Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Konflikt:"Deeskalation ist das Gebot der Stunde"

Bundeskanzler Scholz trifft sich mit den Staats- und Regierungschefs der drei baltischen Staaten - und tritt dabei in die Fußstapfen seiner Vorgängerin. Doch die Besucher verlangen mehr von ihm.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bei einem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der drei baltischen Staaten erneut bekräftigt, alles zu tun, um einen Krieg in Europa zu verhindern. "Deeskalation ist das Gebot der Stunde", sagte Scholz am Donnerstagabend in Berlin. "Wir wollen Frieden und Stabilität auf dem Kontinent erhalten."

Europa und die Nato seien "geschlossen und entschlossen", betonte Scholz, die schwierige Lage entlang der ukrainisch-russischen Grenze zu deeskalieren. Deutschland nehme die Sorgen der Verbündeten im Baltikum "sehr ernst". Mehr als 500 deutsche Soldaten und Soldatinnen seien bereits in Litauen stationiert. Er sei entschieden, das Kontingent nochmals "deutlich" aufzustocken.

Scholz hatte Kaja Kallas, Ministerpräsidentin von Estland, Gitanas Nausėda, Präsident von Litauen, sowie Krišjānis Kariņš, Ministerpräsident von Lettland, ins Kanzleramt eingeladen, um über gemeinsame Sicherheitsinteressen zu beraten. Die Staaten sind Mitglieder der EU und der Nato. Litauens Präsident Nausėda sagte, es sei "von entscheidender Bedeutung", deren Ostflanke zu stärken. Die Nato müsse präsent sein. Estlands Premierministerin Kallas lobte die Bundesrepublik als "treuen Freund und Bündnispartner". Deutschland sei eines der führenden Länder bei der Überwachung des baltischen Luftraums. Ihr lettischer Amtskollege Kariņš machte zugleich deutlich, dass sich das Baltikum noch mehr Unterstützung erhoffe. "Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa. Deutschland hat grundsätzliches Gewicht", sagte er. Deutschland müsse folglich "eine führende Rolle übernehmen, Europa durch diese schwierigen Zeiten zu führen".

Litauen liefert Flugabwehrraketen nach Kiew

Die drei Besucher machten deutlich, dass sie sich mehr Unterstützung für die Ukraine wünschten. Jedes Land habe das Recht, selbst über seine Zukunft zu entscheiden, betonten sie. Vor dem Besuch war bekannt geworden, dass die Ukraine in Kürze von Litauen Waffen bekommen soll. Die Stinger-Flugabwehrraketen aus US-Produktion sollten in den kommenden Tagen eintreffen, twitterte die litauische Regierungschefin Ingrida Šimonytė während eines Besuchs in Kiew. "Ich hoffe und wünsche mir aufrichtig, dass die Ukraine sie nie einsetzen muss."

Der Bundeskanzler tritt in seiner Krisenpolitik in die Fußstapfen seiner Vorgängerin. Die ostdeutsch sozialisierte Angela Merkel war in Europa auch die Vermittlerin zwischen Ost und West gewesen. Dass sich Scholz vor seiner für kommende Woche geplanten Reise in die Ukraine und nach Moskau mit den baltischen Staaten trifft, ist ein Signal, dass er deren Interessen mitnimmt in die anstehenden Gespräche. Schon am Tag seiner Rückkehr aus den USA hatte der Kanzler eine Ost-West-Geste gezeigt und das Format des Weimarer Dreiecks wiederbelebt. Er beriet sich mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem polnischen Amtsinhaber Andrzej Duda.

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