Migration:Faeser wirbt in Brüssel für Grenzkontrollen

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Behörden stoßen laut Innenministerin Nancy Faeser, hier am Mittwoch im Bundestag, an die "Grenzen des Leistbaren". (Foto: Liesa Johannssen/REUTERS)

Die Innenministerin warnt in einem Brief an die EU, es drohe eine Überforderung des Gemeinwesens. Im Bundestag wirft Kanzler Scholz Oppositionsführer Merz vor, an einer Lösung Migrationsstreit nicht interessiert zu sein.

Von Julia Bergmann, Markus Balser, Berlin

Nach dem geplatzten Migrationsgipfel eskaliert der Streit zwischen Regierung und Opposition. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf CDU-Chef Friedrich Merz am Mittwoch im Bundestag vor, an einer echten Lösung nicht interessiert zu sein. „Sie haben sich in die Büsche geschlagen“, sagte Scholz in Richtung des CDU-Chefs unter Verweis auf die am Dienstag gescheiterten Gespräche zwischen Ampel und Union. „Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der Bild am Sonntag hätte er schon die Migrationsfrage gelöst“, rief er. Kaum habe Merz die Redaktionsräume verlassen, habe er aber schon vergessen, was er vorgeschlagen habe. „Weil Sie niemals vorhatten, sich darum zu kümmern.“ 

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So scharf wie selten zuvor gingen sich die Kontrahenten in der Generaldebatte auch persönlich an. Die Entscheidung der Union, die Gespräche vorzeitig zu beenden, habe im Voraus festgestanden, kritisierte Scholz. Ein Vorwurf, den Merz im Bundestag brüsk zurückwies. Diese Behauptung sei „infam“, sagte er. Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgelegten Pläne seien unzureichend gewesen, deshalb habe die Union die Gespräche verlassen. Während Merz darauf beharrte, dass umfassende Zurückweisungen aller Asylsuchenden vom Recht gedeckt seien, betonten Vertreter der Ampel, dass das Europarecht dieser Forderung entgegenstehe.

Die Grünen warfen der Union vor, den freien Schengenraum in Europa zu gefährden. Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach von einer „Politik ohne Sinn und Verstand“. Sie nannte es naiv, zu glauben, dass andere EU-Länder bei einer Grenzschließung einfach zuschauen würden. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten, dass sich nicht jeder wie ein Kind im Sandkasten verhalte und sich beleidigt zurückziehe, wenn er nicht allein bestimmen dürfe.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr rief die Union nach Abbruch der Migrationsgespräche in seiner Rede zur Zusammenarbeit mit der Bundesregierung auf. „Für eine Blockade in der Frage der Ordnung und Begrenzung der Migration haben die Menschen in Deutschland kein Verständnis mehr.“ Auch der Kanzler signalisierte Offenheit: „Wir schlagen niemals eine Tür zu, Sie können immer wiederkommen“, sagte er an Merz gerichtet. Der lehnte einen neuen Anlauf ab. Man begebe sich nicht „in eine Endlosschleife von Gesprächen“, sagte Merz.

Die Pläne für Schnellverfahren in Asylfällen will die Ampelkoalition nun auf eigene Faust durchsetzen. Dazu sollen Asylsuchende in der Nähe der deutschen Landgrenzen untergebracht werden. Möglich sei dies in offenen Unterkünften, bei der Gefahr des Untertauchens aber auch in Haftanlagen, kündigte Innenministerin Nancy Faeser an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge solle beschleunigte Dublin-Verfahren betreiben. Ziel sei es, solche Geflüchtete, die schon in einem anderen Land registriert sind, möglichst schnell dorthin zurückzuschicken. Allerdings ist fraglich, wie „schnell“ die Prüfung erfolgen kann. Faeser sprach von „maximal“ fünf Wochen Prüffrist. Das wäre aus Behördensicht ein Erfolg, denn bislang dauern die Verfahren meist mehrere Monate.

Nach der Dublin-Regelung ist für das Asylverfahren der Staat zuständig, über den ein Antragsteller in die EU eingereist ist. Reist er in ein anderes Land weiter, kann er dorthin überstellt werden. Mehrere europäische Länder wie Italien weigern sich jedoch, solche Geflüchtete zurückzunehmen. Auf höchster politischer Ebene will die Bundesregierung nun EU-Länder, die sich nicht an diese Pflicht halten, zum Einlenken bewegen.

„Kein Staat der Welt kann unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“, warnt Faeser

Laut Bundesinnenministerium gab es im vergangenen Jahr 74 622 Fälle, in denen Deutschland Migranten in andere europäische Mitgliedstaaten zurückschicken wollte. In rund einem Drittel der Fälle scheiterte dies, weil die betroffenen EU-Länder die Aufnahme verweigern – etwa Italien oder Griechenland. Dies könnte Deutschland nur mit mehr politischem Druck bekämpfen, etwa einem Vertragsverletzungsverfahren. Diese Konfrontation scheut die Regierung bislang.

Dagegen treibt die Regierung ihre Pläne für die Einführung von Grenzkontrollen voran. In einem Schreiben an die EU-Kommission kündigte Faeser diese Maßnahmen für Montag an. „Kein Staat der Welt kann unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“, warnt die Innenministerin in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, und beschreibt die Lage in Deutschland mit dramatischen Worten. Es bestünden „erhebliche sicherheits- und migrationspolitische Probleme und Gefahren“. Die irregulären Einreisen von 50 000 Fällen bis Juli seien „in ihrer Höhe“ nicht akzeptabel. Die Unterbringungssituation in den Ländern habe sich weiter verschärft, Behörden stießen „an die Grenzen des Leistbaren“. Es drohe eine „Überforderung des (solidarischen) Gemeinwesens“. Nötig würden die Kontrollen aber auch wegen der wachsenden Terrorgefahr. Diese Gefahren dürften nicht weiter nach Deutschland getragen werden.

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