Laut schottischen Medien hatten mehrere Frauen angegeben, Salmond habe sie 2013 an verschiedenen Körperstellen unsittlich berührt. Die aktuellen Vorwürfe reichen nun sogar sehr viel weiter.

Der ehemalige Regierungschef, der als Sturgeons Mentor gilt, ist in Schottland so populär wie umstritten. Der 64-Jährige moderiert sein einiger Zeit - zum großen Ärger seiner Parteifreunde - eine Talkshow auf RT, dem russischen Propagandasender. Während Sturgeon zu den Vorwürfen gegen ihn sagte, sie wolle in einem Land leben, in dem Betroffene von Übergriffen ihre Klagen vorbringen und sich ernst genommen fühlen könnten, hatten sich zahlreiche SNP-Mitglieder demonstrativ hinter Salmond gestellt. Der hatte betont, er sei "zwar kein Engel, habe aber nichts Kriminelles" getan.

Der amtierenden Regierungschefin rät er, sich lieber auf den Weg in die schottische Unabhängigkeit zu konzentrieren als auf Untersuchungen wegen sexuellen Fehlverhaltens. Wie Sturgeon war Salmond einer der Vorkämpfer des Unabhängigkeitsreferendums von 2014 gewesen, das aber scheiterte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: