Ukrainekrieg:Scholz reist überraschend nach Kiew

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Wolodimir Selenskij und Olaf Scholz in Kiew. (Foto: ANATOLII STEPANOV/AFP)

Scholz reist überraschend nach Kiew. Der Bundeskanzler versichert dem ukrainischen Präsidenten die bleibende Unterstützung Deutschlands. Er kommt mit seinem Besuch bei Wolodimir Selenskij dem CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zuvor.

Von Paul-Anton Krüger, Nicolas Richter, Henrike Roßbach und Vivien Timmler, Berlin, Peking

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der Ukraine bei einem Besuch in Kiew weitere Waffenlieferungen aus Deutschland zugesagt. „Ich möchte hier vor Ort deutlich machen, dass Deutschland der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben wird“, sagte er, bevor er am Montag zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in einem Krankenhaus der Hauptstadt Kriegsversehrte besuchte. Scholz erklärte, er werde „weitere Rüstungsgüter mit einem Wert von 650 Millionen Euro ankündigen, die noch im Dezember geliefert werden sollen“. An die Adresse des russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte er: „Wir haben einen langen Atem. Und wir werden an der Seite der Ukraine stehen, solange wie das nötig ist.“

Allerdings stellte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin klar, dass es sich nicht um neue Zusagen handele, sondern die Lieferungen Teil eines im Oktober angekündigten Pakets seien. Laut dem Bundesverteidigungsministerium handelt es sich um Flugabwehrsysteme vom Typ Iris-T sowie schultergestützte Flugabwehrraketen, von der Industrie aufbereitete Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 sowie M-80- und M-84-Panzer, Aufklärungs- und Kampfdrohnen, zudem Raketen und militärische Ausrüstung.

Selenskij hatte Scholz’ Telefonat mit Putin kritisiert

Zuletzt hatte es aus der Ukraine Klagen gegeben, zugesagte Lieferungen aus Deutschland seien im Verzug, teilweise um Monate. Genannt wurden Luftverteidigungssysteme und Kampffahrzeuge. Irritationen hatte auch das Telefonat des Kanzlers mit Putin am 15. November ausgelöst. Scholz habe damit die „Büchse der Pandora geöffnet“, kritisierte Selenskij.

Olaf Scholz spricht in Kiew in einem Krankenhaus mit verwundeten Soldaten. (Foto: Bundesregierung/Marvin Ibo Gueng/REUTERS)

In Regierungskreisen hieß es, die Kanzlerreise sei lange für Dezember geplant gewesen. Sie füge sich ein in eine Reihe von Gesprächen des Kanzlers zum Thema Ukraine. Dazu gehöre etwa das sogenannte Quad-Treffen mit US-Präsident Joe Biden, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer am 18. Oktober in Berlin, das Telefonat von Scholz mit Putin und der G-20-Gipfel jüngst in Rio de Janeiro.

Die Reise war wie üblich aus Sicherheitsgründen nicht angekündigt worden, nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurde sie aber sehr kurzfristig geplant. Aus der Union hieß es, dass Scholz am Sonntagabend überraschend Richtung Ukraine aufgebrochen sei, erkläre sich damit, dass er einer geplanten Reise von CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz habe zuvorkommen wollen.

Nach Kriegsbeginn war der CDU-Vorsitzende vor Scholz in Kiew gewesen

Merz plant schon etwas länger eine Reise in die Ukraine. Aus Kreisen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verlautete, dass am 25. November eine Maschine der Flugbereitschaft der Bundeswehr angefragt worden sei für den Flug nach Rzeszów in Polen. Von dort geht es für politische Delegationen weiter zu einem Grenzbahnhof und mit dem Nachtzug nach Kiew. Zum Zeitpunkt der Anfrage sei noch keine Kanzlerreise geplant gewesen.

Merz hatte Scholz schon einmal überholt, als er Anfang Mai 2022, wenige Monate nach dem umfassenden Überfall Russlands auf die Ukraine, nach Kiew reiste. Scholz selbst fuhr erst im Juni 2022 in die Ukraine, zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem damaligen italienischen Premier Mario Draghi. Womöglich wollte Scholz also jetzt, zweieinhalb Jahre später, nicht ein zweites Mal der Zweite sein. Aus der Union heißt es, man wisse aus eigenen ukrainischen Quellen, dass Scholz’ Reise auch am Donnerstag vergangener Woche noch nicht geplant gewesen sei. Nach SZ-Informationen waren auch andere Häuser in der Bundesregierung vor dem vergangenen Freitag nicht über die geplante Reise des Kanzlers informiert.

Merz werde dennoch in naher Zukunft in die Ukraine reisen, hieß es weiter bei der Union. „Wir machen unsere Ukraine-Politik nämlich nicht von Panikreaktionen eines gescheiterten Kanzlers abhängig. Selenskij hat Merz eingeladen, und wenn er reist, wegen der Sache und nicht wegen Scholz.“ Aus Sicherheitsgründen werde das Datum jedoch nicht genannt.

Scholz hatte am Wochenende auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung Merz wegen dessen Ukraine-Kurs scharf angegriffen. Man spiele nicht mit der Sicherheit Deutschlands „Russisch Roulette“ sagte er mit Blick auf den Vorschlag des CDU-Chefs, Putin ein Ultimatum zu stellen, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu stoppen oder anderenfalls den Marschflugkörper Taurus zu liefern. Scholz, der die Lieferung ablehnt, nahm dagegen für sich in Anspruch, „besonnen“ zu bleiben.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, sie halte die Kanzlerreise „für absolut wichtig“. Die Situation in der Ukraine sei gerade so dramatisch wie selten zuvor. Baerbock ist seit Februar 2022 acht Mal in die Ukraine gereist, sah sich dort aber auch Fragen gegenüber, warum der Kanzler oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jeweils nur ein Mal nach Kiew gekommen seien.

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