Süddeutsche Zeitung

Regierungskonsultationen:Mit kleinen Augen in Rotterdam

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Nach dem Koalitionsausschuss sieht Olaf Scholz den Trip in die Niederlande als "nette Unterbrechung". Die ergebnislose Nachtschicht deutet er zur gemeinsamen Grenzerfahrung für die Ampel um.

Von Daniel Brössler, Rotterdam

Draußen ist es noch hell, aber davon bekommt Olaf Scholz nicht viel mit. Die niederländische Regierung hat ihre Gäste aus Deutschland ins Depot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam geladen - ein Kunstdepot. In dem imposanten Bau mit viel modernem Industriebeton sind 151 000 Exponate gelagert. Natürlich gut geschützt - auch vor Tageslicht. Zwischen den Skulpturen, Ölgemälden und alten Möbeln hinter Glas überspielt der Kanzler gelegentliche Anfälle von Müdigkeit einigermaßen routiniert, auch wenn seine kleinen Augen eine andere Sprache sprechen. Das Depot sei ein Ort der Arbeit, erläutert der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, "und das ist das, was wir heute machen".

Hinter seinen Gästen liegen zu diesem Zeitpunkt 19-stündige Verhandlungen in der Koalition und eine durchwachte Nacht. Ob da die vierten deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen unter Arbeit firmieren oder doch unter Abwechslung, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Eine "ganz nette Unterbrechung" hatte es Scholz nach der Landung genannt, dass er sich mit einigen seiner nächtlichen Verhandlungspartner nun "gemeinsam in den Niederlanden wiederfindet, um hier jetzt mit unseren guten Freunden über Europa und die Zukunft zu sprechen". Geplant war das natürlich so nicht gewesen. Mit einem Abflug am frühen Nachmittag hatte man sich auf der sicheren Seite gewähnt - doch die Verhandlungen um die Planungsbeschleunigung hatten sich als deutlich langwieriger erwiesen als gedacht.

Und so widmen sich Vizekanzler Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock, Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen, Finanzminister Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP zusammen mit dem sozialdemokratischen Kanzler und seinem Verteidigungsminister Boris Pistorius auf bunten Stühlen in kunstvoller Kulisse den Beziehungen zu den Niederländern, die Scholz als "enge Partner und gute Freunde" preist.

Rutte bietet Scholz an, für ihn zu antworten, aber das macht der Kanzler doch lieber selbst

Das mit der Freundschaft bestätigt sich umgehend. Der Liberale Rutte jedenfalls springt seinem Gast überaus kameradschaftlich zur Seite, als der gefragt wird, ob er nach den schwierigen Koalitionsgesprächen denn ein bisschen habe schlafen können. Die Antwort könne er gleich übernehmen, bietet Rutte an, was er durch einen kumpelhaften Handschlag gleich noch unterstreicht. Mit schwierigen Konstellationen kenne er sich aus. Seine eigene Koalition umfasse vier und nicht nur drei Parteien, berichtet der Niederländer.

Scholz beantwortet die Frage dann aber doch lieber selbst. "Nein, ich habe nicht schlafen können und es geht mir, wie man sieht, ganz gut", berichtet er. Noch einmal lobt er dann den "netten Punkt der Unterbrechung". Die meisten seiner Reisegenossen hätten ja auch die Nacht durchverhandelt und mit ihm "intensiv daran gearbeitet, die Modernisierung voranzubringen". Es gehe um "sehr klare Festlegungen", um das nötige Tempo zu erreichen. Vergessen ist der Ampel-Vorsatz, möglichst nicht nachts zu verhandeln. Das gehöre eben dazu, sagt Scholz, und sei ja auch eine gemeinsame Erfahrung. "Davon erzählt man sich dann noch lange", gerät Scholz ins Schwärmen.

Um Deutschland und die Niederlande geht es dann aber auch noch. Scholz und Rutte preisen die enge militärische Zusammenarbeit beider Länder. "Die weitreichende gegenseitige Integration unserer Streitkräfte ist einzigartig in Europa", lobt Scholz. In drei Tagen werde die vollständige Integration aller drei niederländischen Heeresbrigaden in Strukturen der Bundeswehr abgeschlossen. Das sei "ein Meilenstein und ein Ansporn". Kanzler und Ministerpräsident geloben auch weitere Waffenhilfe für die von Russland überfallene Ukraine. "Das tun wir, solange es nötig ist", verspricht Rutte.

Scholz dankt dann noch für die Einladung in "dieses beeindruckende Museumsgebäude". Er habe sich immer schon gefragt, wo die Werke seien, "die man nie sieht". Hier gebe es einen "offenen und unbefangenen Zugang zu Kunst und Kultur, was wir als offene, humanistische Gesellschaft unbedingt brauchen", gibt er am Ende dieses langen Tages zu bedenken. "In diesem Sinne", glaube er, "werden wir von diesem Ort auch beflügelt werden." Am Dienstag um neun Uhr geht es dann weiter, im Kanzleramt.

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