So hat Jonas Gahr Støre sich das eher nicht vorgestellt. Der norwegische Ministerpräsident hatte Bundeskanzler Olaf Scholz eingeladen zu einem Treffen mit den nordischen Staaten, um die große Einigkeit zu betonen in Zeiten des russischen Angriffskrieges. Als sich die Regierungschefinnen der anderen nordischen Länder mit ihm und Scholz im Munch-Museum von Oslo zur Pressekonferenz versammeln, hebt er sogar die "historische Bedeutung" des Treffens hervor. Zunächst sind sich auch alle einig. Es geht um die Unabhängigkeit von russischem Gas und den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens. Dann aber wird eine Frage gestellt, die zunehmend für Streit sorgt in Europa: Geht es an, dass Russen in Europa Urlaub machen, während russische Soldaten in der Ukraine töten?
Für Kanzler Scholz ist die Antwort klar. Schon während seiner Sommer-Pressekonferenz hatte er von "Putins Krieg" gesprochen, für den die Russen nicht insgesamt in Haftung genommen werden sollten. "Das ist nicht der Krieg des russischen Volkes, das ist Putins Krieg. Da müssen wir sehr klar sein", betont er nun auch in Oslo. Sanktionen seien gegen die verhängt worden, "die verantwortlich für den Krieg sind". Das werde fortgesetzt.
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Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin will das so nicht stehen lassen. In Finnland, das eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, wird eine besonders heftige Debatte über die zuletzt wieder in großer Zahl kommenden russischen Touristen geführt. "Gewöhnliche Russen haben den Krieg nicht begonnen, aber wir müssen erkennen, dass sie den Krieg unterstützen", sagt Marin. Es sei einfach "nicht richtig", dass russische Bürger ins Schengen-Gebiet reisen könnten, "sich Sehenswürdigkeiten anschauen können, während Russland Menschen in der Ukraine tötet".
So wird es auch in den baltischen Staaten gesehen, die sich in der Europäischen Union zusammen mit Polen dafür einsetzen, russischen Touristen keine Schengen-Visa mehr zu erteilen. Die tschechische Ratspräsidentschaft hat das Thema bereits auf die Agenda gesetzt. Von einer "wichtigen Diskussion" spricht in Oslo die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, was natürlich auch eine Chiffre dafür ist, wie kontrovers das Thema ist.
14 237 Russinnen und Russen erhielten von März bis Juli ein deutsches Schengen-Visum
"Ich stimme Olaf zu", sagt die Dänin, "aber zugleich finde ich es nachvollziehbar, dass einige Europäer und speziell einige Ukrainer es etwas seltsam finden, dass Russland ein europäisches Land angreift, ein Krieg in Europa tobt und wir zugleich Touristen aus dem Land empfangen, das ein anderes Land angegriffen hat." Es ist ein Unbehagen, das Scholz nur bedingt gelten lässt. Insgesamt erhielten von März bis Juli - also in den Monaten nach Beginn des Krieges - 14 237 Russinnen und Russen ein deutsches Schengen-Visum. Scholz will, dass die Visa auch künftig ausgestellt werden können.
"Wir müssen diskutieren", räumt er ein, "in der demokratischen Welt gehört sich das so." Dann aber verweist er auf Russinnen und Russen, die ihr Land verlassen wollten. "Wir müssen verstehen, dass viele Menschen aus Russland fliehen, weil sie gegen das Regime sind", appelliert er. Niemandem solle es erschwert werden, "der Diktatur in Russland zu entkommen".
Das überzeugt die Finnin nicht. "Es gibt in Russland auch viele Menschen, die gegen den Krieg sind, die bedroht werden", räumt sie ein, "aber generell verstehe ich die Frustration sehr gut, wenn Russen durch Europa reisen, als ob nichts wäre." Der Norweger Støre, dessen Land zwar nicht der EU, aber dem Schengen-Raum angehört, erinnert wiederum an das Flugverbot, das die Reisemöglichkeiten von Russen stark einschränke. Außerdem böten Reisen von Russen auch die Chance, sie mit einer Wirklichkeit abseits der russischen Propaganda zu konfrontieren. Sie erhielten "Gelegenheit, den Konflikt von einer anderen Seite zu betrachten". Nur die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson hält sich erst einmal bedeckt. Es gibt, sagt sie, "starke Argumente in beide Richtungen".