Auf Plakaten, in TV-Duellen und Werbespots werden die Deutschen Olaf Scholz in den kommenden Wochen vor allem als Kanzlerkandidaten begegnen. In der Silvesternacht können sie ihn nun noch einmal als amtierenden Kanzler erleben – wobei sich die eine Rolle von der anderen wohl kaum einwandfrei trennen lässt.
Zum vierten Mal meldet sich Scholz mit der traditionellen Neujahrsansprache aus dem Kanzleramt. Behalten die aktuellen Umfragen annähernd recht, ist es zugleich seine letzte. Wobei Scholz selber bekanntlich der Meinung ist, dass er auch nächstes Jahr vor dem abendlich erleuchteten Reichstag zu den Deutschen wird sprechen können. Seine Rede nutzt der Kanzler nicht nur für einen Appell zum Zusammenhalt in schwieriger Zeit, sondern auch für einen Aufruf, am 23. Februar zur Wahl zu gehen. „Wie es in Deutschland weitergeht, das bestimmen Sie – die Bürgerinnen und Bürger“, sagt er.
Über den Wahlausgang entscheiden „nicht die Inhaber sozialer Medien“, sagt Scholz
Geprägt wird die Neujahrsansprache vom Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Die Tat mache fassungslos, sagt Scholz. Die Menschen fragten sich: „Wie kann ein wahnsinniger Attentäter nur so viel Leid verursachen?“ Die Antwort auf die Frage, wie es nach so einer Tat weitergehen könne, liefere der Zusammenhalt. „Wir sind kein Land des Gegeneinanders, auch nicht des Aneinander-vorbei. Sondern ein Land des Miteinanders. Und daraus können wir Kraft schöpfen – erst recht in schwierigen Zeiten wie diesen“, sagt er. Alle großen Erfolge Deutschlands seien dem Zusammenhalt geschuldet. Das gelte auch für die Wiedervereinigung, die sich im neuen Jahr zum 35. Mal jähre.
Scholz räumt ein, dass Deutschland sich in einer schwierigen Lage befindet. Aber er geht dabei nicht mehr auf das Auseinanderbrechen der Ampelkoalition ein. „Unsere Wirtschaft hat zu kämpfen. Das Leben ist teurer geworden. Und viele blicken mit einem Gefühl wachsender Beklemmung auf Russlands brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine“, sagt er. Deutschland werde die Ukraine weiterhin „unterstützen wie niemand sonst in Europa“. Zugleich werde man weiter einen „kühlen Kopf bewahren, damit der Krieg sich nicht ausweitet“. Dies ist auch eine der zentralen Botschaften des Kanzlers im Wahlkampf.
Auf die bevorstehende Wahl kommt Scholz in der Neujahrsansprache, die als Folge des vorgezogenen Wahltermins in die Vorwahlzeit fällt, ausführlich zu sprechen. Über den Wahlausgang entschieden „nicht die Inhaber sozialer Medien“, sagt er in einer offenkundigen Anspielung auf den US-amerikanischen Tech-Milliardär Elon Musk. Musk hatte sowohl auf seiner Plattform X als auch in einem umstrittenen Gastbeitrag in der Welt am Sonntag für die AfD geworben. In manchen Debatten könne man den Eindruck gewinnen: „Je extremer die Meinung, desto größer die Aufmerksamkeit.“ Nicht, wer am lautesten schreie, bestimme darüber, wie es in Deutschland weitergehe, „sondern die ganz große Mehrheit der Vernünftigen und Anständigen“.
Aus Sicht von Scholz gibt es auch Anlass zur Zuversicht. „Wir sind 84 Millionen – gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung. Und trotzdem die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Weil wir fleißig sind. Weil heute mehr Frauen und Männer arbeiten gehen als je zuvor in unserer Geschichte“, betont er. Darunter seien auch viele Menschen aus anderen Ländern, „die hier bei uns mit anpacken und längst Teil der Erfolgsgeschichte Deutschlands sind“. Daher gelte: „Lassen wir uns also nicht auseinanderdividieren. Von niemandem.“ Das sei auch sein Wunsch für das neue Jahr: „Ich wünsche uns, dass wir uns nicht gegeneinander aufwiegeln lassen.“