Scholz in Brasilien:"Ihr habt gefehlt"

Scholz in Brasilien: Bei einer Pressekonferenz umarmen sich Kanzler Scholz und Brasiliens Präsident Lula gleich mehrmals - dennoch gibt es auch Meinungsverschiedenheiten.

Bei einer Pressekonferenz umarmen sich Kanzler Scholz und Brasiliens Präsident Lula gleich mehrmals - dennoch gibt es auch Meinungsverschiedenheiten.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Bundeskanzler Scholz besucht Brasilien. Es ist die wichtigste Station seiner Südamerikareise und am Ende gibt es neben ein paar Meinungsverschiedenheiten auch Überraschungen und sogar Umarmungen.

Von Christoph Gurk und Nicolas Richter, Brasília, Buenos Aires

Das große Ölgemälde "As Mulatas" gleich neben dem Präsidentenbüro im Palácio do Planalto ist gespickt von Löchern, als habe jemand darauf eingestochen. Anderswo im Regierungspalast in der brasilianischen Hauptstadt fehlen Spiegel, Fensterscheiben, Waschbecken.

Es sind die Spuren des Aufstands, mit dem die wütenden Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro hier jüngst einen gewaltsamen Machtwechsel erzwingen wollten. Doch immerhin ist der Amtssitz des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva schon wieder so weit hergerichtet, dass er Staatsgäste empfangen kann.

Am 1. Januar hat der 77-Jährige sein Amt angetreten. Es ist seine insgesamt dritte Regierungszeit, schon von 2003 bis 2010 war Lula, wie ihn die Menschen in Brasilien meist einfach nur nennen, Präsident seines Landes. Nun ist er, und mit ihm auch Brasilien, zurück auf der Weltbühne.

Scholz lädt Lula nach Berlin ein

Unter Lulas Vorgänger Bolsonaro war Südamerikas größte Nation in die außenpolitische Isolation geraten. Lula will das rückgängig machen. Erst vergangene Woche war er in Buenos Aires bei einem Treffen lateinamerikanischer Staaten, bald reist er nach Washington, davor aber ist er selbst erst mal Gastgeber; der deutsche Kanzler macht am Ende seiner Südamerikareise Station in Brasília. Es ist kein Pflichttermin für Lula, das merkt man schnell, sondern ein freudiges Ereignis, doch dazu gleich noch mehr.

Für den Bundeskanzler stehen die Soldaten aufgereiht auf der langen Rampe, die zum Eingang des Amtssitzes des brasilianischen Präsidenten führt, und Lula, der Hausherr, begrüßt ihn mit Handschlag. Der gemeinsame Auftritt von Olaf Scholz und Lula verzögert sich etwas, weil sich beide Männer lange unter vier Augen unterhalten, was im Protokoll nicht vorgesehen ist.

Als sie schließlich zur Pressekonferenz erscheinen, verfügt Lula, dass es keine Eröffnungs-Statements gebe, weil er lieber gleich Fragen beantworte. Dann überlegt er es sich anders und lässt zumindest zu, dass Scholz ein paar vorbereitete Sätze vorträgt. "Lieber Lula", sagt also Scholz nach diesem rustikalen Auftakt. Er lädt Brasiliens Präsidenten und dessen Kabinett für den Herbst zu Regierungskonsultationen nach Berlin.

Er wolle, sagt der Kanzler, ein neues Kapitel aufschlagen im Verhältnis zu Brasilien, kündigt Millionen Euro für den Schutz des Regenwaldes an, neue Anstrengungen für ein Abkommen zwischen EU und der südamerikanischen Staatengemeinschaft Mercosur und bekräftigt, beide Länder seien sich einig in der Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Nach den Bolsonaro-Jahren jedenfalls ist es aus Sicht des Kanzlers erfreulich, dass Brasilien wieder in der internationalen Politik mitmischt. "Ihr habt gefehlt", sagt er. Lula geht auf ihn zu und umarmt ihn.

Es ist der End- und Höhepunkt einer Reise, die den Kanzler zuvor nach Argentinien und Chile geführt hat. Scholz hat in Buenos Aires und Santiago de Chile für eine wirtschaftliche Kooperation geworben, die er "fair" nannte, und die aus deutscher Sicht vor allem Energie und Rohstoffe bringen soll für eine Zukunft ohne fossile Energien. Weil Lula der Präsident des größten Landes in der Region und etwas allgemeiner ein Wortführer des Südens ist, hat der Besuch in Brasília besonderes Gewicht. Aber der gemeinsame Auftritt von Kanzler und Präsident zeigt auch, dass Lula ein eigenwilliger, zuweilen unberechenbarer Gesprächspartner ist.

Lula will Nachbesserungen beim EU-Mercosur-Abkommen

Wobei die größten Übereinstimmungen noch beim Freihandel zu liegen scheinen. Scholz hat auf allen Stationen seiner Reise bekräftigt, dass er endlich Fortschritte wünscht bei dem Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur. "Wir wollen da vorankommen", sagt Scholz auch in Brasília.

Lula schließt sich dem im Grundsatz an, meldet aber auch den Wunsch nach Nachbesserungen an, etwa bei Landwirtschaft und dem Schutz kleiner Unternehmen. Er wolle sich aber flexibel zeigen und hoffe, dass die Europäer auch flexibel seien. Dann nennt er überraschend das Ziel einer Einigung bis Mitte des Jahres. "Man spürt den Elan des Präsidenten", sagt Scholz über den ehrgeizigen Zeitplan.

Größere Differenzen zeigen sich dagegen beim Thema Ukraine. Scholz bleibt bei seiner Linie: Er erklärt den Angriff Russlands auf das Nachbarland zu einem Angriff auf die internationale Rechtsordnung, weshalb dies ein weltweites Problem sei und nicht bloß ein europäisches. Lula bestreitet dies zwar nicht, setzt aber einen anderen Schwerpunkt. Den deutschen Wunsch, Brasilien möge Munition für Gepard-Panzer liefern für den Einsatz in der Ukraine, weist er zurück. Er wolle nicht einmal mittelbar an diesem Krieg beteiligt sein, sagt er - "Brasilien ist ein Land des Friedens".

Stattdessen macht sich Lula Gedanken darüber, wer als Vermittler agieren könnte. Er selbst stelle sich gern zur Verfügung. Das klingt zunächst abwegiger als es ist, denn der brasilianische Präsident hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er unterschiedliche Parteien an einen Tisch bringen kann, in Südamerika, genauso wie im Nahen Osten.

Allerdings hat Lula auch erst mal im eigenen Land zu tun. Die Aufklärung des Angriffs von Anhängern des rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro auf das Regierungsviertel Anfang Januar müsse noch aufgearbeitet werden und noch sind ja auch nicht einmal alle Schäden beseitigt. Kurz: Brasiliens Präsident wird erst einmal im eigenen Land genug zu tun haben, bevor er sich um andere Konflikte wird kümmern können.

Lula verteidigt seine Kritik an Selenskij

Lula fordert auch China auf, jetzt mal "anzupacken und zu helfen". Denkbar sei auch ein Format, in dem mehrere Staaten zusammenkommen und Russland sowie die Ukraine an einen Tisch bitten würden - Lula nennt dabei verschiedene Größen, G 10, G 15, G 20. Auf jeden Fall brauche die Welt jetzt Frieden. "Man weiß gar nicht mehr genau, warum es diesen Krieg überhaupt gibt."

Lula verteidigt auch seine kontroverse Äußerung aus dem vergangenen Jahr, wonach der Westen und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij eine Mitschuld am Krieg trügen. "Es gibt da ein brasilianisches Sprichwort", sagt der Präsident: "Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten." Andererseits sagt er, Russland habe bei seinem Angriff auf die Ukraine einen "klassischen Fehler" gemacht - es habe etwas angefangen und wisse jetzt nicht, wie man es wieder beende.

Scholz betont dann am Ende vorsichtshalber noch mal die "klare gemeinsame Haltung", wonach "wir den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilen". Für ihn könne es keinen Frieden geben über die Ukraine hinweg. Russland müsse seine Truppen zurückziehen, es dürfe sich kein fremdes Territorium aneignen.

Über den Schutz des Regenwaldes wird dann eher wenig gesprochen. Lula kündigt an, hart gegen jene vorzugehen, die illegal die Ressourcen in Urwald-Reservaten ausbeuten. Dafür wolle er auch das Militär einsetzen. Scholz verweist auf ein 200 Millionen Euro schweres Hilfspaket, mit dem die Bundesregierung Lula in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit beim Schutz des Regenwaldes im Amazonas helfen will.

Ein großer Teil des Geldes soll dabei in die Wiederaufforstung fließen, der Rest auch in einen neu geschaffenen Fonds für Waldschutz, den Fundo Floresta, der die lokale Bevölkerung bei der nachhaltigen Nutzung des Waldes unterstützen soll. Nicht alles Geld kommt aber direkt von der Bundesregierung, sondern auch aus Mitteln, die wegen der katastrophalen Umweltpolitik von Vorgänger Bolsonaro schon vor Jahren eingefroren waren und nun mit dem Amtsantritt von Lula wieder freigegeben wurden.

Bevor sich beide Männer mit einer weiteren Umarmung verabschieden, bringt Lula noch eine Bitte vor. Deutschland dürfe nicht wieder nach Brasilien kommen und 7:1 beim Fußball gewinnen - wie 2014 bei der Weltmeisterschaft. Beim nächsten Mal solle es nach dem Willen des Präsidenten lieber 0:0 ausgehen.

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