SPD und der Mindestlohn:Von links überholt?

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SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert (li.) versuchte, die Aussage von Kanzler Olaf Scholz einzufangen. Für die Festlegung der Höhe sei die Mindestlohnkommission zuständig. (Foto: Imago)

Der Kanzler fordert, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Das kommt nicht nur bei der FDP und den Arbeitgebern schlecht an, auch die Führung seiner eigenen Partei bremst da etwas.

Von Bastian Brinkmann, Georg Ismar, Benedikt Peters und Vivien Timmler, Berlin/München

Es war der schönste Wahlkampfschlager der SPD. "Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen. Scholz packt das an", stand landauf, landab auf den Plakaten. Nach der Bildung der Ampelkoalition unter Führung von Kanzler Olaf Scholz und dem Mindestlohnbeschluss klebten die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil eine gelbe Banderole auf so ein Plakat: "Versprochen. Gehalten."

Mit anderen Ankündigungen wie 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr oder Scholz, dem Klimakanzler, klappt es bisher nicht ganz so. Versprochen hatte die SPD auch, nicht ein zweites Mal den Mindestlohn politisch festlegen zu wollen. Und nicht in jedem Wahlkampf mit einer neuen Mindestlohn-Höhe zu werben. Doch die Versprechen sehen sich nun einem Stresstest ausgesetzt, vor der Europawahl und bei schlechten SPD-Umfragewerten.

Lindner platziert eine süffisante Anmerkung

Seit Olaf Scholz dem Stern gesagt hat, er sei klar dafür, "den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben", hat die SPD Mühe, die Debatte einzufangen. Generalsekretär Kevin Kühnert betonte im Tagesspiegel, der prädestinierte Ort für die Festlegung der Höhe bleibe die unabhängige, mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Mindestlohnkommission. Die taz nutzte die Steilvorlage zu einer hübschen Titelzeile, zu einem Bild von ihm und Scholz hieß es: "Kühnert bremst vorlauten SPD-Linksaußen".

FDP-Chef Christian Lindner merkte süffisant an, dass die SPD ständig Vorschläge mache, die nicht im Koalitionsvertrag stünden, neu sei, dass sich nun auch der Kanzler als Wahlkämpfer daran beteilige. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger meint, wenn Politik und Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum Mindestlohn in der Presse führen würden, dann könne man die Kommission auch gleich auflösen. Die SPD kritisiert, dass zuletzt keine einvernehmliche Entscheidung getroffen worden sei und der Mindestlohn wegen der Inflation stärker steigen müsse. Die Lohnuntergrenze ist Anfang 2024 um 41 Cent auf 12,41 Euro gestiegen. 2025 soll diese um weitere 41 Cent steigen.

Dulger betont: "Wenn jemand einen Tabubruch begeht, dann der Bundeskanzler. Er hat zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen." SPD-Chef Lars Klingbeil zeigt sich davon unbeeindruckt, in der ARD-Sendung "Maischberger" betonte er, wenn die Kommission im kommenden Frühjahr wieder tage, dann erwarte er einen Vorschlag, der nach allen Rechenarten nur bei 14 Euro liegen könne. "Wenn die Arbeitgeber dort wieder politische Spiele spielen, dann muss man das auch politisch diskutieren." Man kann das durchaus als verkappte Drohung auffassen.

Selbst die Gewerkschaften sind gegen den Vorstoß

Arbeitsminister Hubertus Heil versuchte im Bundestag mit Ironie, die Kakofonie etwas einzufangen. Auf die Frage, ob seine Partei im Wahlkampf auf Plakaten einen Mindestlohn von 13, 14, 15 oder gar 16 Euro fordern werde, sagte Heil, er schließe natürlich nichts aus. Aber für die Plakate sei er nicht zuständig. "Ich klebe die nur." Dass aber auch Heil einen höheren Mindestlohn will, daran lässt der Minister keine Zweifel. "Wir wollen nicht erst im Bundestagswahlkampf über 14, 15 Euro Mindestlohn reden", sagt er. Stattdessen verkündet er, höflich formuliert, wie SPD-Chef Klingbeil einen Arbeitsauftrag an die Mindestlohnkommission: "Es ist Zeit, dafür zu sorgen, dass es einen deutlichen Anstieg des Mindestlohns im kommenden Jahr gibt."

Nicht einmal im Lager der Gewerkschaften ist die Freude über den Vorstoß des Kanzlers wirklich groß. Gegen eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns hätte dort selbstverständlich niemand etwas einzuwenden. Sehr wohl aber gegen die Art, wie jetzt diskutiert wird: "Die politische Debatte wollen wir nicht", sagt einer, der nah dran ist. Der Mindestlohn solle nicht zum Wahlkampfthema werden, wie es jetzt zu befürchten sei - das mache die Gespräche der Kommission, die bis Ende Juni 2025 über die nächste Erhöhung entscheiden muss, noch schwieriger.

"Eine Politisierung des Mindestlohns kann niemandem gefallen"

Das Klima dort ist ohnehin rau: Zuerst waren die Arbeitgebervertreter sauer, weil die Ampel per Gesetz den Mindestlohn einfach von 10,45 Euro auf 12 Euro erhöht hatte; sie revanchierten sich dafür, indem sie bei der nächsten Gelegenheit, 2023, nur eine Mini-Erhöhung auf 12,41 Euro zuließen. Das brachte die Gewerkschaftsseite auf die Palme: Auch angesichts der hohen Inflation der vergangenen Jahre sei der Betrag viel zu niedrig, um Geringverdiener vor Altersarmut zu schützen.

Auch die Wirtschaftsweisen haben den Vorstoß von Scholz kritisiert, und zwar geschlossen. "Eine Politisierung des Mindestlohns kann niemandem gefallen", sagte Martin Werding, den die Arbeitgeber für das Beratergremium vorgeschlagen hatten. Wenn Politiker sich jetzt ständig dazu äußerten, sei es eine Frage der Zeit, bis auch "populistisch eingestellte Parteien beliebige Zahlen" aufriefen und das Thema kaperten.

Der auf Vorschlag der Gewerkschaften in das Gremium entsandte Achim Truger schlägt als Kompromiss eine Koppelung des Mindestlohns an den Wert von 60 Prozent des mittleren Einkommens vor, "sozusagen als Voreinstellung, worüber die Kommission verhandelt". Denkbar sei auch eine Art Automatismus. Aber auf Dauer eine Kommission zu haben, die man dann überstimme, wenn es genehm sei, das sei "kein gutes Modell", sagte Truger an die Adresse der SPD.

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